Seewölfe - Piraten der Weltmeere 404. Burt Frederick
bleiben konnten.
In der Offiziersmesse der „San José“ trafen sich zur selben Stunde die Kapitäne, ein Teil der Offiziere und die Schaluppen- und Jollenführer, die den Nachtangriff zur Landung auf der Piraten-Insel überstanden hatten.
Don Garcia Cubera empfing die Männer mit ernster Miene. Seine Züge waren wie gemeißelt, als er jedem einzelnen stumm die Hand reichte. Dann forderte er sie auf, an dem langen Tisch Platz zu nehmen. Er selbst ließ sich am Kopfende nieder. Vor ihm lag das aufgeschlagene Logbuch der „San José“, das er schon im Morgengrauen mit den niederschmetternden Eintragungen versehen hatte.
Cubera öffnete einen mit handtellergroßem Kork verschlossenen Steinkrug und griff nach einer der Tonpfeifen, die auf dem Tisch verteilt waren. Sorgfältig stopfte er die Pfeife mit dem gekrüllten Tabak aus dem Krug. Der würzige Duft erinnerte ein wenig an das Aroma von karibischem Rum.
Auf eine Handbewegung des Verbandsführers folgten die Kapitäne und Offiziere seinem Beispiel. Cubera zündete den Tabak in seiner Pfeife mittels der kleinen Flamme einer Öllampe an, und gleich darauf verstärkte sich der aromatische Geruch durch die kleinen weißen Wolken, die der Capitán ausstieß.
„Die Eingeborenen behaupten, der Tabakrauch habe eine beruhigende Wirkung und verhelfe überdies zu einem klaren Kopf“, sagte Cubera mit einem kaum merklichen Lächeln. „Zumindest letzteres sollte uns dabei helfen, unsere Überlegungen anzustellen, Señores.“ Er gab dem Ersten Offizier der „San José“ einen Wink. „Fangen Sie an mit Ihrem Bericht.“
Der Erste nickte bereitwillig, räusperte sich und wartete noch einen Moment, bis auch alle anderen ihre Tabakspfeifen entfacht hatten.
„Beginnen wir mit der derzeitigen Kampfstärke unseres Verbandes“, sagte er dann, „Capitán Cubera hatte mich beauftragt …“
Der Kapitän der zweiten Galeone unterbrach ihn mit rauhem Lachen.
„Verband? Das klingt wie ein makabrer Scherz. Wir sind ein armseliges Häufchen Elend, nichts weiter. Was nutzen uns noch so viele Kämpfer, wenn wir nur drei erbärmliche Schiffe zur Verfügung haben?“
„Mit Empfindungen und Folgerungen befassen wir uns später“, sagte Cubera energisch. „Zur Zeit geht es einzig und allein um die Fakten. Bitte!“ Er gab dem Ersten Offizier der „San José“ erneut einen auffordernden Wink.
Der Galeonen-Kapitän rammte sich das Pfeifen-Mundstück zwischen die Zähne und atmete schnaufend durch.
„Capitán Cubera hatte mich beauftragt“, fuhr der Erste fort, „die augenblickliche Zahl der einsatzbereiten Männer festzustellen. Ich habe die entsprechenden Zählungen an Bord der beiden Galeonen und der Karavelle durchführen lassen. Aber ich will Sie nicht mit übertriebenen Details langweilen, Señores.“ Er hob ein Blatt Papier von der Tischplatte auf, warf einen kurzen Blick auf die hastig hingeworfenen Zahlenkolonnen und blickte dann wieder in die Runde. „Die Leichtverletzten mitgerechnet, verfügen wir über insgesamt knapp tausend kampfbereite Männer.“
Der Schaluppenführer, ein Sub-Teniente namens Vicente de Pinzón, stieß einen Zischlaut aus und schüttelte fassungslos den Kopf.
„Tausend! Das bedeutet, daß unsere Verlustliste auch mindest tausend Namen umfaßt. Wenn Sie mich fragen, Señores – ein zu hoher Preis für die Einnahme einer lächerlichen Felsen-Insel.“
Die Mienen der anderen blieben unbewegt, als hätten sie nichts gehört. Nur Cubera reagierte. Seine Augen wurden schmal, und seine Stimme klang frostig.
„Es hat Sie aber niemand gefragt, de Pinzón. Ich weise nochmals darauf hin, daß wir uns zur Zeit ausschließlich mit den Tatsachen beschäftigen.“
Der Schaluppenführer, ein hagerer Mann mit eng zusammenstehenden Augen, senkte den Kopf, um dem Blick des Verbandsführers auszuweichen.
„Die Ist-Stärke umfaßt natürlich Mannschaften und Seesoldaten zusammen“, sagte der Erste Offizier der „San José“, „Stammbesatzungen und Gerettete, versteht sich. Die Männer sind auf die drei Schiffe verteilt, wobei wir auf den beiden Galeonen jeweils etwa dreihundertfünfzig und auf der Karavelle dreihundert Mann haben.“ Er räusperte sich abermals, legte seine Tabakspfeife beiseite und hob einen anderen Zettel auf. „Ich komme nun zu den Schäden, Señores. Nach den Feststellungen der Schiffszimmerleute sind sämtliche Schäden glücklicherweise mit Bordmitteln zu beheben. Bis zum Abschluß aller Reparaturarbeiten werden aber etwa drei Tage vergehen.“
„Höchstens?“ fragte Cubera.
Der Erste sah ihn an.
„Es ist knapp gerechnet, Señor Capitán. Die Schiffszimmerleute sind davon ausgegangen, daß auch nachts gearbeitet wird, vierundzwanzig Stunden am Tag also.“
„Das versteht sich“, entgegnete Cubera. „Bitte weiter.“
„Viel mehr ist nicht zu berichten, Señor Capitán. Auf Ihre Weisung hin sind Ausguckposten auf der höchsten Erhebung landeinwärts in Stellung gegangen. Es wurde vereinbart, daß Meldungen durch Läufer übermittelt werden – oder durch Böller bei Gefahr im Verzug.“
„Danke.“ Don Garcia Cubera nahm einen letzten Zug aus der Pfeife und lehnte sich zurück. „Um es gleich vorwegzunehmen, Señores: Ich bin nach wie vor der Meinung, daß wir diese Pirateninsel erobern werden – mit den restlichen drei Schiffen unseres Verbandes.“
Betroffene Blicke richteten sich auf ihn, doch keiner der Männer erhob ein Widerwort.
„Wir wissen inzwischen, womit wir zu rechnen haben“, fuhr Cubera fort. „Das heißt, wir werden unsere Taktik auf die Gegebenheiten einrichten müssen. Dabei handelt es sich zum einen um die Geschützstellungen in den Felsen und zum anderen um die Tatsache, daß uns erhebliche Schäden durch Brand- und Pulverpfeile und durch Wurfbomben zugefügt wurden. Nicht zu vergessen allerdings der Angriff der beiden unbekannten Schiffe von See her.“
„Was uns eine weitere Karavelle gekostet hat“, sagte der Kapitän der zweiten Galeone grimmig. „Wir müssen damit rechnen, daß die Verteidiger der Insel Verstärkung erhalten haben.“
„Wenn es sich so verhält“, entgegnete Cubera, „dann wird es keine nennenswerte Verstärkung sein. Es ist uns gelungen, den Piraten ebenfalls beträchtlichen Schaden zuzufügen. Vergessen Sie nicht, daß wir immerhin auch eins ihrer Schiffe versenkt haben. Ein weiteres wurde schwer beschädigt. Mehr haben wir auf dem Marsch zur Schlangen-Insel nicht gesichtet. Dieser Punkt sollte uns kein Kopfzerbrechen bereiten.“
Er ahnte nicht, wie sehr er sich irrte. Denn sämtliche Schiffe des Bundes der Korsaren waren mittlerweile bei der Schlangen-Insel eingetroffen. Lediglich die „Le Vengeur“ fehlte. Beim Versuch, den Kampfverband in seinem Anmarsch aufzuhalten, war Jean Ribaults Schiff unter dem massierten Feuer der Spanier gesunken.
„Lassen Sie mich noch einiges hinzufügen, was für unsere künftigen Entscheidungen wichtig sein könnte“, sagte Cubera nachdenklich. „Für mich persönlich war es eine äußerst bestürzende Überraschung, daß die Insel von indianischen Kriegerinnen und Kriegern verteidigt wurde. Wir hatten erwartet, ausnahmslos auf englische Piraten zu stoßen. Das ist das eine. Der entscheidende Punkt ist aber die Kampfesweise dieser Indianer.“
„Wie sie mit ihren Geschützen umgehen können!“ rief einer der Offiziere. „Das können sie nur von Europäern gelernt haben.“
„Von englischen Piraten“, fügte ein anderer erbittert hinzu.
„Eben drum“, sagte Cubera und nickte. „Für uns ergibt sich die Schlußfolgerung, daß sich die englischen Piraten möglicherweise mit den Eingeborenen der Karibik verbündet haben. Die Konsequenzen für den spanischen Besitz in diesen Breiten können mörderisch sein. Die Gefahren, die dadurch heraufbeschworen werden, sind nicht auszudenken. Noch mehr Übergriffe auf die Geleitzüge, Überfälle auf Besitzungen der spanischen Krone und schlimmstenfalls sogar regelrechte Volksaufstände. Andererseits“, Cubera zögerte einen Moment, doch dann sprach er weiter, „muß man aber auch realistisch denken und die Hintergründe nicht verhehlen. Unsereins