Seewölfe - Piraten der Weltmeere 218. Roy Palmer
eilte den Männern nach und erklomm die Hauptwanten, und auch Sir John, der karmesinrote Arancanga, flatterte seinem Herrn und Gebieter Edwin Carberry nach. Er ließ sich auf dessen linker Schulter nieder, als dieser zu Blacky und zu Matt Davies trat, die sich fast um Blackys Kieker gebalgt hätten, sandte einen trüben Blick zur Küste des Eilandes und brabbelte unverständliches, griesgrämiges Zeug vor sich hin.
Die Stimmung an Bord der Galeone, die eben noch gespannt und argwöhnisch gewesen war, schlug jetzt wie durch Zauberei um. Carberry bedauerte es, von einer „verdammten Insel“ gesprochen zu haben. Er hob selbst den Kopf und reckte den Hals, um einen günstigen Blick auf die Insel zu erhaschen. Die Crew stieß Hurra- und andere Jubelrufe aus, Bill lachte und rieb sich die Hände, und auch auf dem Achterdeck konnte man gar nicht ausgiebig genug zu dem Mann mit dem Gewand und seinem „Harem“ hinüberäugen.
Sogar Old O’Flynns Miene hellte sich merklich auf, und das glich schon fast einem Wunder.
„Donnerkeil“, sagte Ferris Tucker, der sich gerade bei Pete Ballie auf dem Quarterdeck befand. Er hatte auch ein Spektiv zur Hand genommen und stellte gerade die Optik durch langsames Drehen der kleinen Augenlinse scharf. „Hat denn der Mensch da noch Worte? Pete, du alter Schwerenöter, das sind keine Eingeborenen, sondern weiße Mädchen, ein ganzer Schwarm niedlicher Weiberhintern, so frisch und knakkig, wie du sie noch nicht gesehen hast.“
„Gib mal den Kieker her“, sagte Pete.
„Warte, jetzt muß ich erst mal genau die Lage peilen!“
Pete stieß einen verächtlichen Laut aus. „Hol’s der Henker – ich glaube sowieso kein Wort von dem, was du sagst.“
Ferris wandte verblüfft den Kopf und musterte den Rudergänger der „Isabella“, als hätte der etwas Verdammenswertes gesagt. Mit einer ruckartigen Bewegung reichte er ihm das Spektiv.
„Da, nimm und überzeuge dich selbst, daß es wahr ist, du Stint“, sagte er aufgebracht.
Pete grinste. „Danke. Mehr wollte ich ja nicht.“ Er hob das Rohr vors Auge – und dann stieß er einen Seufzer aus, der alles ausdrückte, wonach sein Herz verlangte.
Carberry hatte die Crew mit ein paar barschen Worten zur Ordnung gerufen, und natürlich war sofort Ruhe eingetreten. Doch Blacky wandte jetzt den Kopf und sprach auf den Profos ein, wie der Seewolf vom Achterdeck aus verfolgen konnte. Carberry drehte sich daraufhin um und marschierte auf den Backbordniedergang zu, der die Kuhl mit dem achteren Deck verband.
Ferris Tucker und Pete Ballie warfen ihm fragende Blicke zu, aber Carberry äußerte nichts – er enterte das Deck und steuerte geradewegs auf den Seewolf zu, der jetzt lächelnd das Achterdeck verließ.
„Ich weiß schon, was du willst, Ed“, sagte er. „Deshalb will ich es dir erleichtern, denn ich kann mir vorstellen, daß es dir nicht so recht über die Lippen geht.“
Der Narbenmann grinste flüchtig. „Ja, Sir, denn das Anliegen, das die Crew hat, ist so ein Ding mit einem Haken.“
„Die Männer wollen an Land“, sagte Hasard. „Und das kann ich gut verstehen. Wir gehen also vor der Insel vor Anker.“
„Man könnte uns dort in einen Hinterhalt locken“, gab der Profos zu bedenken.
„Wir werden eben die Augen offenhalten“, sagte der Seewolf. „Für alle Fälle machen wir Klarschiff zum Gefecht, schaden kann es nicht.“
„Danke, Sir“, sagte Carberry, dann kehrte er um und trat an die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß zum Hauptdeck hin bildete. „Männer!“ rief er. „Hasard ist einverstanden! Wir laufen die Insel an!“
Jetzt war auch der letzte Bann gebrochen, der für kurze Zeit über der „Isabella“ geschwebt hatte – die Männer brachen in begeistertes Johlen und Pfeifen aus. Sie warfen ihre Mützen hoch und winkten ihrem Kapitän zu.
Hasard lächelte immer noch. Er wußte zwar, daß er ein Risiko einging, aber bedenklich wäre die Situation erst recht geworden, wenn er die Inseln gemieden hätte. In den letzten Tagen war es immer wieder zu kleinen Reibereien an Bord der „Isabella“ gekommen, nicht nur zwischen Old O’Flynn und Big Old Shane, die sich gern mal „kabbelten“, sondern auch zwischen anderen Männern. Die lange Reise um den afrikanischen Kontinent herum und quer durch den Atlantik war beschwerlich, aber auch eintönig gewesen, und das zeitigte jetzt seine Folgen.
Die Männer brauchten dringend Abwechslung, sonst wurden sie nervös und aggressiv. Hasard kannte diesen Zustand an Bord von früheren Überfahrten her, und er wußte auch, was die beste Medizin gegen Gereiztheit und Unmut war: Landgang bis zum Wecken.
Die „Isabella“ luvte an und ging auf Nordwestkurs. Nach Ablauf von knapp einem Glas, also weniger als einer halben Stunde, erreichte sie die Insel, an deren Ufer der Fremde mit dem bunten Gewand und die Schar von Mädchen sich inzwischen als Lotsen betätigten: Durch zahlreiche Gesten wiesen sie den Seewolf und seine Crew auf eine im Südosten der Insel liegende, schattige Felsenbucht hin. Sie liefen am Ufer entlang und näherten sich selbst dieser Bucht, während die Galeone noch höher an den Wind ging und sich zum Einlaufen anschickte.
Hasard und seine Männer hielten die Augen nach allen Seiten hin offen. Gary Andrews war in den Vormars aufgeentert, um Bill als Ausguck zu unterstützen. Dan O’Flynn, der Mann mit den allerschärfsten Augen an Bord, war ganz nach vorn auf die Galionsplattform geklettert und spähte von dort aus mit dem Kieker zum Ufer.
Auf den Gefechtsstationen kauerten die Männer hinter den schweren Culverinen, bereit, jedem möglichen Angreifer sofort einen Warnschuß vor den Bug zu setzen. Längst waren die Stückpforten geöffnet und die 17pfünder ausgerannt. Auch auf der Back und auf dem Achterdeck waren die Drehbassen geladen worden. Dort standen Al Conroy und Smoky, Ben Brighton und Shane klar bei Lunten.
Doch alle diese Vorsichtsmaßnahmen erschienen dem Seewolf überflüssig, als die „Isabella“ durch die breite Einfahrt in die Bucht glitt. Keine fremden Schiffe lagen hier, keine bewaffneten Besatzungen warteten darauf, über die „Isabella“ herzufallen. Auch an Land waren nirgends etwaige Gegner zu sehen. Selbst wenn sie sich versteckt und hervorragend getarnt hätten, hätten Bill, Gary und Dan den einen oder anderen doch entdecken müssen.
Nein, dies schien keine Falle zu sein. Von der Insel ging eine Aura des Friedens und der Freundlichkeit aus. Hier, in ruhigem Wasser und unter stahlblauem Himmel, schien es sich wahrhaftig zu lohnen, für einige Zeit zu verweilen.
Hoch waren die Felswände der Bucht nicht, und hier und dort gab es sanft geschwungene Aussparungen, die mit hellem Sand ausgefüllt waren.
Auf einem solchen Stückchen Strand liefen jetzt die Mädchen zusammen, und wenig später erschien auch der Buntgekleidete. Zwei Mädchen setzten die Kiste, die sie mitgeschleppt hatten, auf dem Sand ab, eine andere placierte dicht daneben den Krug mit solcher Sorgfalt, als befände sich ein höchst kostbares Gut darin. Wieder andere betteten die Tuchballen auf den Strand.
Dann erhoben sie sich und winkten wieder den Seewölfen zu.
„Ich werd verrückt“, stöhnte Ferris Tucker, der immer noch bei Pete Ballie auf dem Quarterdeck stand. „Das ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Pete, sag mir, daß es nur ein idiotischer Traum ist.“
„Soll ich dir auch in den Arm kneifen?“ fragte Pete grinsend.
„Das kannst du dir für die Ladys aufsparen“, meinte der rothaarige Riese.
„Sicher, aber dann werde ich sie natürlich nicht am Arm, sondern ganz woanders zwicken.“
Sie lachten beide und merkten nicht, daß der Seewolf hinter sie trat. Erst als Ferris sich zufällig umdrehte, gewahrte er den großen schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen hinter sich. Ferris kratzte sich ein wenig verlegen am Kinn. Selbstverständlich war dem Seewolf nicht entgangen, was Pete und er gesprochen hatten.
„Mal herhören“, sagte Hasard. „Ich weiß ja, welcher Notstand bei euch Kerlen herrscht, aber das heißt noch lange nicht, daß wir wie die Wilden über die Mädchen herfallen. Erstens wissen wir