Seewölfe - Piraten der Weltmeere 208. Kelly Kevin

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 208 - Kelly Kevin


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auch Hasard empfand. Ed Carberry riß den Arm hoch, stieß ihn nach unten, und in der nächsten Sekunde spuckten die Waffen Feuer.

      Jäh schlug das Triumphgeschrei der Mörder in schrilles Schreckensgeheul um.

      Die Kugeln fauchten über ihre Köpfe – so dicht, daß sie den Luftzug spürten und einem der Kerle der Turban weggerissen wurde. Das extrem flache Boot mit den niedrigen Bordwänden bot so gut wie keine Deckung. Die Kerle, denen bei ihrem widerlichen Gemetzel und der anschließenden Plünderung die herannahende „Isabella“ völlig entgangen war, konnten von Glück sagen. Ihr Leben verdankten sie nur dem tief verwurzelten Widerwillen, den die Seewölfe dagegen hegten, einen schlechter bewaffneten Gegner ohne Warnung niederzuschießen. Die nächsten Kugeln würden treffen – und das schienen die Burschen im Boot sehr genau zu wissen.

      Schreiend sprangen sie ins Wasser.

      Geschrei ertönte jetzt auch an Bord der kleinen Dschunke. „Rammkurs“, hatte Hasard befohlen. Das hieß zwar nicht, daß er wirklich rammen wollte, aber es war ein höchst eindrucksvolles Manöver, das zudem die Bugdrehbassen in die richtige Schußposition brachte. Die wüsten Kerle dort drüben mochten zwar mutig sein, wenn es galt, über Frauen und Kinder herzufallen, doch beim Anblick des riesigen, drohenden Schattens, der da auf sie zustieß, verließ sie jegliche Kampflust.

      Befehle gellten.

      Überstürzt fiel die Dschunke ab, schwang herum und legte sich platt vor den Wind. Die Kerle strebten blindlings der Küste zu. Kaum daß sie sich noch die Zeit nahmen, den Rest der schreienden, verzweifelt im Wasser paddelnden Turbanträger an Bord zu nehmen.

      Ihr Glück, daß sie es taten.

      Der Seewolf hatte schon Atem geholt, um den Befehl zu geben, das Schiff dieser brutalen Mörderbande in die Tiefe zu schicken. Jetzt zögerte er – nicht zuletzt, weil er den jähen, schäumenden Wirbel sah, zu dem das Wasser rings um das leere Boot in diesen Sekunden aufkochte. Haie, vom Blutgeruch angelockt! Schwarze, freßgierige Bestien, die den Überlebenden eines sinkenden Schiffs keine Chance lassen würden. Im Grunde hatten die Kerle da drüben nichts Besseres verdient. Aber Hasard wußte, daß er es ohnehin nicht fertigbringen würde, sie einem solchen Schicksal auszuliefern.

      „Bugdrehbassen Feuer!“ befahl er knapp. „Schießt ihnen das Rigg in Fetzen! Aber so gründlich, daß sie in nächster Zeit nicht einmal einen abgetakelten Waschzuber verfolgen können.“

      „Aye, aye, Sir!“ knurrte Al Conroy grimmig.

      Dabei beugte er sich über seine Drehbasse – und mit dieser Waffe, behauptete die Crew, konnte der schwarzhaarige Stückmeister notfalls einer Fliege das Auge ausschießen.

      Das Rigg der fliehenden Dschunke bot ein wesentlich besseres Ziel als das Auge einer Fliege.

      Al Conroy drückte die Lunte in die Zündpfanne. Donnernd entlud sich das schwere Geschütz. Der Vormast des feindlichen Schiffes schien plötzlich eine Verbeugung zu vollführen, knickte um und krachte mitsamt dem Segel auf das Steuerbord-Schanzkleid.

      Im selben Augenblick feuerte der blonde Schwede Stenmark die zweite Drehbasse ab.

      Die Dschunke lief aus dem Ruder. Beide Masten hingen wie gebrochene Arme an Deck. Schwer krängte das Schiff nach Steuerbord über, Männer mit Beilen und Entermessern stürzten sich in verzweifelter Hast auf die Trümmer und begannen, auf das Gewirr von Wanten, Stagen und Pardunen einzuhacken.

      Al Conroy und Stenmark feuerten noch zweimal, damit auch ja nichts übrigblieb, das sich vielleicht notdürftig wieder aufriggen ließ.

      Daß der Stückmeister die Chance nutzte, auch die Ruderanlage der Gegner in Kleinholz zu verwandeln, verstand sich von selbst.

      Steuerlos, ohne Masten und Segel, wie eine gerupfte Ente, trieb die Dschunke wenig später im Wasser. Wind und Seegang drückten sie auf die Küste zu. Dorthin wollte sie sich zweifellos auch verdrücken. Die Männer an Bord waren so geschockt, daß sie nicht einmal mehr die Kraft für ein Wutgeheul aufbrachten.

      „Die haben fürs erste genug mit sich selbst zu tun“, sagte Ben Brighton zufrieden.

      „Hm“, knurrte Dan O’Flynn. „Trotzdem wäre es besser gewesen, wir hätten die Dreckskerle mit ihrem Kahn auf Tiefe geschickt.“

      „Um sie an die Haie zu verfüttern?“ fragte Hasard scharf.

      Dan zuckte mit den Schultern.

      Aus schmalen Augen suchte er das Wasser nach dem zweiten Boot ab. Das war inzwischen nach Nordwesten abgelaufen und hielt im Bogen auf die Küste zu. Dank des Eingreifens der „Isabella“ waren die Menschen an Bord knapp mit dem Leben davongekommen. Dennoch schienen sie dem ranken Segler mit den überlangen Masten nicht zu trauen. Sie mußten schlimme Erfahrungen gesammelt haben. Jedenfalls zogen sie es vor, so schnell wie möglich Abstand zwischen sich und die Fremden zu bringen.

      Ein paar Minuten später verschwand das Boot im Schatten eines Mündungsarms.

      Hasard hatte beidrehen lassen. Die Segel hingen schlaff im Gei, an Steuerbord wurde die Pinasse abgefiert. Der Seewolf glaubte zwar nicht, daß sie noch Überlebende finden würden, aber sie wollten es wenigstens versuchen.

      Sinnlos, wie sich schon nach kurzer Zeit herausstellte.

      Die Haie hatten ganze Arbeit geleistet. Nur noch das flache Boot trieb leer in den Wellen. Die Männer waren schweigsam, während die Pinasse wieder hochgehievt wurde. Hasard trat zu den Zwillingen, die stumm und blaß am Schanzkleid standen und aufs Wasser starrten.

      „Diese gemeinen Schufte!“ stieß der kleine Philip hervor. „Sie sind einfach über sie hergefallen! Warum? Wer waren sie?“

      „Das weiß ich nicht“, sagte der Seewolf ruhig. „Verfeindete Stämme vielleicht. Oder Piraten, die ein Dorf überfallen hatten. Die Flüchtlinge in den Booten sahen nach einfachen Reisbauern aus.“

      Philip nickte nur.

      Der kleine Hasard grub die Zähne in die Unterlippe und blickte zur Küste hinüber. Beide waren erschüttert von dem grausamen Geschehen. Aber beide hatten in ihrem jungen Leben schon oft genug gesehen, zu welch sinnloser Brutalität Haß und Fanatismus führen konnten. Sie hatten gelernt, die Zähne zusammenzubeißen, die harte Wirklichkeit zu akzeptieren und dabei doch nicht an Gut und Böse irre zu werden.

      Der Seewolf wollte noch etwas sagen, aber er kam nicht mehr dazu.

      „Himmel, Arsch und Kabelgarn!“ fluchte Ed Carberry hinter ihm plötzlich los. „Wo steckt eigentlich Gary Andrews, dieser abgemagerte Stockfisch? Glaubt dieses Klappergerippe vielleicht, hier wird gepennt, wenn ‚Alle Mann an Deck‘ befohlen ist, was, wie?“

      Die Männer sahen sich um. Von Gary Andrews, dem langen blonden Fockgast, war tatsächlich nichts zu sehen. Jeff Bowie kratzte sich mit seiner scharfgeschliffenen Hakenprothese hinter dem Ohr.

      „Also vorhin hat er noch neben mir im Logis an der Hängematte gehorcht“, stellte er fest.

      „Ha! An der Hängematte gehorcht! Der glaubt wohl, heute sei Weihnachten? Na, dem werd ich ein paar Gaben bringen, dem zieh ich die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch …“

      Die Donnerstimme verlor sich in einem dumpfen Grollen, weil der Profos bereits im Niedergang verschwunden war.

      Hasard runzelte verständnislos die Stirn. Keinem seiner Männer sah es ähnlich, als Freiwächter das „Alle Mann an Deck“ zu verschlafen – dem schweigsamen, zuverlässigen Gary Andrews schon gar nicht. Im Schiffsbauch schienen die Verbände zu erbeben, als der Profos das Schott auframmte. Ein paar Sekunden vergingen, dann ertönte wieder Ed Carberrys Donnerstimme.

      Nur ein einziges Wort dröhnte aus dem Schatten des Niedergangs:

      „Kutscher!“

      Und damit war klar, daß etwas anlag, das sich nicht mit Gebrüll bereinigen ließ und auch nicht mit einem Guß Wasser über den Kopf eines widerwilligen Schläfers.

      Ein paar Meilen entfernt dümpelte das flache


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