Seewölfe - Piraten der Weltmeere 256. John Roscoe Craig
nicht abträglich, wenn wir mal ein paar Tage auf deinen Fraß verzichten müßten“, sagte Stenmark knurrend.
Der Kutscher schnappte nach Luft.
„Du verdammter versoffener Schwede!“ stieß er wütend hervor. „Was denkst du eigentlich, wie schwer es ist, immer wieder was Vernünftiges auf den Tisch zu bringen?“
„Hast du ‚Vernünftiges‘ gesagt?“ fragte Blacky.
Der Kutscher hob die Fäuste und war offensichtlich bereit, sich auf Blacky zu stürzen, doch dieser hielt gerade eine der Leisten für die Kuhlgräting in der rechten Hand.
Von Steuerbord herüber klang die Stimme Dan O’Flynns.
„Ein Boot hält auf uns zu!“ rief er. „Hoffentlich haben die nicht wieder eine Schweinerei im Sinn!“
Ben Brighton, der neben Pete Ballie am Ruderstand lehnte, ging zum Steuerbordschanzkleid hinüber. Er sah ein kleines Auslegerboot mit einem Dreiecksegel. Drei vermummte Männer befanden sich an Bord. Einer von ihnen stand an der Ruderpinne.
Das Boot war vollgestopft mit Körben, in denen Früchte der verschiedensten Sorten lagen. Auch der Kutscher war voller Interesse neben Dan O’Flynn getreten und sagte: „Das sind Händler. Ich könnte ein paar Früchte und Gemüse gut gebrauchen.“
„Laß lieber die Finger davon“, sagte Dan. „Nachher hab ich wieder Bauchkneifen wie beim letztenmal.“
Der Kutscher spitzte die Ohren, als ein paar Laute an seine Ohren drangen, die sich wie das Wimmern eines Kindes anhörten. Dann entdeckte er das Lamm an Bord des Bootes. Erregt wies er mit dem rechten Arm hinunter.
„Wie wär’s mit einem Lammbraten, Dan? Davon wirst du sicher kein Bauchkneifen kriegen.“
Dan nickte. Der Gedanke an frisches, saftiges Lammfleisch ließ das Wasser in seinem Mund zusammenlaufen. Er warf einen Blick hinauf zum Quarterdeck, wo Ben Brighton stand, und sagte dann zum Kutscher: „Ich werde mit Hasard sprechen. Wir müssen vor diesen Kerlen auf der Hut sein.“
Der Kutscher hatte gar nicht hingehört. Sein Blick war starr auf das Lamm gerichtet. Er malte sich aus, daß es beim Essen endlich mal wieder einigermaßen zufriedene Gesichter geben würde, wenn er den Männern einen saftigen Lammbraten servieren konnte. Allerdings würde er mit einem Tier nicht weit reichen. Aber vielleicht konnten die Araber ihm noch ein paar Tiere besorgen.
Dan enterte das Quarterdeck. In diesem Moment erschien der Seewolf im Niedergang zu den Kammern unter dem Achterdeck und schaute zu Ben Brighton hinüber.
„Was gibt es, Ben?“ fragte er.
„Ein Händler“, erwiderte Ben. „Er hat Obst, Gemüse und ein Lamm an Bord, auf das der Kutscher ganz scharf ist.“
Der Seewolf trat ans Schanzkleid und blickte zu dem Boot hinüber, das sich bis auf ein paar Faden dem Rumpf der „Isabella“ genähert hatte. Er gab Matt Davies, der sich auf dem Achterdeck um die Drehbasse gekümmert hatte, einen Wink, auf der Hut zu sein, wenn plötzlich Gefahr von dem Boot drohte.
Aber diesmal schienen sie sich alle getäuscht zu haben. Die drei Araber in dem Boot waren offensichtlich wirklich harmlose Händler. Sie versuchten, sich mit Gesten zu verständigen, und als sie begriffen, daß die Giaurs ihnen einiges von ihren Waren abzukaufen bereit waren, gerieten sie ganz aus dem Häuschen.
Carberry begann zu brüllen, als sie das Lamm hochhoben, um es an Bord der Galeone hieven zu lassen.
„Das Vieh kommt mir so nicht an Bord! Wenn es hier geschlachtet wird, versaut ihr mir das ganze Deck! Sie sollen es bei sich im Boot schlachten!“
„Quatsch!“ sagte der Kutscher wütend. „Ein frisch geschlachtetes Lamm schmeckt immer besser. Wenn ich dein Deck versaue, schrubbe ich es auch wieder sauber.“
„Das will ich auch hoffen“, knurrte Ed. „Oder ich werde die Planken mit dir aufwischen!“
Sie hievten das kläglich schreiende Lamm an Bord, und die Zwillinge waren plötzlich neben dem Kutscher und hielten das vor Angst zitternde Tier.
Als der Kutscher die leuchtenden Augen der beiden Jungen sah, ahnte er tief in seinem Inneren, daß noch einige Schwierigkeiten auf ihn warten würden, bis er den Lammbraten auf die Teller der Männer gebracht hatte.
2.
Die „Isabella“ segelte nur mit Vormars- und Großmarssegel. Der breite Strom schob kräftig mit. Sie passierten das Dorf Edfu, das sie schon auf ihrer Fahrt den Nil hinauf gesehen hatten, und die Stimmung an Bord hatte sich etwas gebessert, seit sie das Lamm gekauft hatten. Die Zwillinge spielten mit ihm wie mit einem Hund, und das Tier hatte sich auch schon an Arwenack gewöhnt, der immer wieder auf seinen Rücken sprang.
Unter den Männern bildeten sich zwei Gruppen. Die einen wollten möglichst sofort das Tier schlachten, um es zu verspeisen. Die anderen wollten auf die Mahlzeit verzichten, weil sie sahen, wie die Zwillinge und das Lamm miteinander über Deck jagten.
Der Seewolf kriegte von alledem nichts mit. Er saß in seiner Kammer über den Karten und überlegte, ob er nicht doch irgend etwas übersehen hatte, das ihm einen Hinweis auf die sagenhaften Schätze des Königsgrabes von Tutench-Amon gab.
Er schüttelte den Kopf und legte die Karten zur Seite. Er hätte sich vielleicht doch eingehender mit dem Hafenbeamten Othman Mustafa Ashmun unterhalten sollen. Zusammen mit diesem Mann wäre es sicher einfacher gewesen, das Geheimnis der Karten zu ergründen.
Hasard stand auf und trat an das Fenster seiner Kammer. Die Ufer des Nils glitten langsam an ihm vorbei. Seine Gedanken beschäftigten sich plötzlich wieder mit dem sagenhaften Kanal, der vom Nil aus ins Rote Meer führen sollte. Der Seewolf war sich durchaus darüber im klaren, daß sich dieser Kanal als reine Legende entpuppen konnte, aber die Sensation einer solchen Entdeckung, wenn es ihn wirklich gab, würde so ungeheuerlich sein, daß er das Risiko eingehen wollte, ihn zu suchen. Ein Seeweg über den Nil nach Indien! Die Vorstellung allein verursachte ihm Schwindel.
Ein dumpfes Dröhnen hallte von draußen zu ihm in die Kammer. Für einen Moment hatte er das Gefühl, die Planken würden unter seinen Füßen vibrieren. Er beugte sich etwas vor und starrte aus dem Fenster, aber weit und breit war kein Schiff auf dem Nil zu sehen.
Hastig drehte er sich um. Er hörte das Schreien seiner Männer und hatte die Tür seiner Kammer noch nicht erreicht, als sie bereits aufgerissen wurde und Ben Brighton hereinstürmte.
„Feuer!“ stieß Ben mit verzerrtem Gesicht hervor. „Irgend etwas ist unter Deck explodiert!“
Er wandte sich sofort wieder um und hastete den Gang zurück zum Achterdeck.
Der Seewolf war dicht hinter ihm. Mit wenigen Sätzen waren sie den Niedergang hinauf. Außer Pete Balie war niemand mehr auf dem Achterdeck.
„Al Conroys Bombe mit dem griechischen Feuer ist hochgegangen!“ brüllte Pete ihnen entgegen.
„Du bleibst am Ruder!“ rief der Seewolf zurück. „Versuch, so dicht wie möglich ans Ufer zu fahren, ohne daß wir auflaufen!“
Er sah, wie Ben bereits den Niedergang zur Kuhl hinuntersprang.
„Ed!“ brüllte der Seewolf. Er hastete hinter Ben her.
Dicke Qualmwolken standen über der Kuhl. Die Männer hatten eine Kette gebildet und reichten sich Ledereimer zu. Smoky hievte gerade den ersten mit Wasser gefüllten Eimer hoch.
Ed Carberrys Kopf tauchte zwischen dichten Qualmwolken auf. Sein Blick war auf Hasard gerichtet, doch dann sah er die Kette der Männer, die Eimer voll Wasser von einem zum anderen reichten.
„Seid ihr verrückt, ihr hirnrissigen Affen?“ brüllte er. „Wollt ihr das Schiff in eine Fackel verwandeln? Wenn auch nur ein Tropfen Wasser mehr mit dem griechischen Feuer in Berührung gerät, ist hier die Hölle los!“
Die Männer, die bereits einen gefüllen