Seewölfe - Piraten der Weltmeere 255. Frank Moorfield
lassen sie laufen.“
Batuti und Luke Morgan nickten zustimmend.
„Was sollten wir sonst auch mit ihnen anfangen“, fuhr der Kutscher fort, und zu den Zwillingen gewandt, setzte er hinzu: „Sagt ihnen, daß wir sie auf dem größten Nilkrokodil über den Strom reiten lassen, wenn sie sich noch einmal in der Nähe unseres Bootes blicken lassen.“
Mit grinsenden Gesichtern sowie mit Händen und Füßen übersetzten die beiden Jungen seine Worte. Offensichtlich fügten sie seinen Drohungen noch eigene Erfindungen hinzu, denn die beiden Burschen gingen einige Schritte rückwärts, drehten sich um und rannten davon, so schnell sie die Füße trugen.
Die Seewölfe lachten, als sie ihre Körbe aufnahmen und sie wenig später im Beiboot der „Isabella“ verstauten.
Als sie ihre Plätze auf den Duchten eingenommen hatten, konnte Philip junior die Frage, die ihn seit Minuten beschäftigte, nicht mehr länger unterdrücken.
„Trägt man unter den langen Kaftanen eigentlich auch Hosen, Kutscher, Sir?“ fragte er mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt.
„Was meinst du? Was soll die Frage?“ stotterte der Kutscher.
„Ach, nur so“, fuhr Philip fort, „weil du doch vorhin sagtest, die beiden Kerle würden die Hosen voll haben. Und da müßten sie doch auch welche drunter haben, oder vielleicht nicht?“
„Ich – ich weiß es nicht!“ stammelte der Kutscher hilflos. „Ich kann ja schließlich nicht alles wissen! Und was geht es euch Rübenschweinchen übrigens an, was andere Leute unter ihren langen Röcken tragen, he?“
Lautes Gelächter dröhnte über die Fluten des Nils, als sich Batuti, Luke Morgan und die Zwillinge kräftig in die Riemen legten, um das Beiboot zur „Isabella“ zurückzupullen.
Der Kutscher, der sich als Bootsführer auf der achteren Ducht niedergelassen hatte, blickte krampfhaft hinüber zu den gewaltigen Tempelbauten, die von der Insel Philae emporragten.
Die „Isabella VIII.“, eine schlanke Dreimastgaleone, die einst vom besten Schiffsbauer Englands erbaut worden war, schwojte gemächlich an der Ankertrosse.
Einen Tag zuvor hatte sie die Nilinsel Philae mit ihrem prächtigen Isistempel erreicht und war in Inselnähe vor Anker gegangen. Und hier war die Endstation für den schnellen Rahsegler, der seit vielen Wochen auf dem Nil unterwegs war. Obwohl noch nicht sichtbar, lag der erste Katarakt des gewaltigen Stromes nur wenige Kabellängen von der kleinen Insel entfernt. Seine gefährlichen Stromschnellen und die gewaltigen Wassermassen, die über die Felsen hinunterstürzten, bildeten ein unüberwindbares Hindernis für Wasserfahrzeuge aller Art.
Philip Hasard Killigrew, der Kapitän der „Isabella“, stand neben seinem Stellvertreter und Ersten Offizier, Ben Brighton, am Steuerbordschanzkleid und blickte dem Beiboot, das drüben am Ufer abgelegt hatte, entgegen. Er hatte beide Fäuste gegen den Handlauf des Schanzkleides gestemmt. Die Muskete, mit der er vor wenigen Minuten einen Warnschuß abgefeuert hatte, war in die Obhut Al Conroys, des stämmigen, schwarzhaarigen Stückmeisters der Galeone, zurückgewandert.
„Man muß doch wirklich auf alles aufpassen“, sagte der Seewolf zu Ben Brighton gewandt. „Selbst für ein Beiboot finden sich Liebhaber.“
„Die beiden haben ja ziemlich rasch das Weite gesucht.“ Ben Brighton, ein untersetzter, breitschultriger Mann, der in fast allen Situationen Ruhe und Besonnenheit ausstrahlte, lächelte. „Eigentlich müßten sie unseren Leuten noch begegnet sein, es sei denn, sie haben sich rechtzeitig im Schilf versteckt.“
„Auf jeden Fall hat der Warnschuß seinen Zweck erfüllt“, sagte der Seewolf. „Ich bin gespannt, was der Kutscher alles für die Kombüse eingekauft hat. Er versteht ja was vom Feilschen, das muß man ihm lassen.“ Die klaren, eisblauen Augen Philip Hasard Killigrews wanderten über das bläulich schimmernde Wasser des Nils. Nicht zuletzt war es dieser Blick, der den Gegnern des mehr als sechs Fuß großen Mannes Respekt einflößte.
Das Glasen der Schiffsglocke tönte über die Decks und erinnerte die Seewölfe daran, daß auch hier im rätselhaften Land Ägypten die Zeit nicht stehenblieb.
„Die Türken lassen auf sich warten“, sagte Ben Brighton. „Ich hätte absolut nichts dagegen, wenn sie die Burschen in der Vorpiek bald abholen würden. Versprochen haben sie es jedenfalls.“
Der Seewolf lächelte. „Du bist bestimmt nicht der einzige, Ben, der gern auf die Gesellschaft dieser Bande verzichten würde. Aber warten wir’s ab, der Tag hat ja erst begonnen, und die Türken werden schon noch hier aufkreuzen. Wichtiger ist im Moment, daß der Kutscher wieder an Bord kommt und sich so schnell wie möglich hinter seine Pfannen und Töpfe klemmt, sonst beginnt hier das große Magenknurren. Auch die Kerle in der Piek müssen was zwischen die Zähne kriegen, damit es nicht wieder Radau gibt.“
Ärger hatten die Seewölfe in den vergangenen Tagen mit der wilden Horde gefangener Grabräuber schon genug gehabt. Zwölf der Burschen hatten sie in Theben auf Drängen eines türkischen Offiziers an Bord genommen, um sie bis zum ersten Katarakt zu bringen. Hier sollten sie von den Türken in Empfang genommen werden und den Marsch in die Kupferbergwerke Nubiens antreten.
Inzwischen befanden sich jedoch nur noch zehn der wüsten Gesellen in der Vorpiek, denn zweien war es nach einer wilden Prügelei mit den Seewölfen, die sie täglich zweimal an Deck gelassen hatten, gelungen, zu entfliehen. Einer davon war jedoch einem Krokodil zum Opfer gefallen, und der andere, ein Nubier namens Halef, hatte es geschafft, in der öden Landschaft auf der östlichen Nilseite unterzutauchen.
Doch nicht nur die gefangenen Grabräuber hatten die Besatzung der „Isabella“ auf Trab gehalten. Auch die Habgier des Fanatikers Baba Schah, der von seinen Anhängern „Das flammende Schwert des Islam“ genannt wurde und dessen ganzer Haß den türkischen Besetzern des Landes und ungläubigen Giaurs galt, hatte sie bereits arg in Bedrängnis gebracht.
Schon gestern, gleich nachdem die Galeone in der Nähe der Nilinsel Philae vor Anker gegangen war, hatten die Seewölfe eine böse Überraschung erlebt. Baba Schah hatte ihnen, als sie sich den Tempel der Isis ansehen wollten, eine heimtückische Falle gestellt, um die Herausgabe der gefangenen Grabräuber und der im Bauch der „Isabella“ vermuteten Schätze zu erzwingen. Fast war es ihm mit seiner siebenfachen Übermacht gelungen, sein Ziel zu erreichen, als türkische Besatzungssoldaten aufkreuzten und gemeinsam mit den Seewölfen die Bande des Fanatikers zerschlugen.
Baba Schah selbst war von den Türken als Gefangener mitgenommen worden. Außerdem hatte der türkische Offizier dem Seewolf zugesagt, die gefangenen Grabräuber am nächsten Tag abzuholen. Und darauf warteten Philip Hasard Killigrew und seine Männer seit Tagesbeginn.
Der Kutscher, Batuti, Luke Morgan und die Zwillinge befanden sich bald wieder an Bord der „Isabella“. Die zahlreichen Proviantkörbe waren rasch über das Schanzkleid gehievt worden.
„Sieht nicht übel aus“, bemerkte Philip Hasard Killigrew mit einem Blick auf die Berge von Feigen, Datteln, Nüssen und die übrigen Eßwaren. „Frisches Obst und Gemüse können wir immer gebrauchen. Am besten, ihr schafft das alles gleich in die Vorratslast.“
Die Körbe verschwanden rasch, und Old Donegal Daniel O’Flynn, der rauhbeinige Alte mit dem Holzbein, der gerade von dem Galion her erschien, bedauerte es lebhaft, denn er liebte es, neueingekaufte Ware mit mehr oder weniger Sachverstand zu begutachten. Eine steile Falte lag über seinem verwitterten Gesicht.
„Bei allen Windbräuten und Wassermännern“, nörgelte er, „ihr habt’s ja wieder eilig, das Zeug verschwinden zu lassen. Weiß der Teufel, was ihr wieder alles zusammengekauft habt. Ist wohl besser, wenn man’s nicht sieht.“
Auch Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“, enterte zur Kuhl ab. Er war ein bulliger Kerl mit einem gewaltigen Rammkinn und vielen Narben im Gesicht. Doch hinter der rauhen Schale dieses sturmerprobten Seemannes verbarg sich ein weicher Kern, und seine Lieblingssprüche, mit denen er die Mannschaft anzufeuern pflegte, gehörten einfach dazu – wie die Rumrationen, die der Seewolf von Zeit zu Zeit austeilen