Seewölfe - Piraten der Weltmeere 252. Fred McMason
Hasards Laune war nicht die beste. „Das habe ich schon hundertmal gesagt. Du hast die Karten doch selbst gesehen. Sie zeigen Dörfer, Städte und Tempel. Der Strom ist lediglich eine dünne Linie darin. Den Grabräubern, die sie angefertigt haben, ging es nur um Pyramiden, Königsgräber und Totentempel.“
Carberry erschien auf dem Achterdeck und stellte sich lauernd an die Schmuckbalustrade.
„Eigentlich“, sagte er langsam, „haben wir ja genug erbeutet. Schon der Spanier, dem wir alles abgeknöpft haben, hat unser schönes Schiffchen gut gefüllt. Er hat nichts mehr, und wir haben alles. Das müßte doch genügen.“
„Was willst du damit sagen, Ed?“ fragte der Seewolf.
„Nun, wir könnten beispielsweise umkehren und diesen schönen Fluß mit seinem Scheißwind den Krokodilen überlassen. Oder den Nilflöhen. Umkehren“, wiederholte er nachdenklich, „dann den neuen Seeweg durch den Kanal suchen, nach England zurückkehren, und der guten alten Lissy den Krempel abliefern, unseren Anteil natürlich abgezogen, sozusagen.“
Was der Profos so lässig als Krempel bezeichnete war nicht nur ein Vermögen, es war ein unvorstellbarer Reichtum, mit dem man ganze Länder kaufen konnte. Den letzten Schlag hatten sie gerade gelandet, und der überstieg an Wert selbst das, was die „Isabella“ schon vorher in ihrem Rumpf verbarg, denn der Spanier hatte rigoros und rücksichtslos alles geplündert, was ihm auf dem oberen Nil in die Hände gefallen war. Allerdings hatte er jetzt keinen Spaß mehr an seiner Beute und war arm wie eine Kirchenmaus abgezogen.
„Das muß an der Hitze liegen“, sagte Hasard.
„An der Hitze, Sir? Was muß daran liegen?“
„Daß du vergessen hast, daß wir bis zum ersten Katarakt segeln werden. Und wir segeln dahin, verlaß dich darauf!“
Carberry deutete mit dem Daumen zum Land hin, das sich jetzt ebenfalls verändert hatte. Kahle Felsen tauchten auf, steinbruchartige Gebiete, in denen es nur finstere Höhlen gab, und die von der ewigen Sonneneinstrahlung schon glühten.
Es war kaum denkbar, daß in dieser heißen, trostlosen Einöde Menschen hausten, und doch war es so. Hier war auch die Zeit stehengeblieben. Nach dem Ableben der alten Pharaonen hatte sich anscheinend nichts mehr geändert. Sie fühlten sich um ein paar tausend Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt, wenn sie einen Blick an Land warfen.
„Bei dem Wind“, sagte Ed. „brauchen wir noch ein gutes halbes Jahr, bis wir den Kaka … äh – den Dingsbums erreichen, Sir. Wir schleichen ja den Fluß hinauf wie lahmarschige Krebse.“
„Auch die gelangen ans Ziel“, sagte Hasard.
„Die Themse“, sagte der Profos versonnen, „die ist gegen diesen Nil das reinste Weltmeer. Die würde ich bei Nacht und mit verbundenen Augen hochsegeln.“
„Das kannst du später ruhig tun, ich werde dich daran erinnern. Und jetzt darf ich dich wohl bitten, Mister Carberry, jeden Gedanken an Umkehr aus deinem Kopf vorerst zu streichen. Dort vorn gibt es eine ekelhafte Flußbiegung, und da brauchen wir jede Hand an Deck, um sie zu umsegeln.“
„Da werden sich die Kerls aber freuen“, sagte Ed aufsässig.
Als Hasards eisiger Blick ihn traf, duckte sich der Profos leicht und versuchte zu grinsen, was ihm aber mißlang.
„Diesmal schreibe ich es wirklich noch der Hitze zu“, sagte der Seewolf sanft. „Auch meine Laune ist nicht die beste, aber wenn sie sich noch verschlechtert, dann fangen selbst die Mumien in ihren Gräbern an zu tanzen, und ein gewisser Mister Carberry wird den Reigen anführen.“
„Entschuldigung, Sir“, sagte Ed sehr leise, „manchmal geht einem einfach der Gaul durch.“
„Nicht so schlimm, wenn man ihn wieder rechtzeitig einfängt. Er darf nur nicht über das Gatter springen.“
„Aye, aye, Sir.“
Hasard sah seinem Profos nachdenklich hinterher. Es war schon eine mörderische Sache bei dieser Hitze und dem Staub einen unbekannten Fluß hochzusegeln, auf dem man zu jeder Minute Gefahr lief, irgendwo aufzubrummen.
Und jetzt tauchte diese Flußbiegung auf, die gar nicht schön aussah und mit diesem bißchen Wind umsegelt werden mußte. Ausgerechnet dort gab es auch wieder viele kleine Inseln, auf denen Krokodile dösig in der Sonne lagen und auf Beute lauerten.
Selbst Hasard hatte ein ungutes Gefühl dabei.
Den Flußverlauf auszusegeln, war eine Knochenarbeit. Zudem wies er tückische Untiefen auf. Es war diesmal nicht allein das seemännische Können der Besatzung, es war viel Glück dabei, weil auch der Wind ein paar Minuten länger blies.
So schrammten sie jetzt dicht an einer Schilfinsel vorbei, gerieten aus dem Kurs und spürten das feine Beben, das die „Isabella“ durchlief, als sie sich über den Schlamm schob.
In jedem Gesicht stand die bange Frage, ob sie es schafften. Wenn man zum Land blickte, schien sich die Galeone nicht mehr von der Stelle zu bewegen, doch der Eindruck täuschte, denn sie bewegte sich fast unmerklich weiter.
„In den letzten drei Stunden“, sagte Ferris Tucker, „haben wir mit Mühe und Not eine Meile zurückgelegt. Das ist ein verdammtes Trauerspiel. Man möchte am liebsten über Bord springen, um die Lady zu schieben.“
„Hoffentlich steht uns etwas Ähnliches nicht bevor“, meinte Matt Davies. „Mir reicht vollauf das ständige Arbeiten an Brassen und Schoten bei dieser lausigen Hitze.“
„Wir sind drüber weg“, sagte Blakky erleichtert und atmete tief aus. „Gott sei Dank, wir haben es geschafft.“
„Hier mußt du dich bei Allah bedanken“, sagte Jeff Bowie. „Der ist für dieses Revier zuständig. Seht mal, jetzt fängt die Tante an zu strampeln wie ein Holzquirl.“
Heißer Wind füllte die Segel, und tatsächlich marschierte die Galeone gleich darauf los. Das Land glitt jetzt schneller vorbei, auf der einen Seite zurückweichende Wüste, auf der anderen trostlose, in der Sonne bratende Felsen.
Sam Roskill brüllte aus dem Großmars an Deck: „Der Fluß teilt sich weiter vorn hinter der Biegung. Dazwischen ist festes Land oder eine Insel.“
„Was heißt hier ‚oder‘, Sam?“ rief Smoky. „Sperr deine Klüsen gefälligst auf!“
„Kann ich nicht erkennen, da ist alles zugewachsen!“
„Ja, holt denn der Satan nicht bald diesen lausigen Fluß“, begann Carberry zu fluchen. „Los, Smoky, sag’s dem Kapitän, damit es keine unangenehmen Überraschungen gibt.“
Bevor Smoky nach achtern ging, enterte er ein Stück ins Großwant auf, um ein ungefähres Bild zu erhalten. Hoch über ihm blickte Sam Roskill hinunter.
„Du wirst auch nichts anderes sehen, Smoky! Da scheint alles zugewachsen zu sein.“
„Quatsch, das gibt es nicht.“
„Gibt es doch!“ brummte Sam aus seiner luftigen Höhe.
Smoky konnte auch nicht mehr erkennen als Sam. Er sah inmitten des Flusses hohes Schilf und erkannte deutlich, daß der Nil dort vorn zwei Arme hatte, oder einer der beiden war ein Zufluß. Die flachen Berge entzogen alles weitere seinem Blick.
Aber er sah noch etwas anderes, und das waren kleine Ruinen. Relikte eines halbverfallenen Tempels auf der Steuerbordseite.
Blitzschnell enterte er ab und eilte aufs Achterdeck. Dort hatte der blonde Schwede Stenmark jetzt das Ruder übernommen. Ben Brighton stand dicht neben ihm. Auch Big Old Shane und Dan O’Flynn standen da und spähten angestrengt nach vorn.
„Der Fluß teilt sich“, sagte Hasard, als Smoky gerade den Mund öffnen wollte. „Hab ich schon gehört. Wie sieht es dahinter aus? Konntest du was erkennen?“
„Nein, Sir. Beide Flußverläufe sind gleich stark, und noch weiter voraus läßt sich wegen der Berge nichts erkennen. An Steuerbord gibt es einen