Seewölfe - Piraten der Weltmeere 182. Burt Frederick

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 182 - Burt Frederick


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seit sie das paradiesische Klima der Südsee genossen. Siri-Tong trug blaue Schifferhosen und leichte Stulpenstiefel aus butterweichem Leder, die die atemberaubenden Formen ihres schlanken Körpers mit einem augenfälligen Akzent unterstrichen.

      Hasard hatte die Ärmel seines hellen Leinenhemds bis über die Ellenbogen hochgekrempelt. Vom Ledergurt aufwärts stand das Hemd offen, und es folgte der Linie, die sein Oberkörper von den schmalen Hüften bis zu den imposanten breiten Schultern vorzeichnete. Unter der leichten Kleidung zeichneten sich die mächtigen Muskeln des mehr als sechs Fuß großen Mannes ab, der sich als Seewolf einen wohlklingenden Namen auf den Weltmeeren erworben hatte. Der handige Nordwest, der die frühe Sonnenglut milderte, fächerte in Hasards scharzem Haar. Seine klaren eisblauen Augen spiegelten die Unbestechlichkeit und Geradlinigkeit seines Wesens.

      „Ausguck!“ rief er mit metallisch klingender Stimme.

      „Sir?“ Bill reckte seinen schmalen Körper im Großmars. Hinter ihm turnte Arwenack keckernd von einer Seite des Mastkorbs zur anderen.

      „Würdest du jetzt so freundlich sein, uns zu erklären, mit welcher Art von Wasserfahrzeug wir es zu tun haben?“

      Wieder stimmten die Männer Gelächter an, und diesmal grinste auch der Profos, der sich bis zum Kombüsenschott zurückgezogen hatte. Dank Hasards diplomatischen Geschicks verteilte sich der Spott nun gleichmäßig auf beide Seiten, und auch Edwin Carberry erhielt seinen Anteil an Schadenfreude.

      Denn der Kutscher wandte sich zur Seite und beschäftigte sich hingebungsvoll mit dem Aufkrempeln seiner Hemdsärmel, die ihm offenbar urplötzlich zu warm geworden waren.

      Und hoch oben lief Bill puterrot an.

      „Es handelt sich um ein Auslegerboot, Sir. Ein einmastiges Auslegerboot mit einem kleinen Lateinersegel.“

      „In Ordnung“, sagte Hasard, „dann kümmere dich jetzt wieder um deine eigentliche Aufgabe.“

      Er hatte es kaum ausgesprochen und war im Begriff, das Spektiv ans Auge zu setzen, als Bills Stimme jäh in höchsten Tönen gellte.

      „Deck! Land in Sicht! Laaand in Sicht! Auslegerboot jetzt etwa fünf Kabellängen Steuerbord voraus, Kurs Südwest. Zweites Boot folgt auf demselben Kurs! Land Backbord voraus! Eine Insel, so scheint es …“

      Atemlose Stille breitete sich an Bord der „Isabella VIII.“ aus. Das Knarren und Ächzen der Takelage schien an eindringlicher Lautstärke zu gewinnen. Das Stichwort „Insel“ weckte gespannte Aufmerksamkeit in den Männern, denn sie waren auf der Suche nach einer Insel. Hatte es der Zufall gewollt, daß sie früher als erwartet auf das geheimnisvolle Eiland gestoßen waren? Zunächst aber schien sich dort etwas abzuspielen.

      Zwei Wasserfahrzeuge!

      Das Wort begann sich bei den Männern einzuprägen. Vielleicht deshalb, weil es so absonderlich klang und weil es ein Grinsen weckte.

      „Das ist eine Verfolgungsjagd!“ schrie der junge Dan O’Flynn, der immer noch die schärfsten Augen von allen hatte.

      Hasard hatte es im selben Moment festgestellt. Das Spektiv lieferte ihm ein gestochen scharfes Bild. Da war ein gertenschlankes Mädchen, allein auf einem Auslegerboot. Da war ein riesiges Kanu, das von etwa zwei Dutzend Männern vorangetrieben wurde, und da war eine Insel, hinter deren Palmenhainen bizarre Felsformationen wie eine düstere Wand aufragten.

      Wie die Zusammenhänge auch sein mochten, eins stand fest: Dieses Mädchen wurde von einer Übermacht bedroht, und das kleine Boot mit dem Segel war jetzt nur noch vier Kabellängen entfernt. Eine lächerlich geringe Distanz für die schlanke Dreimast-Galeone, die von dem besten englischen Schiffsbauer nach modernsten Erkenntnissen konstruiert worden war.

      „Ben!“ Hasard ließ das Spektiv sinken und drehte sich um. Er hatte seine Entscheidung getroffen.

      Ben Brighton, der Erste Offizier der „Isabella“, blickte ihn an.

      „Segel aufgeien lassen, Ben. Wir werden uns das aus der Nähe ansehen.“

      „Aye, Sir, Segel aufgeien“, wiederholte Ben Brighton und trat an die Querbalustrade. Noch lief die Galeone unter Vollzeug vor dem Wind.

      Bens Befehlsstimme hallte über Deck. Die Männer gerieten in Bewegung. Arwenack flüchtete bis hinauf zum Masttopp, da ihm die plötzliche Wuhling unbehaglich war. Während die Männer die Segel aufgeiten, verlor die „Isabella“ zusehends an Fahrt.

      Hasard wandte sich dem Rudergänger zu.

      „Zwei Strich Steuerbord, Pete!“

      „Aye, aye, Sir, zwei Strich Steuerbord“, wiederholte Pete Ballie und legte Ruder. Seine Fäuste waren so groß wie Ankerklüsen.

      Nachdem die Segel aufgegeit waren, ließ der Seewolf ein Beiboot klarmachen. Mittlerweile hatten sie sich dem kleinen Auslegerboot bis auf zwei Kabellängen genähert. Und mit dem neuen Kurs hielt die Galeone jetzt in ausrauschender Fahrt auf die Nußschale zu, deren rotes Segel ein deutlicher Orientierungspunkt war.

      „Sieh dir die beiden an“, sagte Siri-Tong lächelnd und deutete zum Vorkastell.

      Dort waren die Zwillinge aufgetaucht, die sich bis eben nicht hatten blicken lassen. Ihre Neugier hatte sie vermutlich an Deck getrieben. Die beiden Söhne des Seewolfs ähnelten sich äußerlich wie ein Ei dem anderen. Beide waren schlank und schwarzhaarig, hatten scharfgeschnittene Gesichter wie ihr Vater. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen. Mit ihren acht Lebensjahren waren sie prachtvolle Burschen, auf die mittlerweile die gasamte „Isabella“-Crew stolz war.

      Hasard mußte grinsen, als er die Gesichter der Jungen sah. Ihre Münder waren dunkelrot verschmiert. Der Kutscher hatte in den letzten Tagen mehrere Töpfe voll Zuckersirup aus frischen exotischen Früchten gekocht. Wie es aussah, war ihm das in höchster Vollendung gelungen.

      Aber im Augenblick gab es andere Sorgen, als die Vorräte des Kutschers vor frivolen Fingern zu schützen.

      2.

      Moana war entsetzt über ihre eigenen Empfindungen.

      War es Angst, die sie wieder überwältigte? Oder war das grenzenlose Erstaunen stärker, das sie beim Anblick des riesenhaften fremden Bootes befiel? Auf jeden Fall ging eine seltsame Faszination von diesem schwimmenden Ungeheuer aus. Moana vermochte ihren Blick nicht davon loszureißen, und in ihrem ungläubigen Staunen vergaß sie alles, wovon ihre Gedanken bis jetzt bestimmt gewesen waren. Es mußte die Kraft der Götter sein, die ihre Sinne so sehr zu beeinflussen vermochte.

      Das mochte auch der Grund sein, weshalb Charangu an Bedeutung verlor. Bis eben waren das Königskanu und seine Besatzung für Moana noch übermächtig erschienen. Jetzt war es fast ein Nichts, verglichen mit diesem gigantischen Boot, das so freundlich aussah. Es waren die hellen Segel, die diesen Eindruck in ihr hervorgerufen hatten.

      Mit großen Augen beobachtete das Mädchen, wie die hellen Tücher zu den Querhölzern hin zusammenschrumpften. Dann schwenkte das Riesenboot unvermittelt herum und rauschte mit mächtigem Bug auf sie zu.

      Der Instinkt ließ Moana spüren, daß ihr die Menschen auf diesem Boot freundlich gesinnt waren. Denn dessen Erscheinen konnte kein Zufall und mußte vielmehr von den Göttern schon zu dem Zeitpunkt gelenkt worden sein, als sich ihre Fesseln während der Nachtstunden gelockert hatten.

      Moanas Angst wich endgültig der Zuversicht. Sie überwand sich, das eigene kleine Segel zu bergen, auch wenn es bedeutete, daß Charangu und seine Männer jetzt rascher aufholen würden.

      Ein mächtiger Gegenstand, der wie ein Kreuz aussah, rauschte vom Bug des Riesenbootes in die Fluten. Nur noch einen Steinwurf weit war es von Moana entfernt. Dann sah sie, wie ein kleineres Boot zu Wasser gelassen wurde, das immerhin aber noch mehr als doppelt so groß war wie ihr Auslegerboot.

      Fünf Männer waren es, die sich ihr näherten. Große, hellhäutige Männer mit unglaublich breiten Schultern. Sie bewegten ihr Boot auf andere Weise voran, als Moana es von Kahoolawe kannte. Sie saßen


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