Seewölfe - Piraten der Weltmeere 533. Roy Palmer
ließ auch Don Manuel seinen Degen sinken.
„Willem!“ sagte der Hagere. „Sammel die Waffen ein!“
Der blonde Hüne bückte sich nach den Degen des Kapitäns und des Eigners. Er nahm ihnen auch ihre übrigen Waffen ab – leergefeuerte Pistolen und Messer –, dann sprang er über die Querbalustrade auf die Kuhl, holte sich auch die übrigen Waffen und schichtete sie auf der Gräting zu einem Haufen auf.
Der Hagere gab Don Manuel einen Wink. „Die Flagge!“
Don Manuel mußte die spanische Flagge aus dem Besantopp niederholen. Die Piraten auf der Kuhl trieben unterdessen die Seeleute vor dem Achterkastell zusammen und hielten sie mit ihren Musketen in Schach. Es waren nur noch sechs Mann der Crew am Leben. Sie bluteten und blickten verstört und erschüttert drein. Zwei von ihnen fluchten leise, einer bekreuzigte sich. Die drei anderen schwiegen.
„Wie viele Tote, Willem?“ wollte der Hagere wissen.
„Einer bei uns, vierzehn bei ihnen“, entgegnete der Blonde.
„Wen von unseren Kerlen hat es erwischt?“ fragte der Hagere.
„Smitt.“
Der Hagere fixierte Don Manuel de Moirez aus schmalen, kalten Augen. „Smitt war einer meiner besten Kerls. Dafür werdet ihr büßen.“
„Und wer büßt für unsere Toten?“ fragte Don Manuel.
Der Hagere stieß ein wütendes Zischen aus. Nach wie vor hielt er Doña Elvira in seinem Klammergriff fest. „Ihr habt eine große Schnauze, ihr Dons! Aber ich werde euren Stolz schon brechen!“
„Henk!“ schrie einer der Piraten auf der Kuhl. „Auf was wartest du? Überlaß das Weib uns!“
„Ja, her mit ihr!“ brüllte ein anderer.
Henk, der Hagere, grinste. „Das könnte euch so passen.“
„Warum töten Sie mich nicht?“ fragte Doña Elvira. „Sind Sie zu feige dazu?“
„Nein“, antwortete der Piratenführer. „Aber ich habe eine bessere Verwendung für dich.“
„Señor“, sagte Don Manuel de Moirez. Es kostete ihn große Überwindung, beherrscht und ruhig zu sprechen. „Ich bitte um Gnade. Sie erhalten unser Schiff und alles, was wir haben. Aber geben Sie uns freies Geleit.“
„Von wegen“, sagte Henk. „Ihr seid unsere Gefangenen. Wir nehmen euch mit.“
„Wohin?“ wollte Doña Elvira wissen.
„Das erfährst du noch früh genug“, sagte der Piratenführer. „Beim Henker, daß ihr Frauenzimmer immer so neugierig sein müßt.“ Wieder lachte er.
„He, warum schicken wir das spanische Pack nicht einfach zu den Haien?“ rief Willem, der Blonde.
„Weil ich sie noch ein bißchen aushorchen will“, entgegnete Henk. „So, und jetzt habe ich die Nase voll von eurem Geschwätz. Willem, sieh nach, was der Kahn geladen hat.“
Das tat Willem. Kurz darauf kehrte er mit verdrossener Miene aus dem Laderaum zurück.
„Nur Proviant, Wasser, Wein und ein bißchen Munition an Bord“, meldete er. „Sonst nichts.“
„Kein Gold, kein Silber, keine Juwelen?“ sagte Henk nachdenklich und musterte Don Manuel. „Aber wie arme Schlucker seht ihr nicht aus. Wer seid ihr eigentlich, und was habt ihr hier verloren, ihr Narren?“
Don Manuel gab knapp Auskunft über seinen Namen, seine Frau, seine Mannschaft, das Schiff und den Zweck der Reise.
Henk, der Pirat sah in verständnislos an.
„Forschen wollt ihr?“ wiederholte der Kerl verdutzt. „Seid ihr verrückt?“
„Wir sind völlig normal“, erwiderte Elvira de Moirez.
Henk grinste und schob seine Hand über ihren Bauch. „Na schön. Aber ich will bei der Forscherei dabeisein.“
Die Piraten lachten und johlten. Doña Elvira stöhnte. Am liebsten wäre sie tot zusammengesunken, so groß war die Schande. Aber sie mußte durchhalten – schon ihres Mannes wegen. Vielleicht konnte sie diesen Henk einwickeln, ein wenig umgarnen? Sie wollte es versuchen.
Der Piratenführer wandte sich erneut an Don Manuel.
„Mein Name ist Henk van der Meiden“, erklärte er. „Ich bin der Herr von Kokos.“
„Ein Seeräuber“, murmelte Don Manuel. „Holländer, nicht wahr?“
„Ja“, erwiderte Henk van der Meiden. „Ein Zufall hat uns vor einiger Zeit hierher verschlagen. Ein glücklicher Zufall.“
Wieder grölten und pfiffen die Piraten. Ihr Anführer hob den Kopf und schaute sich stolz um. Aus seiner ganzen Art, sich zu benehmen, sprach das Wesen eines Diktators.
Henk van der Meiden gab seinen Kerlen einen Wink. „Los, werft die Leichen ins Wasser – auch Smitt! Beeilt euch, wir haben schon genug Zeit verloren! Wir segeln zur Insel!“
Die Vorkehrungen waren rasch getroffen. Die Piraten übernahmen die Dreimastkaravelle. Die sechs spanischen Seeleute wurden ins Logis gesperrt. Don Manuel, Doña Elvira und Capitán Gandolfo mußten ihre Kammern im Achterdeck aufsuchen. Sie wurden von zwei Kerlen bewacht.
Henk van der Meiden stand in Herrscherpose auf dem Achterdeck. Er verschränkte die Arme vor der Brust und blickte mit dünnem Lächeln voraus. Wieder einmal hatte er gesiegt.
Die zweimastige Pinasse, mit denen van der Meiden und seine Kumpane von Kokos aus auf Beutezug gingen, war ein schnelles und wendiges Schiffchen. Schon viele Galeonen und Karavellen, Fleuten und Karacken hatten die Holländer überfallen, und jedes Mal verfuhren sie nach demselben Prinzip.
Sie lauerten vorbeisegelnden Schiffen in der Dunkelheit auf und orientierten sich an deren Bordlaternen. Dann pirschten sie sich an, gingen am Achterschiff längsseits oder schoben sich unter die Heckgalerie und enterten.
Auch dieses Mal hatte es geklappt. Der Angriff der Schnapphähne war für die Spanier völlig überraschend erfolgt. Henk van der Meiden und seine Bande hatten die Männer überrumpelt. Jetzt hielt die „Volante“ unter Vollzeug auf die größte der fünf Kokos-Inseln zu, wo sich der Schlupfwinkel der Piraten befand.
Gewiß, die Karavelle führte keine Reichtümer mit sich. Aber Henk van der Meiden hatte bereits einen Plan. Er wollte Don Manuel erpressen. Der Mann schien vermögend zu sein. Wenn er seine Frau so sehr liebte, wie es den Anschein hatte, würde er sicherlich bereit sein, einiges für sie springen zu lassen.
Van der Meiden hatte vor, sich den Besitz des Don Manuel de Moirez – um was es sich auch immer handeln mochte – komplett überschreiben zu lassen. Ein Weg, alles irgendwie einzusacken, würde sich bestimmt finden.
Weder Hank van der Meiden und seine Kerle noch die Spanier von der „Volante“ ahnten zu dieser Stunde, daß sich ein weiteres Schiff den Kokos-Inseln näherte. Knapp fünfzig Meilen östlich des winzigen Archipels bewegte sich eine Dreimastgaleone durch den Indischen Ozean – die „Santa Barbara“. Sie lag auf Westkurs und segelte mit raumem Wind. Vor Stunden hatte sie die Weihnachtsinsel im Süden passiert und steuerte jetzt Kokos an.
Philip Hasard Killigrew und seine Männer hatten auch das letzte Abenteuer, in das sie im wahrsten Sinne des Wortes hineingestolpert waren, mit Glück durchgestanden. Südlich der Banda-See, bei Wetar und Timor, vor der Ilha de Ataúro, waren sie in eine Falle malaiischer Piraten geraten.
Die „Santa Barbara“ war aufgebrummt. Im Nu war sie von flachgehenden Booten umringt gewesen. Aber die Seewölfe hatten die Zähne gezeigt. Sie hatten den Kampf für sich entschieden und auch den vermeintlichen Lotsen „abgeräumt“, der sie so heimtückisch in den Hinterhalt gelockt hatte.
Die geringen Schäden, die die Galeone beim Auflaufen erlitten hatte, waren inzwischen behoben worden. Die Bordmittel hatten ausgereicht, das Schiff wieder instand