Seewölfe - Piraten der Weltmeere 218. Roy Palmer
gesittet und diszipliniert benehmen. Ich habe vor, euch allen Landurlaub zu geben, aber ich will keinen aus der Reihe tanzen sehen. Verstöße gegen meine Befehle werden wie üblich bestraft.“
Ferris war ernst geworden. „Das ist klar, und du kannst dich natürlich auf uns verlassen.“
„Gut, in Ordnung.“ Der Seewolf wandte sich von ihnen ab und stieg auf die Kuhl hinunter, um den gleichen Appell an die Crew zu richten.
Wenig später lag die „Isabella“ mit aufgegeiten Segeln vor Anker, und die Beiboote wurden an der Steuerbordseite abgefiert und bemannt.
Der Seewolf setzte mit einer starken Abordnung von Männern zum Ufer über. Dort klatschten die Mädchen begeistert in die Hände, und der Buntgekleidete winkte wieder mit seinem großen Tuch.
2.
Die beiden Jollen schoben sich durch die flache Brandung und wurden vom Ufersand gestoppt. Knirschend rammten sich ihre Bugpartien fest, und gleich darauf stiegen ihre Insassen aus: allen voran Hasard, dann Ben, Shane, Ferris, Smoky, Dan O’Flynn, Blacky, der Profos und der größte Teil der Crew.
Old O’Flynn war an Bord der „Isabella“ zurückgeblieben und hatte für die Zeit von Hasards Abwesenheit das Kommando an Bord übernommen. Bei ihm waren nur noch Will Thorne, Stenmark, der Kutscher und Batuti. Philip und Hasard junior, die Söhne des Seewolfs, hatten diesmal mit ihrem Bitten Erfolg gehabt. Ihr Vater hatte sie mitgenommen. Auch Bill, der Moses, war mit bei dem Trupp, der recht erwartungsvoll am Ufer landete.
Zuerst sah es so aus, als wollten sich die Mädchen mit offenen Armen den Männern entgegenwerfen, doch der Buntgekleidete rief ihnen etwas zu, und so blieben sie artig, wenn auch nach wie vor verheißungsvoll lächelnd, bei den Stoffballen, der Kiste und dem Krug stehen, während sich der Mann würdigen Schrittes den Besuchern näherte.
„Was war das für eine Sprache?“ fragte Philip junior seinen Vater.
„Italienisch.“
„Was, hier – so nah bei Südamerika, Dad?“ sagte der Junge überrascht. „Hier müßten die Leute doch eigentlich Portugisisch oder Spanisch sprechen.“
„Sei nicht so vorlaut“, wies sein Vater ihn zurecht. Dann löste er sich mit drei Schritten von der Gruppe seiner Männer und trat vor den Buntgekleideten hin.
Dieser blieb dicht vor ihm stehen und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen.
„Gestatten Sie, Senor?“ sagte er – diesmal im besten Kastilisch. „Mein Name ist Augusto Sabatini, und ich heiße Sie im Namen aller Bewohner der Insel Martin Vaz willkommen – herzlich willkommen. Wir haben schon lange keinen Kontakt mehr zur Außenwelt gehabt und freuen uns darüber, endlich einmal wieder Gäste zu haben.“
Hasard ergriff die ihm dargebotene Hand und drückte sie fest.
„Ich heiße Philip Hasard Killigrew“, sagte er. „Danke für die freundliche Begrüßung. Darüber haben wir uns sehr gefreut.“
„Wie, Sie sind kein Spanier?“ stieß Sabatini verblüfft aus.
„Haben Sie mich dafür gehalten?“
„Ja, jedenfalls schien mir Ihre Galeone, die ich schon sehr früh von der höchsten Erhebung der Insel aus entdeckte, spanischer Bauart zu sein.“
„Weit gefehlt“, sagte Hasard lächelnd. „Wir sind Engländer – und Sie stammen aus dem schönen Land Italien, nicht wahr?“
„Aus Genua, um es genau zu sagen.“
„Leben Sie schon lange hier?“
„Seit Jahren“, sagte der Genuese lachend. „Aber all das können wir uns doch viel besser in unserem kleinen ‚Paese‘, in unserer Siedlung erzählen, finden Sie nicht auch, Senor Killigrew? Kommen Sie, ich führe Sie und Ihre Männer hin. Das Dorf liegt nur zwei Meilen von hier entfernt am nördlichen Ufer.“
Hasard zögerte.
Sabatini wies an seiner Schulter vorbei auf die „Isabella“. „Ich sehe, Sie haben Ihre Geschütze ausrennen lassen. Eine Vorsichtsmaßnahme, die bei Seefahrern durchaus üblich ist. Aber hier ist sie nicht angebracht, glauben Sie mir, Senor Killigrew.“
Der Seewolf nickte ihm lächelnd zu und sagte: „Gut. Aber wie ist die Ankermöglichkeit am nördlichen Ufer? Vielleicht sollten wir mit unserer ‚Isabella‘ dorthin verholen.“
„Hier in der Bucht liegt sie geschützter. Am Nordufer haben wir nur eine kleine Pier für unsere wenigen Boote, und es gibt kein Hafenbecken oder eine Reede, auf der Segler zu ankern vermögen.“
„Dann wäre es doch sinnvoller gewesen, die Siedlung hier zu errichten“, sagte Hasard.
Sabatini schüttelte den Kopf. „Nein, nein, ganz gewiß nicht. Sie werden gleich noch sehen, warum. Kommen Sie, und vertrauen Sie mir, Sie werden sich bei uns wohl fühlen.“
„Daran zweifle ich nicht. Und ich glaube Ihnen auch, daß Sie ein redlicher und unbescholtener Mann sind, Senor Sabatini“, sagte Hasard. „Aber wie steht es mit dem viel zitierten genuesischen Geschäftsgeist? Sagen Sie nur nicht, daß es Ihnen daran mangelt.“
Hasards Männer begannen zu lachen, und Sabatini schnitt eine vergnügte Grimasse.
„Richtig, richtig“, entgegnete er. „Ich bin ein geborener Händler, ein Kaufmann an Leib und Seele. Hier, sehen Sie, Senor Killigrew, diese wertvollen Stoffe habe ich herbringen lassen, um sie zum Verkauf anzubieten.“ Er wies mit einer großartigen Gebärde auf die Ballen, dann fuhr er fort: „Aber ich habe auch ein Geschenk für Sie und Ihre Kameraden, werter Gast. Von den Genuesen heißt es immer, sie wären geizig und würden jeden Heller dreimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. Das ist eine schändliche Lüge.“ Er drehte sich zu den Mädchen um und sagte: „Portatemi il coccio – bringt mir den Tonkrug!“
Eine hübsche Blondine, die ein weißes Leinenkleid trug, und eine Dunkelhaarige, deren glutvolle Augen sich immer wieder auf den Seewolf richteten, trugen den Krug heran und setzten ihn zwischen Hasard und Augusto Sabatini im Sand ab. Auf einen Wink des Genuesen hin traten sie wieder ein paar Schritte zurück.
Hasard blickte in die Öffnung des Kruges, und auch seine Männer versuchten festzustellen, was das Gefäß denn nun eigentlich enthielt.
Sabatini bückte sich und griff mit der Hand in den Krug. Was er zum Vorschein brachte, war nicht dazu angetan, bei den Seewölfen Jubel auszulösen. Es waren schwarze, ovale Gebilde, die so ähnlich wie Kirschen aussahen und doch keine waren.
„Oliven“, sagte Hasard ohne Begeisterung.
Sabatini erhob sich und reichte ihm vier, fünf ölige Früchte auf der Handfläche.
„Es gibt grüne und schwarze Eßoliven“, erklärte er. „Aber die schwarzen sind meiner Meinung nach die besten. Olive in salamoia – Oliven in Salzlake, eine Spezialität meiner Heimat. Es ist mir gelungen, hier auf der Insel Martin Vaz Ölbäumchen anzupflanzen, die inzwischen größer geworden sind und einen recht guten Ertrag bringen. Sie kosten uns also keinen Centesimo – bitte, probieren Sie doch!“
Hasard wollte nicht unhöflich sein. Er nahm eine Olive aus Sabatinis Hand, steckte sie sich in den Mund und kaute darauf herum.
Der Genuese schritt an Hasard vorbei auf die anderen Männer zu und bot ausgerechnet dem Profos eine der schwarzen, fettig glänzenden Oliven an.
„Nun nehmen Sie schon, Senor“, sagte er aufmunternd. „Nur keine falsche Bescheidenheit.“
„Hölle“, brummte Carberry. „Warum hat er uns denn nicht einen Pakken Stoff oder die verdammte Kiste geschenkt?“ Vorsichtshalber sprach er englisch, damit der Buntgekleidete ihn nicht verstand.
„Du hast doch gehört, was Hasard über den sprichwörtlichen Geschäftsgeist der Leute von Genua gesagt hat“, flüsterte Ben Brighton ihm zu. „Und auch das mit dem Geiz stimmt