Seewölfe - Piraten der Weltmeere 476. Burt Frederick

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 476 - Burt Frederick


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      „Das habe ich nicht erwartet“, gab Roger Lutz zu. „Warum ist er nicht nach Batabanó geritten? Dort könnte er sofort alles in die Wege leiten, den Schatz bergen lassen und dann verschwinden.“

      „Ich weiß es nicht“, entgegnete Jean Ribault. „Auf jeden Fall können wir beruhigt sein. Seinen Ritt nach Batabanó hätten wir nämlich verhindern müssen.“

      „Klar“, sagte Roger Lutz und nickte. „So ein Schatz darf dem Bund der Korsaren nicht durch die Lappen gehen. Dafür werden wir schon sorgen. Das sind wir allein unserem hochverehrten Fettsack de Quintanilla schuldig. Schließlich können wir nicht zulassen, daß er von seinem Nachfolger übers Ohr gehauen wird. Oder?“

      Jean Ribault versetzte ihm einen freundschaftlichen Hieb in die Seite.

      „Spuck nicht so große Töne. Noch ist gar nichts in Ordnung. Verschaffen wir uns erst mal einen Überblick.“

      Sie warteten, bis die Hufgeräusche verklungen waren. Dann wandten sie sich um und marschierten zurück in Richtung Flußtal. Für den Weg brauchten sie eine knappe Stunde. Dann drangen sie bis an das westliche Ende des Tales vor, wo die Wassermassen mit Getöse von der Steilwand stürzten.

      Selbst aus allernächster Nähe war der Eingang zum Schatzversteck nicht zu erkennen. Ohne Zeit zu verlieren, stiegen die beiden Männer vom Bund der Korsaren zum Felsensims hinauf. Fast staunten sie darüber, wie einfach es war, hier den Wasserfall zu unterqueren. Lediglich dünne Fahnen von Wasserstaub erreichten sie. Es war einfacher, die Höhle zu erreichen, als sie gedacht hatten.

      Dann, als sie den Felsengang betraten, stellten sie sehr bald fest, daß es sich nicht einfach nur um eine Höhle handelte. Der Gang erweiterte sich zu einem regelrechten Höhlensystem.

      Staunend erforschten die beiden Männer das Gewirr von Gängen und Kavernen, das an ein Labyrinth erinnerte. Auf jeden Fall konnte niemand etwas Derartiges hinter dem Wasserfall vermuten.

      Doch endgültig verschlug es Jean Ribault und Roger Lutz die Sprache, als sie sahen, was in den Höhlen und Gängen gestapelt und aneinandergereiht war.

      Kisten, Fässer und Truhen in geradezu unüberschaubarer Menge. Hätte man alle Behälter zählen wollen, wäre zweifellos der Vormittag dabei draufgegangen. Doch die beiden Männer verzichteten darauf, auch noch in den letzten Ecken und Winkeln nachzusehen, wo sich überall Behälter befanden.

      Sie verharrten in einer größeren Höhle, in der Kisten und Truhen zu einer schräg ansteigenden Halde aufgeschichtet waren, die mehr als Mannshöhe erreichte.

      Roger Lutz deutete auf eine Truhe, die ganz vorn stand. Das Wachstuch war aufgeschlitzt.

      „Hier muß er sich bedient haben, unser verehrter Freund, der Gouverneur.“ Er schlug das Wachstuch auseinander und öffnete den Truhendeckel.

      Noch zu etwa drei Vierteln war die Truhe mit golden schimmernder Pracht gefüllt. Kein Zweifel, daß de Escobedo seine Ledersäcke mit Münzen aus dieser Truhe vollgestopft hatte.

      Jean Ribault nahm ein paar der geprägten Goldstücke in die Hand und warf sie dann wieder zurück. Wie unvorstellbar viele Menschen mochten ihr Leben gelassen haben, damit diese äußeren Anzeichen spanischen Reichtums entstehen konnten? Seit den Erlebnissen in und um Potosi wußten die Männer vom Bund der Korsaren nur zu gut, wie sich die Indianer in den Gold- und Silberminen der Spanier buchstäblich zu Tode schufteten – wie sie hungerten, wie sie an Krankheiten zugrunde gingen, die sie nie gekannt hatten, wie sie als einst freie Menschen zu Sklaven verkümmerten.

      Der schlanke Franzose betrachtete die gestapelten Behälter, die samt und sonders in Wachstuchleinwand eingeschlagen waren, damit der Inhalt trocken gehalten wurde. Don Antonio de Quintanilla hatte sorgfältig darauf geachtet, daß die Lagerfähigkeit seiner gehäuften Schätze praktisch unbegrenzt war.

      Er schüttelte stumm und fassungslos den Kopf.

      „Ungeheuerlich“, murmelte er.

      Roger Lutz sah ihn forschend an.

      „Was meinst du – wie die Dons die Ureinwohner ausbeuten?“

      Jean Ribault atmete tief durch.

      „Auch das. Aber es ist nicht zu fassen, was de Quintanilla hier angehäuft hat.“

      Roger Lutz tippte sich an die Stirn.

      „Der Dicke hat sowieso nicht alle beisammen. Wenn du mich fragst, dürfte sein Leben nicht ausreichen, um den ganzen Klunkerkram zu verbrauchen. Ganz abgesehen davon, daß er bei seiner Verfressenheit sowieso kein langes Leben zu erwarten hat.“

      Jean Ribault nickte nachdenklich.

      „Eine krankhafte Raffgier“, sagte er gedehnt, „eine regelrechte Manie.“ Er deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf die Gänge, die zu den Nebenhöhlen führten. „Schon ein Bruchteil von diesen Schätzen würde genügen, ihn als steinreichen Mann leben zu lassen.“

      „Und ich wette“, sagte Roger Lutz, „er könnte leben wie Gott in Frankreich und würde es doch nicht schaffen, alles zu verbrauchen.“

      Jean Ribault lächelte. Es war in der Tat ein gigantischer Reichtum, den Don Antonio de Quintanilla im Laufe seiner Amtsjahre als Gouverneur von Kuba in dieses versteckte Flußtal hatte transportieren lassen. Geradezu unvorstellbar groß mußte die Zahl seiner weitverzweigten Einnahmequellen gewesen sein. Und vermutlich wußte nicht einmal de Quintanilla selbst, wie viele Menschenleben seine Raffgier gekostet hatte.

      „Nehmen wir ein paar Stichproben“, sagte Jean Ribault schließlich. „Unser Bericht wäre sonst später unvollständig.“

      Sie zogen ihre Entermesser und begannen mit der Arbeit. Dabei gingen sie so unauffällig wie möglich zu Werke. Die Behälter, die sie überprüften, stellten sie mit der aufgeschlitzten Seite des Wachstuches so, daß man den zertrennten Teil nicht sehen konnte. Man konnte nicht wissen, wann Alonzo de Escobedo oder seine Handlanger hier wieder auftauchten.

      Es stellte sich heraus, daß die Helfer de Quintanillas überaus sorgfältige Arbeit geleistet hatten, als sie die einzelnen Bestandteile des immer größer werdenden Gouverneurs-Schatzes in dem Höhlensystem einlagerten.

      In der Kaverne, in der sich de Escobedo aus der Truhe bedient hatte, befanden sich ausschließlich Goldmünzen in den verschiedenartigsten Behältern. Eine weitere Höhle war Silbermünzen vorbehalten. Weiter im Inneren des Felsens befand sich eine Kaverne, die annähernd die Größe eines Tanzsaales hatte. Hier lagerten unermeßliche Vorräte von Gold- und Silberbarren, allesamt säuberlich in Kisten aufgeschichtet und außer der gewachsten Kistenumhüllung auch noch einzeln in Wachspapier eingeschlagen.

      Don Antonios Schatzlager beschränkte sich jedoch nicht nur auf Edelmetalle. In weiteren Kavernen waren Truhen mit Edelsteinen und Halbedelsteinen untergebracht. Perlen von ausgesuchter Qualität lagerten zentnerweise in Fässern. Getrennt in einer Höhle waren außerdem die sichtbaren Zeichen der Ausbeutung und Plünderung der neuen Welt untergebracht – indianische Kult- und Schmuckgegenstände waren so sorgfältig in Kisten verpackt, daß selbst bei einer stürmischen Überfahrt nach Spanien nichts zerbrochen wäre.

      Doch zu einer solchen Überfahrt würde es wohl kaum noch kommen.

      Zum Abschluß ihrer Stichproben stießen Jean Ribault und Roger Lutz auch noch auf eine Kiste, die feinstes chinesisches Porzellan enthielt. Der Teufel mochte wissen, auf welchen verschlungenen Pfaden er an diese besonderen Stücke in seiner Sammlung gelangt war.

      Die beiden Männer rückten schließlich auch diese Kiste genau wieder an ihren Platz.

      „Mann, Mann!“ sagte Roger Lutz, als sie wieder die vorderste Höhle erreichten. „Das wird in Arbeit ausarten, wenn wir tatsächlich eines Tages den ganzen Krempel bergen.“

      Jean Ribault überzeugte sich mit wenigen Blicken, daß sie keine Spuren hinterlassen hatten.

      „Nicht eines Tages“, sagte er grinsend, „sondern so bald wie möglich. Wie ich Hasard kenne, wird er nicht zögern, hier


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