Seewölfe - Piraten der Weltmeere 102. Kelly Kevin

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 102 - Kelly Kevin


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murmelte Old O’Flynn, der zwar nicht angesprochen worden war, aber aus Erfahrung wußte, daß man bei dem gewissen scharfen Tonfall in der Stimme des Seewolfs nicht vorsichtig genug sein konnte.

      „Wer quasselt da was von Jonas?“ erkundigte sich Ed Carberry, der eben im Kombüsenschott auftauchte und nur die Hälfte gehört hatte.

      „Niemand, Ed“, sagte Hasard.

      Aber er sagte es so, daß der eiserne Profos lieber darauf verzichtete, lauthals zu verkünden, daß er, verdammt noch eins, schließlich gesunde Ohren habe.

      Der Kutscher flößte dem Schiffbrüchigen erst eine Muck Trinkwasser und dann einen kräftigen Schluck Rum ein. Anschließend stellte er fest, daß die Kopfwunde schon hinreichend vom Salzwasser des Pazifiks desinfiziert sei, und murmelte etwas von „Kreislauf“ und „Blut in Wallung bringen“.

      Ein paar von den Männern begannen an ihrem Weltbild zu zweifeln, als sie sahen, wie der Kutscher einen alten Lappen mit Rum tränkte und den starren Körper des Schiffbrüchigen damit abrieb. Die Reaktion war gleich Null. Sträfliche Verschwendung, ließ sich von den Gesichtern der Männer ablesen. Aber im Augenblick verspürte niemand Lust, das laut zu sagen.

      Der Kutscher erklärte, daß der Unbekannte vorerst nichts weiter als Ruhe, Schatten und kräftiges Essen brauche.

      Das alles konnte er ohne viel Aufwand kriegen. Er wurde auf eine Persenning im Schatten des Achterkastells gebettet, und für den Rest des Tages hatten die Seewölfe keine Zeit mehr, sich um ihn zu kümmern.

      Die Wasserhose hatte auf der „Isabella“ eine ganze Menge zerschlagen.

      Eine neue Fockmarsrah mußte geriggt, das Steuerbord-Hauptwant repariert, haufenweise Tauwerk gespleißt und ein neues Fockmarssegel angeschlagen werden. Will Thorne, der Segelmacher, war pausenlos beschäftigt, ebenso wie der Schiffszimmermann und der Stückmeister, der dafür zu sorgen hatte, daß die „Isabella“ wieder gefechtsklar wurde. Die Männer schufteten in der Hitze des tropischen Nachmittags, lenzten den achteren Laderaum leer, klarten auf, überprüften jede Planke, jeden Bolzen, jedes Bändsel, und der Profos tobte von einem Ende des Schiffs zum anderen und drohte jedem mit Kielholen, Hautabziehen und Ander-Rahnock-hängen, der es auch nur wagte, mal den Kopf zu heben.

      Die Dämmerung brach plötzlich herein, wie immer in den Tropen.

      Es hatte aufgebrist, die „Isabella“ lief wieder Fahrt. Immer noch war von dem Schwarzen Segler Siri-Tongs nichts zu sehen, aber Hasard wußte, daß der Viermaster rasch wieder aufsegeln würde. Stetig glitt die „Isabella“ nach Westen.

      Den ausgemergelten Schiffbrüchigen, der im Schatten des Achterkastells kauerte, hatten die Seewölfe fast vergessen.

      Als er sich wieder in Erinnerung brachte, hockte der Schiffsjunge Bill gerade im Licht einer Schiffslaterne auf der Kuhl und sah dem Segelmacher über die Schulter, um die Bootsmanns-Naht zu lernen.

      Der weißhaarige Will Thorne zuckte leicht zusammen, als er den Schatten bemerkte, der plötzlich neben dem Niedergang hochschnellte.

      Auch Hasard hatte die Bewegung gesehen. Er lehnte an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und blickte aus zusammengekniffenen Augen zu dem Fremden hinunter. Bisher hatte der Mann an seinem Platz gekauert, als sei er zu Stein erstarrt, jetzt atmete er heftig. Seine Brust hob und senkte sich rasch, die Hände mit den langen, dürren Fingern zuckten unruhig.

      Er flüsterte etwas.

      Ein einzelnes Wort, das er zwei-, dreimal wiederholte. Ein Name, wie der Seewolf zu verstehen glaubte.

      „Morro“, krächzte die dünne, brüchige Stimme. „Morro – Morro …“

      Und dann, mit erschreckender Plötzlichkeit, warf der Mann die Arme hoch und begann zu schreien.

      „Morro! Meineidiger Hund! An der Rahnock sollst du hängen! Ich bin der Kapitän – der Kapitän! Alle Mann an Deck! Hängen sollst du! Hängen, hängen, hängen …“

      Seine Stimme überschlug sich und kreischte in schrillem Falsett.

      Wie von einem Katapult abgeschnellt raste er los, quer über die Kuhl. Ganz offensichtlich hatte er vor, über Bord zu springen.

      Bill und der alte Segelmacher waren wie gelähmt.

      Hasard reagierte sofort und wollte sich mit einem Satz über die Schmuckbalustrade schwingen, aber da sprangen bereits die Männer auf, die vor den Speigatten gehockt und Tauwerk gepleißt hatten. Mit vier, fünf Schritten erreichte der drahtige, flinke Sam Roscill den Schiffbrüchigen – und torkelte im nächsten Moment zurück, als die ausgemergelte Elendsgestalt ihn unversehens mit einem wilden Schwinger erwischte.

      Viel Dampf saß nicht dahinter, aber der Schlag erfolgte so überraschend, daß sich Sam. Roscill auf den Planken überschlug.

      „Hiergeblieben!“ rief Ed Carberry, der von der anderen Seite heranfegte. Seine riesige Pranke schoß vor und packte den Unbekannten am Kragen. Der Mann kreischte. Sam Roscill sprang auf, fauchend vor Wut, und wollte sich auf den Mann stürzen.

      Matt Davies streckte nur mal eben die Rechte aus. Roscill schrie wütend auf, als er plötzlich am Haken des Einarmigen festhing. Die anderen wollten sich ausschütten vor Lachen. Sam Roscill wollte etwas ganz anderes, nämlich Matt Davies an die Kehle fahren. Aber im nächsten Augenblick vergaß er seine Absicht, denn da begann der Schiffbrüchige in Carberrys Griff zu toben wie ein rasender Derwisch.

      Er schrie, spuckte, geiferte und sprudelte einen Schwall von unverständlichen Worten hervor, während seine Augen im Wahnsinn glühten. Blindlings schlug er um sich, bäumte sich auf, versuchte zu kratzen und zu beißen. Ed Carberry, der dem armen Kerl nicht ernsthaft wehtun wollte, vermochte ihn kaum zu bändigen. Mit der ausgestreckten Faust hielt er ihn am Kragen, und immer noch kreischte die heisere Greisenstimme Flüche und Verwünschungen.

      „Verrat“, war zu verstehen. „Meuterei – Mordsgesindel – Rache …“

      In wilder Wut drohte der Verrückte, irgendwelche Verräter aufhängen zu lassen, und kreischte immer wieder, daß der Tag der Rache kommen und er, der Kapitän, blutiges Gericht halten werde. Inzwischen war auch der Rest der Crew an Deck erschienen und starrte auf die makabre Szene. Zumindest diejenigen unter den rauhen Kerlen, die ohnehin an Wassermänner, Geisterschiffe, Unglücksboten und ähnlichen Spuk glaubten, wurden etwas blaß um die Nasen.

      Carberry gehörte auch nicht zu denen, die etwa am Mast gekratzt oder vor sich hin gepfiffen hätten, da man schließlich wußte, daß so etwas den Sturm anlockte. Aber im Augenblick erschien ihm der tobende, geifernde, um sich schlagende Kerl in seinem Griff viel zu real, um ihn unheimlich zu finden. Nach dem zweiten Nasenstüber war es der Profos leid.

      „Na warte, du Affenarsch!“ sagte er erbittert, und dann begann er, den Tobsüchtigen wie einen nassen Lappen zu schütteln.

      Schlimmer hätte es dem Burschen auch nicht ergehen können, wenn er ins Zentrum der Wasserhose geraten wäre.

      Er beruhigte sich sehr schnell.

      Das heißt: er verlor das halbe Bewußtsein, und Carberrys kräftige Fäuste schienen die Erinnerungsfetzen in seinem Hirn dermaßen durcheinanderzuschütteln, daß er auch die „Verräter“ und den „Tag der Rache“ vergaß. Er fiel in sich zusammen. Als der Profos ihn mit einem ärgerlichen Brummen wieder auf die Persenning neben dem Niedergang setzte, ließ er den Kopf auf die Knie sinken und rührte sich nicht mehr.

      Carberry rieb sich über sein Rammkinn und blickte zum Achterkastell hoch.

      „Der Idiot wollte über Bord springen“, entschuldigte er sich. „Sollte ich ihm vielleicht zu seinem eigenen Besten noch eins auf seinen verlausten Schädel plätten?“

      „Wo soll der denn Läuse haben?“ fragte Dan O’Flynn grinsend. „Der ist doch so kahl wie …“

      „Halt deinen vorlauten Mund, sonst bist du auch gleich kahl“, schnauzte der Profos. „Weil ich dir nämlich die Haare einzeln ausreiße, du grüner Hering! Aber im Ernst: man


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