Seewölfe - Piraten der Weltmeere 164. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 164 - Roy Palmer


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sie. „Ich tue alles, was Sie sagen, wenn Sie mich nur loslassen.“

      Er richtete sich wieder auf und blickte sie an. „Herrgott, ich müßte ja schön blöd sein, wenn ich darauf eingehen würde. Schlag mir noch so etwas vor, und ich fange laut an zu lachen.“

      „Ich schreie!“

      „Schrei nur, es nützt dir ja doch nichts.“

      Sie öffnete tatsächlich den Mund. Aber im selben Augenblick legte sich eine seiner derben Hände auf ihre Lippen, mit der Geschwindigkeit, mit der er ihr auch den Weg verstellt hatte. Er war ein flinker, brutaler, unheimlicher Kerl, dieser Benavente, und Florinda spürte jede Hoffnung schwinden, sie könne ihn durch eine List noch übertölpeln.

      Die jäh aufkeimende Panik verlieh ihr Kräfte. Sie stemmte sich gegen den Griff des Waffenmeisters, rang mit ihm, trat um sich, versuchte, ihn zu beißen.

      Er lachte, hielt ihr weiterhin den Mund zu und drängte sie auf eine der Taurollen zu.

      Der Vorhang hatte sich über den Masten der „Isabella VIII.“ geschlossen, bevor die Dunkelheit eingesetzt hatte. Der Himmel war wolkenüberzogen. Der Seewolf und seine Männer hatten keine Möglichkeit, sich während der Nacht an den Gestirnen zu orientieren und den Kurs ihres Schiffes genau festzulegen.

      Der Wind blies aus Norden und hatte die Wolken von irgendwoher, aus kälteren Gefilden, bis über den vierzigsten Breitengrad hinausgetragen. Die „Isabella“ segelte mit Steuerbordhalsen und auf Backbordbug liegend westlichen Kurs in verhältnismäßig ruhiger See. Ihr Bug teilte die Fluten wie eine Pflugschar, die hurtig durch flaches Marschland gleitet und schwere schwarze Schollen auseinanderwirft.

      Hasard stand auf dem Achterdeck in der Nähe des Ruderhauses und warf zum wiederholten Mal einen argwöhnischen Blick zum Himmel.

      „Vielleicht kriegen wir keinen Sturm“, sagte er zu Ben Brighton. „Aber eines ist sicher: der Wind drückt uns langsam immer weiter nach Südwesten. Dagegen können wir ohne einigermaßen klare Ortung nichts unternehmen.“

      „Nach meinen letzten Berechnungen geraten wir somit in die Nähe der Azoren“, erwiderte Ben.

      „Wir rauschen genau in die Gruppe hinein. Dabei wollte ich sie meiden. Ich habe vorgehabt, sie im Norden zu passieren. Die Azoren dienen uns bei der Überfahrt zwar als eine Art Wegmarke, aber ich wollte sie wegen des Zeitverlustes nicht direkt anlaufen.“

      „Dazu besteht ja auch kein Grund. Proviant und Trinkwasser haben wir in Plymouth zur Genüge an Bord genommen“, sagte Ben Brighton. „Schätze scheint es auf den Inseln auch nicht zu geben, alles in allem machen sie einen ziemlich trostlosen Eindruck. Aber solange die Wolkendecke nicht aufreißt, bleibt uns wirklich nichts anderes übrig, als uns vom Zufall leiten zu lassen.“

      Old O’Flynn war zu ihnen getreten und meinte nun: „Richtig, und dieser Zufall wirft uns garantiert genau zwischen die verdammten Azoren-Inseln, wie Hasard befürchtet. Paßt mal auf, was ich euch sage: Wir laufen diese Nacht noch auf Grund, wenn wir nicht höllisch achtgeben …“

      „Ach, Unsinn“, ließ sich jetzt Big Old Shane vernehmen, der nicht weit von ihnen entfernt am Backbordschanzkleid des Achterdecks stand. „So viele Untiefen und Riffe gibt es bei den Azoren überhaupt nicht, Donegal, du alte Nuke. Hör bloß mit deinen Weissagungen auf, die kennen wir zur Genüge.“

      „Ich habe noch gar nicht richtig damit angefangen“, versetzte der Alte grimmig.

      Shane wollte ihm eine entsprechende Antwort geben, aber in diesem Augenblick meldete sich Bill, der Ausguck, mit einem Ruf aus dem Großmars.

      „Sir! Es ist so dunkel geworden, daß ich kaum noch den Bugspriet unsrer ‚Isabella‘ sehen kann!“

      „Da haben wir’s“, sagte Old O’Flynn. „Wenn wir diesen Törn so weitersegeln, brummen wir auf die erste Insel, die uns in die Quere gerät, geradewegs drauf. Jawohl, unser stolzes Schiff wird plötzlich auf dem Trockenen liegen wie ein gestrandeter Wal und in der Mitte auseinanderbrechen, ich schwör’s euch.“

      „Paß auf, daß dir nicht das Holzbein bricht!“ rief Shane drohend.

      „Wir nehmen Zeug weg“, sagte der Seewolf. „Die Fock, das Großsegel und das Kreuzsegel genügen uns vorläufig. Gary Andrews soll als zusätzlicher Ausguck in den Vormars aufentern. Zwei Mann beziehen Posten auf der Back und halten ebenfalls die Augen offen, damit sich Donegals Prophezeiungen nicht bewahrheiten. Ben, gib die Befehle bitte weiter.“

      „Aye, Sir.“

      „Zum Dienst auf der Back melde ich mich freiwillig“, sagte der alte O’Flynn. „Ich schätze, Dan wird mich dabei gern unterstützen. Dan, he, Dan, wo steckst du, zum Teufel?“

      „Hier“, meldete sich sein Sohn aus dem Ruderhaus. Er hatte Rudergänger Pete Ballie Gesellschaft geleistet und so mithören können, was Hasard, Ben, Shane und sein Vater gesprochen hatten. Er trat ins Freie und meinte: „In Ordnung, Dad, dann schieben wir jetzt am besten gleich ab. Wir sollten keine Zeit mehr verlieren.“

      Der Alte trat zu ihm. Mit einem Seitenblick auf Big Old Shane bemerkte er noch: „Ja. Keiner soll mir nachsagen, daß ich nur unke und nichts tue, um uns vor Verdruß zu bewahren.“ Damit schritt er von dannen und stieg den Backbordniedergang zum Quarterdeck so gewandt hinunter, als trüge er statt seiner Prothese ein richtiges, gesundes Bein. Dan folgte ihm.

      Shane mußte grinsen. „Also, mit dieser letzten Bemerkung hat der alte Barsch mir doch tatsächlich den Wind aus den Segeln genommen. Sonst hätte ich ihm nämlich noch mal kräftig meine Meinung gesagt.“

      Hasard hörte nur mit halbem Ohr hin. Er war nach vorn an die Schmuckbalustrade getreten und beobachtete die schattenhaften Gestalten der Männer, die im Dunkel der Nacht über Deck huschten. Sie geiten die Marssegel und die Blinde auf, und Gary Andrews enterte auf Ben Brightons Anordnung hin als Fockmastgast in den Vormars auf.

      Würde es in dieser Nacht Komplikationen geben? Hasard stellte darüber keine Überlegungen an. Auf See gab es keine gültige Vorausschau, an die man sich halten konnte, man mußte auf jede Art von Überraschung vorbereitet sein. Ein Korsar wußte nie, was vor ihm lag, von einer Minute auf die andere konnte sich das Unheil in vielfacher Weise einstellen. Die Erfahrung, die man zur Bewältigung haarsträubendster Situationen benötigte, schöpfte man aus den Ereignissen der Vergangenheit.

      Plymouth lag jetzt weit hinter ihnen, und die Erinnerung an England und die Abenteuer im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die glorreichen, unüberwindliche Armada verblaßte allmählich. Blacky hatte ein „Andenken“ ganz besonderer Art mitgenommen: Ihm war zum Abschluß eine Kiste aufs Bein gefallen. Er hatte sich den Knöchel gebrochen, und kein anderer als Doc Freemont hatte diese komplizierte Fraktur behandeln müssen, sonst hätte Blacky wahrscheinlich den Rest seines Lebens lang jämmerlich gehinkt.

      Blackys Blessur hatte eine Verzögerung verursacht – die „Le Vengeur“ unter Jean Ribault und Karl von Hutten hatte den Hafen von Plymouth eher als die „Isabella VIII.“ verlassen und befand sich auf anderem Kurs auf dem Weg zur Schlangen-Insel.

      Die Schlangen-Insel war auch Hasards Ziel. Dort wollten er und seine Crew sich wieder mit den Männern der „Le Vengeur“ treffen, dort hofften sie auch Siri-Tong, dem Wikinger Thorfin Njal und Arkana, der Schlangen-Priesterin, zu begegnen.

      Ging dieser Wunschtraum wirklich in Erfüllung?

      Hasard verscheuchte die Gedanken daran, seine Aufmerksamkeit wurde jetzt durch die Erscheinung Edwin Carberrys gefesselt, der quer über die Kuhl marschierte, den Niedergang erklomm und ihm etwas unter die Nase hielt.

      „Da, Sir“, sagte der Profos. „Nun sieh dir das an.“

      „Das ist eine Radschloß-Pistole aus unserer Waffenkammer.“

      „Stimmt, Sir.“

      „Und was soll daran Besonderes sein?“

      „Ich sage nur: Der Teufel soll die verdammten Lausebengel holen“, schnaubte Carberry.

      Hasards


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