Seewölfe - Piraten der Weltmeere 256. John Roscoe Craig
Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-592-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Inhalt
1.
Big Old Shane hämmerte auf seinen Beitel ein, als wolle er das Brett, das er bearbeitete, in Sägespäne verwandeln. Seine Lippen bewegten sich unaufhörlich, und sein grauer Bart wackelte, als wäre er selbständig geworden.
Big Old Shane schwitzte. Er fühlte sich wie aus dem Wasser gezogen. Er dachte an seinen Traum, den er in der vergangenen Nacht gehabt hatte: an den kühlen, würzigen Wind, der von See her auf Arwenack zugeweht war und seine grauen Haare gefächelt hatte.
In Arwenack war jetzt Frühling. Die ersten Krokusse sprossen aus der fruchtbaren Erde, und die wärmenden Strahlen der Sonne zauberten ein Lächeln auf die Gesichter der jungen Mädchen. Das war eine andere Sonne als hier im Pyramidenland!
Big Old Shane hatte die Schnauze gestrichen voll.
Er sehnte sich nach der Weite des Meeres, nach einem steifen Wind, der den Geschmack nach Salz und Tang mit sich führte, nach dem Schreien der Seevögel und einem Wellengang, bei dem man in den Fußsohlen spürte, daß das Schiff lebte.
Die Sonne über dem träge dahingleitenden Nil stach wie mit Messern auf ihn nieder und briet ihm das Hirn. Der heiße, trockene Windhauch, der von der Wüste herüberstrich, brannte einem die Kehle aus, daß man meinte, Feuer geschluckt zu haben.
„He, du zersäbelst die ganze Planke!“
Big Old Shane schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er blickte Ferris Tucker grimmig an. Wenn der ihn jetzt noch blöd anquatschte, würde er ihm das Brett um die Ohren hauen.
„Schneid es doch selber zurecht, wenn du meinst, du kannst es besser“, knurrte er.
Ferris Tucker, der etwas erwidern wollte, schloß den Mund. Er erkannte, daß mit Big Old Shane im Moment nicht viel anzufangen war. Er nahm ihm wortlos die Planke aus den Händen und paßte sie am Loch des Schanzkleides an, das von einer neunpfündigen Kugel gerissen worden war. Sie saß wie angegossen.
„Ist noch etwas?“ fragte Big Old Shane bissig.
„Du solltest dir was auf den Schädel setzen, damit dir die Sonne nicht den Bregen weichkocht“, murmelte Ferris. „Soll ich dir mal meinen Papyrushut leihen?“ Er nahm das ulkige Gebinde von Schilfrohren, das er sich selbst zusammengebastelt hatte, vom Kopf und hielt es Big Old Shane entgegen.
„So was setz ich mir erst auf, wenn ich wirklich schon bregenweich geworden bin“, fauchte Big Old Shane.
Ferris Tucker zuckte mit der Schulter. „Du mußt es selbst wissen.“
Sie arbeiteten verbissen weiter. Ferris beobachtete den Riesen immer wieder von der Seite, aber die verkniffenen Züge Old Shanes glätteten sich nicht.
Ferris Tucker spürte – wie auch Ben Brighton, mit dem er am Morgen darüber gesprochen hatte –, daß die Stimmung in der Mannschaft immer schlechter wurde. Sie hatten alle die Nase voll von dieser Spazierfahrt auf dem breiten, lehmigen Fluß, von der Wühlerei in den Gräbern der alten Ägypter und von den ständigen Überfällen der verlausten Banditen, die meinten, daß es eine allahfürchtige Aufgabe sei, die ungläubigen Giaurs ins Jenseits zu befördern.
Die ungewohnte trockene Hitze tat ein übriges. Sie saugte ihnen die Kraft aus den Knochen, verdarb ihnen den Appetit und griff ihre Nerven an. Ferris Tucker hätte sich nicht gewundert, wenn es bald eine Schlägerei an Bord gegeben hätte.
Die Stimme des Profos’ hallte über die Kuhl. Er meckerte mit den Zwillingen herum, die Al Conroy bei der Herstellung von neuen Brandbomben helfen wollten.
„Raus hier, verdammt!“ brüllte er. „Ihr habt hier unten bei der Pulverkammer nichts zu suchen! Wenn euer Vater euch hier erwischt, zieht er euch die Hammelbeine lang!“
Ferris Tucker nickte Big Old Shane zu.
„Du schaffst es sicher allein“, sagte er. „Ich geh mal zu Al runter. Er wollte was Neues mit dem griechischen Feuer versuchen.“
Big Old Shane gab ihm keine Antwort. Er knurrte etwas in seinen grauen Bart und drehte Ferris den Rücken zu. Der zuckte noch einmal mit den Schultern, wandte sich ab und ließ sich durch die große Luke hinunter in den Frachtraum, wo Ed Carberry die Zwillinge am Schlafittchen hatte. Sie grinsten, und Ferris dachte, daß sie sicher die einzigen waren, die sich an Bord der „Isabella VIII.“ noch wohlfühlten.
Carberry stieß sie auf den Aufgang zu. Ferris schaute ihnen nach, bevor er sich an Al Conroy wandte, der eine Flasche in der Hand hielt und sie mit dem Teufelszeug füllte, das erst zu brennen begann, wenn es mit Wasser in Berührung geriet.
Ferris wischte sich den Schweiß von der Stirn. Hier unten im Schiffsraum war es stickig heiß, und er fragte sich, warum Al seine Arbeit nicht oben an Deck verrichtete. Er sagte jedoch nichts, weil er sich nicht auch noch von Al eine dumme Antwort einhandeln wollte.
Al sah Ferris’ interessiertes Gesicht und hielt ihm die gefüllte Flasche entgegen.
„Wie weit, meinst du, kann man damit werfen?“ fragte er.
Ferris hob die Schultern.
„Sechzig, siebzig Schritte“, meinte er.
Al Conroy nickte.
„Glaube ich auch“, sagte er.
„Du meinst …“ Ferris überlegte. „Das ist gut. Wir schmeißen sie gegen die Bordwand eines Angreifers, die Flasche zerbricht, das Zeug fällt ins Wasser, entzündet sich und setzt das Schiff in Brand.“
„Genau“, sagte Al.
„Wie viele Flaschen hast du schon gefüllt?“
„Vier“, erwiderte Al. „Das genügt vorerst. Das nächste Mal, wenn dieser Hundesohn Halef uns angreift, wird er sein blaues Wunder erleben.“
Ferris grinste.
„Fein“, sagte er, „aber verstau die Dinger gut, am besten in der kleinen Kammer neben dem Pulvermagazin, damit die Zwillinge nicht in Versuchung geraten, damit herumzuspielen.“
Al nickte, nahm die gefüllte Flasche wieder entgegen und stellte sie zu den anderen, die er bereits gefüllt hatte.
Ferris Tucker wandte sich ab und stieg wieder hinauf zur Kuhl, wo Big Old Shane gerade die letzte Planke ins Schanzkleid einpaßte. Stenmark und Blakky waren dabei, die von Ferris zusammengehauenen Leisten zu einer neuen Kuhlgräting zusammenzufügen, und der Kutscher jammerte, daß sich kein Schwein um seine Kombüse kümmere, obwohl die ja schließlich