Seewölfe - Piraten der Weltmeere 256. John Roscoe Craig
die Besinnung genommen. Er fühlte den Druck des kleinen Körpers, den er auf der Schulter trug, und er hoffte, daß es nicht zu spät war.
Er schob die Männer, die die Pulverfässer nach oben durch die Luke hoben, zur Seite und kletterte keuchend die Sprossen hinauf. Hände streckten sich ihm entgegen und griffen nach der Last auf seinen Schultern. Er hatte das Gefühl, daß seine Lungen gleich platzen würden, aber er wußte, daß er hier im Qualm keine Luft holen durfte, wenn er nicht ohnmächtig zusammensinken wollte.
Hastig zog er sich zurück. Das Fauchen und Brüllen der Flammen in den Ohren, lief er ein paar Yards zur achterlichen Kammer, riß die Tür auf, sprang hindurch und knallte sie wieder hinter sich zu.
Die Luft war auch hier alles andere als klar, aber dennoch sog er sie gierig in seine Lungen. Ein paarmal atmete er tief durch, dann sprang er zurück. Ein anderer hastete an ihm vorbei. Auch er wollte wohl mal wieder etwas anderes als Qualm in die Lungen kriegen.
Dan sah, daß die Pulverkammer sich langsam leerte. Aber noch war die Gefahr nicht gebannt. Die Zwischenwand vom kleinen Raum zur Pulverkammer glühte. Es war nur noch eine Frage von Minuten, wann sie zusammenbrechen und den Flammen den Weg in die Pulverkammer freigeben würde.
Eine kleine Gestalt taumelte an ihm vorbei. Dan sah, daß sich auch Philip kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er nahm dem Jungen das kleine Pulverfaß aus den Händen und schrie: „Verschwinde von hier unten! Du hast jetzt genug geholfen! Hasard ist schon oben!“
Philip schüttelte den Kopf und wollte Dan das Faß wieder abnehmen, aber dieser packte mit der Linken zu und schob den Jungen vor sich her auf die Luke zu, durch die der Qualm fauchte, als säße im Schiff jemand, der ihn hinausblies.
Dan wußte, daß er es nicht mehr lange hier unten aushalten konnte. Er entschloß sich, Philip nach oben zu bringen und selbst auch für ein paar Minuten frische Luft zu schnappen, bevor er hier unten zusammenbrach und eine Belastung für die anderen war.
Philip wehrte sich heftig, doch als sie mitten im Qualm waren, ließen seine Bewegungen nach.
Keuchend erreichte Dan die Kuhl und wich sofort zum Vorschiff hin aus, da der leichte Wind die Rauchschwaden nach achtern blies.
Philip hustete und ließ sich neben Hasard, um den sich Ed gekümmert hatte, nieder.
„Erholt euch einen Augenblick“, sagte Dan hastig, „dann helft dem Profos, die Pulverfässer entgegenzunehmen, klar?“
Die Zwillinge nickten. Immer wieder husteten sie, aber Dan sah, daß es nicht so schlimm war.
Er drehte sich um, hielt seinen Kopf noch für eine Weile in die qualmfreie Luft und tauchte dann wieder in der Luke unter.
Die „Isabella“ lag inzwischen vor Anker. Die Strömung hielt das Schiff in der Fahrrinne, so daß keine Gefahr bestand, daß die Galeone auflief. Pete Ballie hatte das Ruder festgezurrt und half in der Kuhl, die Pulverfässer zu stapeln.
Jetzt tauchten in Abständen immer wieder Männer an Deck auf, um nach Luft zu schnappen. An ihren Gesichtern war abzulesen, daß unter Deck die Hölle sein mußte.
Die Zwillinge waren nicht lange zu halten. Sie arbeiteten wie die Verrückten. Carberry blieb allerdings jetzt ständig in ihrer Nähe und überwachte sie. Er wußte, daß er den Jungen nicht erlauben durfte, sich zu lange in dem dichten Qualm aufzuhalten.
Hasard junior hatte gerade ein weiteres Faß entgegengenommen, aber es rutschte ihm aus den Händen. Fluchend bückte er sich danach und stemmte es keuchend wieder hoch. Carberry hatte ihm zu Hilfe eilen wollen, doch da er selbst gerade zwei Fässer schleppte und sah, daß der Junge sein Faß wieder aufhob, wandte er sich ab.
Niemand sah, daß Hasards Faß beim Aufprall leck geworden war. Pulver rieselte hervor und zog eine Spur über das Deck.
In diesem Augenblick tauchte das rußverschmierte Gesicht von Bill aus der Luke auf. Er brüllte etwas, das niemand verstehen konnte und schlug mit der einen Hand immer wieder auf seine Hose ein, an der sich ein paar Funken in den Stoff gefressen hatten.
Er hechtete mit einem Satz aus der Luke, zerrte sich die Hose vom Leib und warf sie von sich.
Carberry, der gerade seine beiden Fässer abgestellt hatte und sich umdrehte sah, wie sich an der Stelle, wo Bills Hose landete, zischend eine kleine Flamme erhob. Er sah die kleine graue Spur, die Hasard hinter sich herzog, sah, wie die kleine Flamme sich sprühend und zischend an der grauen Spur entlangfraß, und jagte schreiend auf Hasard los.
Der Junge blieb erschrocken stehen und starrte Carberry entgegen. Er begriff nicht, was geschehen war.
„Laß das Faß fallen!“ brüllte der Profos. „Weg damit!“
Hasard verstand nicht. Er drehte sich um, weil er annahm, daß hinter ihm irgend etwas geschehen war. Er sah die kleine Flamme, die sich blitzschnell über die Planken auf ihn zufraß, aber er konnte das Geschehen nicht sofort deuten. Erst als auch die anderen Männer an der Kuhl zu schreien begannen, begriff er.
Er schaute an sich hinunter und sah, wie das Pulver aus seinem Faß lief und zu seinen Füßen bereits einen kleinen Haufen gebildet hatte. Die Flamme war nur noch drei Yards von ihm entfernt.
Er wollte das Faß loslassen, doch in diesem Augenblick erhielt er einen Stoß, der ihn ein paar Schritte zur Seite schleuderte. Das Faß wurde ihm aus den Händen gerissen, und im Stürzen sah er, wie Carberry es mit einem gewaltigen Schwung übers Schanzkleid beförderte.
Der Profos selbst hatte sich nicht mehr rechtzeitig zur Seite werfen können. Zu seinen Füßen erreichte die Flamme den Pulverhaufen und ging fauchend in eine Stichflamme über, die Carberry übers Gesäß den Rücken hinauffuhr.
Carberry brüllte, preßte beide Hände auf das geröstete Hinterteil und begann einen Tanz, der einem Derwisch alle Ehre eingebracht hätte.
Sofort waren zwei Männer bei ihm und erstickten die Funken, die seine Beinkleider in Brand setzen konnten.
Hasrad saß immer noch auf dem Hosenboden und starrte den Profos an. Im ersten Augenblick hatte er über Carberrys Tanz lachen wollen, doch dann dachte er an das Pulverfaß, das er in den Händen gehalten hatte, und auf einmal wurde ihm klar, wie knapp er dem Tod entronnen war. Das Pulver hätte ihn glatt zerrissen.
Der Junge war auf einmal ganz grün im Gesicht, und als Carberry ihn sah, ging er zu ihm hinüber und sagte: „Vergiß es, Rübenschweinchen. Irgendwann zahlst du es mir zurück, klar?“
Hasard nickte. Er konnte nicht verhindern, daß ihm eine Träne über die Wange lief. Er wischte sie hastig weg und stieß mit gepreßter Stimme hervor: „Dieser verdammte Qualm!“
Ein leichtes Grinsen huschte über Carberrys Züge, dann erwiderte er: „Los, weiter, Junge. Wir sind noch nicht mit der Arbeit fertig.“
„Sand her!“ brüllte Ferris Tucker.
Er wußte, daß er es nicht mehr schaffen konnte, auch den Rest der Fässer aus der Pulverkammer zu schaffen. Er hatte die Trennwand zur kleinen Kammer, in der es immer noch brannte, leergeräumt, und er hatte die Hitze durch die Planken gespürt. Jetzt war die Hitze schon unerträglich, und Ferris war sich darüber klar, daß die Planken jeden Moment zusammenbrechen und den Weg für die Flammen in die Pulverkammer freigeben konnten.
Immer wieder fluchte er unterdrückt über das höllische, griechische Feuer. Einen normalen Brand hätten sie schon längst mit Wasser gelöscht. So gefährlich das Zeug auch für ihre Gegner war – jetzt erwies es sich, daß sie einen Selbstzünder an Bord gehabt hatten.
Ferris riß Batuti einen Eimer Sand aus den Händen.
„Mehr!“ brüllte er. Er schüttete den Eimer auf den Bodenplanken aus, damit sich das Feuer dort nicht weiterfressen konnte, wenn die Trennwand zusammenbrach.
Er hörte draußen die Männer husten und keuchen. Die Luft in der Pulverkammer war zwar auch heiß und stickig und kaum zu atmen, aber wenigstens war er bisher von dem dichten Qualm verschont geblieben, der sich durch die Luke und durch einige