Seewölfe - Piraten der Weltmeere 528. Burt Frederick
Das ist doch völlig ausgeschlossen.“
„So?“ stieß der alte O’Flynn hervor, und er sah dabei aus wie ein Seeadler, der jeden Moment zupacken will. „Einer, der noch nie die Brandsätze gesehen hat, wird auch behaupten, daß es so was nicht gibt. Oder?“
„Glaube ich nicht“, widersprach Philip. „Auf unserer Seite der Welt gibt es Schwarzpulver, und bei den Chinesen gibt es Schwarzpulver. Wir wissen, was mit dem Zeug möglich ist. Feuerwerker sind doch auch am Hof der königlichen Lissy tätig, oder?“
„Sprich nicht so respektlos von Ihrer Majestät“, sagte Old Donegal. „Im übrigen sind die Londoner Feuerwerker Waisenknaben gegen ihre chinesischen Kollegen. Das brauche ich euch wohl nicht zu erzählen. Oder habt ihr in Old England schon mal Feuerbäume, Flammenblumen und Pfirsichblüten am Himmel gesehen?“
„Du lenkst ab, Grand-Dad“, sagte der junge Hasard. „Das hat ja nun mit der Sache überhaupt nichts zu tun.“
Der alte O’Flynn sperrte den Mund auf. Für Atemzüge verschlug es ihm die Sprache. Es wurde immer schwieriger, sich mit diesen beiden jungen Kerlen auseinanderzusetzen. Stattliche Burschen waren sie allein äußerlich schon geworden. Und auf den Kopf gefallen waren sie erst recht nicht. Man mußte sich doch tatsächlich schon anstrengen, wenn man sich mit Worten gegen sie durchsetzen wollte.
„Mit welcher Sache?“ knurrte er daher erst einmal ausweichend. „Reden wir von den besonderen Fähigkeiten der Chinesen, oder nicht?“
„Das schon“, erwiderte Philip. „Aber Schwarzpulver und Brillen sind zwei verschiedene Schnallenschuhe.“
„Das mußt du mir erst mal verklaren“, sagte Old Donegal mit listigem Grinsen. „Wo soll denn da der Unterschied liegen? Jetzt bin ich mal gespannt, was du dir da ausdenkst.“
„Ich brauche mir nichts auszudenken“, entgegnete Philip mit gespielter Empörung. „Die Sache liegt doch klar auf der Hand: Mit den Brandsätzen spielen die Chinesen nur herum. Das ist für sie nur Vergnügen. Irgendeinen Nutzen sehen sie darin nicht – bis auf ein paar bezopfte Piraten.“
„Stimmt haargenau“, sagte der alte O’Flynn und nickte. „Und weiter?“
„Wenn es sie gäbe, diese Nebelbrillen“, fuhr Philip fort, „dann könnten die Chinesen das Geschäft des Jahrhunderts tätigen. Überall in der Welt würde man ihnen die Nebelbrillen aus der Hand reißen.“
„Oder die gerissenen europäischen Kaufleute würden an dem Geschäft verdienen“, sagte Hasard junior. „Sie brauchten bloß die Nebelbrillen im Reich der Mitte einzukaufen und dann zu überhöhten Preisen zu verschachern.“
„Fein, ihr beiden Neunmalklugen“, sagte Old Donegal bissig. „Und was ist, wenn die Chinamänner ihre Erfindung geheimhalten wollen? Wenn sie nicht wollen, daß irgend jemand sonst auf der Welt im Nebel sehen kann?“
Die Zwillinge grinsten sich an.
„Damit kann man sich natürlich herausreden“, sagte Philip. „Aber es hätte trotzdem keinen Sinn. Soweit wir gelernt haben, sind die Chinesen nicht auf Eroberungen aus. Eine richtige Seestreitmacht haben sie nicht. Also bringt es ihnen auch keinen großen Vorteil, wenn sie die Nebelbrille für sich behalten.“
Old Donegal schüttelte entnervt den Kopf.
„Mit euch kann man einfach nicht reden. Ich glaube, ihr wollt mich gar nicht verstehen. Die Chinesen haben eine völlig andere Mentalität als wir. Das muß man erst mal begreifen, wenn man verstehen will, was sich im Reich der Mitte so alles abspielt.“
„Hoffentlich kriegen sie uns nicht zu sehen – mit ihren Nebelbrillen“, sagte Hasard junior mit todernster Miene. „Bestimmt wird es dann noch schlimmer als in Shanghai.“
„Wieso denn das?“ fragte Old Donegal verwundert.
Philip mußte sich die Hand vor den Mund halten, um nicht zu grinsen. Sein Bruder führte den Old Man auf den Leim, ohne daß der es merkte.
„Ist doch klar“, fuhr Hasard denn auch mit unverändertem Ernst fort. „Mit den Nebelbrillen sind sie uns gegenüber zehnmal im Vorteil. Wir können nichts sehen, und sie schießen uns nach Strich und Faden zusammen.“
Old Donegal schnappte nach Luft. Dann stieß er einen ärgerlichen Knurrlaut aus und wandte sich wieder nach vorn – unmißverständliches Zeichen dafür, daß er das Gespräch damit für beendet hielt.
Noch immer rollte der Geschützdonner durch die grauen Schwaden heran. Das Gefecht konnte sich weit entfernt abspielen, es konnte aber auch sehr nahe sein. Wie alle Männer an Bord der „Santa Barbara“, wußten auch die Zwillinge, daß einem der Schall bei Nebel manchmal einen Streich spielte.
2.
Den Kapitän der „Kroontje“ hielt es schon lange nicht mehr auf dem Achterdeck, denn dort gab es keine Geschütze. Nur beiderseits der Kuhl befanden sich jeweils sechs Neunzehn-Pfünder hinter den längst geöffneten Stückpforten.
Rien van Ommeren war mitten zwischen seinen Männern, fluchte lauthals, wenn Geschosse heranfauchten und einschlugen und hastete von einem Geschütz zum anderen, um das Richten zu übernehmen.
Noch lag die „Kroontje“ auf Kurs West-Nord-West, auf einem langen Kreuzschlag nahe der Küste bei Wenzhou. Doch es war abzusehen, daß die Galeone die Hafenstadt nicht erreichen würde. Der lange Weg von Surabaja war ohne Zwischenfälle verlaufen und ging nun, so nahe vor dem Ziel, im Morgennebel vor der chinesischen Küste der Provinz Zheijiang jäh zu Ende.
Fock-, Fockmars- und Großmarssegel bestanden nur noch aus schwarzen, glimmenden Resten. Die Chinesen hatten ihre verfluchten Brandsätze aus dem Nichts herübergeschleudert, und es hatte den Anschein gehabt, als ob flüssiges Feuer vom Himmel geregnet wäre. Das Besansegel war von Geschossen zerfetzt worden. Lediglich das Großsegel war noch einigermaßen brauchbar, wenn es auch bereits die ersten Risse hatte.
Zum Glück war keiner der insgesamt fünfundzwanzig Männer van Ommerens bislang ernsthaft verwundet worden. Der stämmige, breitschultrige Kapitän mit dem strohblonden Haar und dem gleichfarbigen Vollbart, hatte seine ursprüngliche Annahme revidiert.
Die Chinamänner hatten keineswegs die Fähigkeit, im Nebel zu sehen.
Was sie jedoch hatten, waren hervorragende Kenntnisse der Wetterverhältnisse in diesen küstennahen Breiten. Außerdem beherrschten sie ihre Segler meisterhaft, und sie nutzten offenbar das winzigste Aufreißen der Nebelbänke, um sich zu orientieren.
Hinzu kam ihre Fähigkeit, den Kurs und die Fahrt der einmal gesichteten Galeone zu berechnen, um die Position ständig überwachen zu können.
Nein, im Nebel sehen konnten diese schlitzäugigen Halunken ganz gewiß nicht. Und mit dem Teufel standen sie auch nicht im Bunde. Der bisherige Erfolg ihres Angriffs beruhte ganz einfach auf eben jenem Geschick und auf ihrer geballten Feuerkraft.
Obwohl sie bislang nicht mehr als huschende Schatten und die Feuerlanzen der Mündungsblitze gesehen hatten, war Rien van Ommeren mittlerweile sicher, daß er und seine Männer es mit acht oder neun Seglern zu tun hatten. Anzunehmen, daß es sich um Dschunken handelte. Und deren Besatzungen konnten nur aus Schnapphähnen übelster Art bestehen.
Van Ommeren hatte bislang nur einige wenige Einzelschüsse abfeuern lassen. Denn welchen Sinn hatte es, Munition zu vergeuden, wenn man kein sichtbares Ziel vor Augen hatte?
Doch das mußte anders werden.
Auf der Stelle mußte das anders werden, wenn man nicht jämmerlich absaufen sollte – mit einer wertvollen Ladung an Bord, das Ziel schon greifbar nahe.
„Steuerbordgeschütze feuerbereit!“ meldete der Stückmeister, der in der Reihe der Culverinen an Steuerbord ganz vorn stand. Die gleiche Meldung erfolgte Atemzüge später auch von Backbord.
Rien van Ommeren bestätigte und nickte grimmig.
Noch