Seewölfe - Piraten der Weltmeere 595. Davis J.Harbord
Der Graf von Essex warf sich in die Brust und näselte: „Meine ‚Arrow‘ hat zwanzigtausend Pfund gekostet, sie ist die verbesserte Kopie einer holländischen Staatenyacht – verbessert natürlich nach meinen Plänen – ähem.“
„Soso“, murmelte Hasard und erinnerte sich an jene „Arrow“, die hinter der „Fidelidad“ an der östlichen Towerpier vertäut lag.
Sie waren an ihr beim Einlaufen zu ihrem Liegeplatz vorbeigesegelt.
„Scheint die Luxuslaube von so einem hochwohlgeborenen Arschloch zu sein“, hatte der Profos in seiner unnachahmlichen Direktheit von dieser Prunkyacht gesagt und damit den Nagel auf den Kopf getroffen.
Was das Äußere dieser „Arrow“ – es bedeutete soviel wie „Pfeil“ – betraf, da konnte der Unterschied zur Schebecke der Seewölfe allerdings kaum größer sein. Gegen die Schmucklosigkeit der Schebecke war die „Arrow“ ein funkelnder Edelstein.
Mein Gott, dachte Hasard, zwanzigtausend Pfund für ein Schiff, das diesen Nichtstuern zu Vergnügungsfahrten auf der Themse dient! Es ist nicht zu fassen. Es reicht nicht, daß sie wie die Gecken herumstolzieren, ihre Finger mit Ringen schmücken und Prunkwaffen zur Schau tragen, nein, sie müssen dem niederen Volk ihre eingebildete Erhabenheit auch noch mit solchen Prunkyachten demonstrieren.
Und die Königin ließ das zu?
Sie las seine Gedanken und sagte: „Es paßt dir nicht, Rebell, nicht wahr?“
„Ich habe nicht darüber zu befinden, ob sich der Graf von Essex einen goldenen Ring durch die Nase zieht“, erwiderte Hasard geradeheraus. „Und ich muß dabei an die Admirale Hawkins und Drake denken. Meine Männer und ich waren Augenzeugen ihrer letzten Fahrt in die Karibik. Ich denke dabei an den Zustand der Mannschaften und der Schiffe. Er war erbarmungswürdig. Es lag an der mangelhaften Ausrüstung, an schlechtem Proviant und Trinkwasser. So lautet denn die Frage, ob jene ehrenwerten Gentlemen, die sich für zwanzigtausend Pfund zum privaten Vergnügen eine Prunkyacht leisten können, nicht besser täten, mit diesem Geld die Schiffe Ihrer Majestät auszurüsten, jene Schiffe, die gegen Spanien kämpfen und England abschirmen? Nun, ich sagte, ich habe nicht darüber zu befinden. Dafür freut es mich um so mehr, Ihrer Majestät die ‚Fidelidad‘ übergeben zu dürfen. Sie liegt hinter unserer Schebecke. Darf ich Ihre Majestät an Bord bitten?“
„Gern“, sagte die Königin lächelnd, hakte sich bei Hasard ein und ließ sich von ihm zur „Fidelidad“ führen.
Der Graf von Essex stand ziemlich dumm da und zuckte zusammen, als Hasard über die Schulter sagte: „Sie sind ebenfalls herzlich zur Besichtigung eingeladen, Sir. Es wird Sie sicher interessieren, welcher Art unsere Geschenke für Ihre Majestät sind.“
Da stelzte der Graf hinter dem Paar her, und seine Miene war nicht sehr fröhlich, was keineswegs verwunderlich war. Wer ließ sich schon gern sagen, er möge sein Geld in die Royal Navy stecken statt in eine private Prunkyacht!
Außerdem war er, der Favorit der Königin, zur Zeit restlos abgemeldet, ja, die Königin himmelte diesen Kerl geradezu an. Unmöglich! Wer war dieser Killigrew denn? Ein hergelaufener Bastard! Gerüchten zufolge ein Kuckucksei in der Killigrewsippe! Und so was wollte ihn, den Earl of Essex, belehren! Trotzdem, ein gefährlicher Bursche …
Plötzlich blieb die Königin am Arm des Bastards stehen und drehte sich um.
„Du siehst verdrießlich aus, mein Guter“, sagte sie. „Ist dir eine Laus über die Leber gekrochen?“ Und sie lächelte spöttisch. „Aber nicht doch! Du solltest dir ein Beispiel an Sir Hasard nehmen. Er schenkt mir mal eben eine spanische Galeone samt ihrer Ladung.“
„Wird nicht weit her sein mit der Ladung“, knurrte der Graf von Essex. „Die Galeone sieht mir nicht gerade danach aus, als sei sie für den Transport einer wertvollen Ladung geeignet. Die Spanier müßten Dummköpfe sein, diesem maroden Schiff kostbare Güter anzuvertrauen!“
„Oh!“ sagte Hasard. „Wir wissen zufällig, daß dieses marode Schiff in einem Geleitzug segelte, der auf der Fahrt von Havanna nach Cadiz unterwegs war. In einem Sturm wurde die ‚Fidelidad‘ von dem Geleitzug getrennt und hatte das Pech, reichlich zerrupft von Überfahrt und Sturm in unsere offenen Arme zu laufen. Leider hatten wir dann nicht die Zeit, das Äußere der ‚Fidelidad‘ so hübsch golden zu verzieren wie Ihre ‚Arrow‘, was natürlich für das Auge wohlgefälliger gewesen wäre. Uns erschien die Ladung wichtiger und vielleicht leuchtet auch Ihnen ein, daß Schiffe aus Westindien – also der Neuen Welt – erstens nach den langen Wochen der Seefahrt nicht so geleckt und gelackt aussehen können wir Ihr Luxusspielzeug und zweitens in der Regel in ihren Laderäumen Güter mitführen, von denen Sie, verehrter Graf, allenfalls träumen können. Es handelt sich nämlich um jene Güter, die in den Goldturm von Sevilla wandern, falls Sie wissen, was ich damit meine.“
Der Graf von Essex biß sich auf die Lippen, denn da hatte er allerlei Ohrfeigen einstecken müssen.
„Dieser Mann beleidigt mich ständig, Majestät!“ beschwerte er sich.
Bevor die Königin antworten konnte, sagte Hasard: „Bitte um Verzeihung, Sir. Es war nicht meine Absicht, Sie zu beleidigen. Ich habe nur den Eindruck, daß Sie manchmal nicht wissen, von was Sie sprechen. Ihre Beurteilung der ‚Fidelidad‘ und ihrer Ladung war falsch, und ich habe Sie lediglich korrigiert.“
„Sie haben meine ‚Arrow‘ als Luxusspielzeug bezeichnet!“ fauchte der Graf.
Hasard tat erstaunt. „Ist es doch auch! Oder etwa nicht? Während Sie mit diesem Gefährt Wettrennen auf der Themse veranstalten, sind wir mit dem sogenannten maroden Schiff und dem ‚Brettergerüst‘ vor den spanischen Verfolgern weggerannt – oder stellten sie zum Kampf, je nach Lage und Aussicht auf Erfolg. Wir riskierten dabei Kopf und Kragen, wie das bei Seegefechten üblich ist. Tun Sie das auch bei Ihrem Zeitvertreib auf der Themse?“
Der Graf von Essex schnappte nach Luft.
Die Königin kicherte, hängte sich wieder bei Hasard ein und sagte: „Laß sehen, was du mir mitgebracht hast, Rebell!“
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