Seewölfe Paket 29. Roy Palmer
steuerte bereits richtigen Kurs. Er schüttelte den Kopf und sagte: „Für Kopfverletzte ist Schnaps nicht gut, Mac. Dann könntest du wirklich sterben.“
„Genau das“, sagte der Kutscher. „Apoplexia cerebri.“
„Was ist das denn nun wieder?“ fragte der Profos mißtrauisch.
„Gehirnschlag“, erwiderte der Kutscher lakonisch.
„Aha! Und wie äußert sich der?“
„Ohrensaus’ und aus“, sagte der Kutscher kurz und bündig, überlegte einen Augenblick und fügte hinzu: „Ach ja, Apoplexia cerebri kann auch nur zu Lähmungen führen, zu Lähmungen einzelner Glieder und so weiter.“
„Glieder?“ fragte der Profos etwas genervt.
„Ja, Glieder, Arme oder Beine, links- oder rechtsseitig.“
„Ach so“, murmelte der Profos und schien erleichtert zu sein.
Der Kutscher runzelte die Stirn. „Was dachtest du denn?“
„Ach, nichts – nur weil du ‚Glieder‘ sagtest – äh …“ Der Profos verstummte.
„Jawohl, Körperglieder, Gliedmaßen“, erläuterte der Kutscher, „auch das Gesicht. Bei Doc Freemont hatten wir ein paar solcher Fälle. An einen erinnere ich mich sehr gut – ein stadtbekannter notorischer Säufer. Der hatte linksseitige Gesichtslähmung, rechts bewegte sich alles, links war alles steif, das Augenlid hing schlaf nach unten, starrer Blick, rechts bewegten sich die Lippen beim Sprechen, links blieben sie unbewegt. So sah das aus!“ Und der Kutscher zeigte mit beachtlichem schauspielerischem Talent, wie der stadtbekannte notorische Säufer ausgesehen hatte. Nämlich reichlich blöd.
Mac zog sich hastig an dem Pfosten hoch und verkündete, daß er sich eigentlich ganz gesund fühle.
„Nur ein bißchen Kopfbrummen“, sagte er.
„Das kommt vom Schnaps“, sagte der Kutscher.
„Aber auch von der Beule“, meinte der Profos. „Vielleicht sollte er einen feuchten Umschlag um den Kopf legen.“
„Das kann er von mir aus tun“, sagte der Kutscher gleichmütig, „aber für den Borddienst ist er voll verwendungsfähig.“
„Schon gut, schon gut“, murmelte der Profos, „aber ein bißchen Rücksicht auf seine Kopfverletzung sollte man doch nehmen.“
„So?“ sagte der Kutscher spitz. „Ich bin da anderer Ansicht. Aber wie’s beliebt! Wenn sich hier an Bord Trunkenbolde die Köpfe einrennen und dann auch noch gepäppelt und gehätschelt werden, dann können wir uns bald einsargen lassen. Dürfte ich die Gentlemen nunmehr sehr höflich bitten, den Proviantraum zu verlassen. Es gibt hier nichts mehr zu untersuchen. Außerdem muß ich dem Kapitän Bericht erstatten, daß die Proviantlage mehr als trübe ist.“
Der Profos fügte sich – mit einem bedauernden Blick zu den vier Fässern. In seinem Magen spürte er immer noch eine angenehme Wärme. Aufgeschoben war nicht aufgehoben, was, wie?
Sie verließen den Proviantraum, den der Kutscher demonstrativ hinter sich abschloß und dann den Schlüssel einsteckte.
Mac sah noch grämlicher aus als sonst, auch käsig, darum wirkte die lilafarbene Beule so besonders attraktiv.
2.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen – wie wahr!
Als die drei Mannen an Oberdeck erschienen, war es Smoky, der die Beule auf der Stirn Mac Pellews zuerst entdeckte und sofort zu kichern begann.
„Hö-hö-hö!“ prustete er los. „Wolltest du mit der Rübe durch die Bordwand, mein alter Mac?“
Sein alter Mac war sauer, was ihm nicht viel nutzte. Ein Mauseloch gab’s auf der Dubas nicht, wo er sich hätte verstecken können. Die ganze Bande war sofort alarmiert, und da ging das Gewiehere los. Nicht daß die Arwenacks hämisch oder schadenfroh waren, nein, damit täte man ihnen unrecht. Aber der griesgrämige Mac Pellew wirkte häufig genug – eben wegen seiner Griesgrämigkeit – als Clown. Und wenn er jetzt mit einer derart leuchtenden Beule auftrat, dann war die Reaktion nur zu verständlich.
Auf der alten „Isabella“ hätte Mac vielleicht in der Kombüse unterschlüpfen können, ohne daß allzu viele Mannen von ihm etwas bemerkt hätten. Auf der russischen Dubas war das nicht der Fall. Jeder sah ihn, zumal sich alle an Deck befanden, und das Gelächter brandete über den Zweimaster mit den Lateinersegeln, der mit Steuerbordbug, Wind aus Osten, in Sichtweite der Küste südwärts segelte.
Als das Gelächter verebbte, sagte Philip Hasard Killigrew: „Na, Mac? Irgendwo gegengestoßen?“
„Aye, Sir.“ Mac starrte auf seine Latschen. Nein, er sah sie nicht mehr doppelt. Sie waren so, wie sich das gehörte, einer links, einer rechts. Und er wiederholte: „Aye, Sir, alles klar soweit.“
„Hm-hm. Darf man sich erkundigen, wie das passiert ist?“
„Bin wo gegengerannt.“
„Richtig, wenn man gegen etwas stößt, ist man gegengerannt, das ist durchaus logisch. Ich fragte nur, wie das passiert ist. Na?“
„Da war ’n Pfosten im Weg, Sir“, sagte Mac. „Den muß ich übersehen haben.“
Der Kutscher räusperte sich gemessen.
„Ja, Kutscher?“ fragte Hasard.
„Das war im Proviantraum, Sir“, sagte der Kutscher mit unbewegter Miene. „Mac und ich überprüften die Vorräte. Aber von solchen kann keine Rede sein.“
„Du meinst, wir seien knapp an Proviant?“
„Das meinte ich, Sir. Unsere Vorräte reichen noch knapp zwei Tage.“
Hasard war nun doch verwundert.
„Soll das heißen“, fragte er, „daß die Russen nichts zu futtern an Bord hatten?“
Bevor der Kutscher antworten konnte, platzte der Profos heraus: „Nur flüssige Nahrung ist an Bord, Sir, nämlich vier Fässer Wodka.“
„Fusel“, korrigierte der Kutscher kühl.
„Ah!“ sagte Hasard. Sein eisblauer Blick wanderte zu Mac Pellew und blieb auf dessen lilafarbener Beule haften. Ihm ging ein Lichtlein auf, warum „’n Pfosten im Weg“ gewesen war.
Wie hatte der Kutscher gesagt? „Mac und ich überprüften die Vorräte!“
Hasard hatte das Bild genau vor Augen: ein halbdunkler Laderaum, vier Wodka-Fässer, und während der Kutscher nach den Vorräten schaut, „besichtigt“ Mac die Fässer. Und er tut das gründlich.
„Hat’s geschmeckt, Mac?“ fragte Hasard freundlich.
„Sir?“ Mac stellte sich dumm.
„Den Wodka meine ich“, sagte Hasard.
„Den Wodka? Ach so!“ Mac plierte hilfesuchend zu Carberry hinüber.
Der fuhr auch gleich ein Ablenkungsmanöver.
„Ein feiner Wodka, Sir!“ tönte er. „Soll ich dir eine Kostprobe holen?“
„Hast du auch probiert, Ed?“ fragte Hasard.
„Natürlich, Sir“, sagte der Profos treuherzig. „Muß doch prüfen, ob der Inhalt der Fässer einwandfrei ist. Hätte ja sein können, daß diese russischen Lümmel Rattengift reingekippt haben. Oder ’n Schlafmittel oder so was. Haben wir ja neulich erlebt, was, wie? Edwin Carberry, hab’ ich mir gesagt, da mußt du verdammt lausig aufpassen, daß deine Leute nicht vergiftet werden oder dieses Dingsda erleiden – äh – Alexia beri-beri …“
„Apoplexia cerebri“, knirschte der Kutscher.
„Richtig,