Seewölfe - Piraten der Weltmeere 164. Roy Palmer
Seewolf nahm die Waffe an sich und unterzog sie einer genauen Untersuchung. „Gott sei Dank ist sie nicht geladen, Ed …“
„Sir! Die Bengel hatten sich auch Pulver und Kugeln besorgt und waren gerade dabei, die Pistole ziemlich fachmännisch zu laden“, stieß der Profos entrüstet aus.
„Wie war das, Ed?“
„Äh – ziemlich fachmännisch, sagte ich wohl.“
„Ja. Wer hat den Burschen das bloß beigebracht?“
„Keine Ahnung, Sir. Aber ich bin sicher, das Unglück gerade noch verhindert zu haben“, sagte Carberry. „Der eine hätte den anderen glatt über den Haufen geschossen, wenn das mit dem Laden geklappt hätte.“
„Und wieso hast du mir nun Meldung erstattet, statt ihnen gleich an Ort und Stelle gehörig den Hintern zu versohlen?“ erkundigte sich Hasard.
Carberry räusperte sich. „Sir, ich, äh – also, ich in meiner Funktion als Profos auf diesem Schiff sah es als meine verdammte Pflicht an, dich zu unterrichten, damit du deinen Söhnen mal wieder ordentlich den Marsch bläst. Wenn das von dir kommt, hat es mehr Gewicht, nicht wahr?“
Hasard lächelte. „Sei doch ehrlich, Ed. Du bringst es einfach nicht fertig, die Bürschchen übers Knie zu legen. Sie erzählen dauernd, was für ein Mordskerl und Draufgänger der Profos sei, und da schwillt dir die Brust vor Stolz, gib es doch zu.“
„Wer, ich? Ich war immer dagegen, diese Kleinkinder mit unsrer alten Lady durch die Gegend zu schippern, so wahr ich hier stehe!“
„Ja, aber jetzt hast du einen Narren an ihnen gefressen und weißt nicht, wie du sie zurechtstauchen sollst.“
Carberrys Gestalt straffte sich. Das wollte er nicht auf sich sitzen lassen. „Sir, ich befürchte ganz einfach, ich bringe diese Rübenschweinchen glattweg um, wenn ich sie mal richtig verwichse. Das ist es.“
„Gut, das akzeptiere ich“, erwiderte Hasard mit todernster Miene. „Gehen wir jetzt. Ich knöpfe mir die beiden vor und mache ihnen klar, daß sie nicht mit Waffen herumzuhantieren haben. Weißt du was, Ed? Wir zeigen ihnen mal kurz das Kabelgatt, damit sie einen nachhaltigen Eindruck von dem kriegen, was ihnen bei Unbotmäßigkeit passieren könnte.“
„Eine gute Idee“, pflichtete Carberry sofort bei.
Die „Bengel“ und „Rübenschweinchen“ und „Lauselümmel“, wie der Profos sie zu nennen pflegte, hießen mit ihren richtigen Namen Philip und Hasard. Sie, die Söhne des Seewolfs, waren seit Plymouth wieder an Bord der „Isabella“, und der Seewolf war sich dessen bewußt, daß er sie erst noch wieder richtig „zurechtbiegen“ mußte. Tapfer waren die Zwillinge, das hatten sie bewiesen, und sie hatten auch das Zeug zu richtigen Teerjacken und Korsaren – nicht zuletzt deshalb hatte Hasard sich entschieden, sie mit auf die große Reise zu nehmen.
Aber sie mußten sich der Disziplin, die an Bord der „Isabella“ herrschte, von neuem unterordnen, voll und ganz. In den Tagen, die sie bei Doc Freemont verbracht hatten, hatten sie vielleicht etwas vergessen, daß sie innerhalb der Crew keinerlei Privilegien genossen und keine Extratouren reiten durften.
Jeder Mann an Bord mochte sie und kümmerte sich um sie, aber das durften die Zwillinge nicht ausnutzen. Sonst gab es Ärger. Hasard war in dieser Hinsicht unerbittlich.
Vater sein ist gar nicht so einfach, dachte er.
2.
Florinda sträubte sich heftig gegen die gewaltsamen Annäherungsversuche des bärenstarken Waffenmeisters, und dabei trat sie aus purem Zufall mit dem Fuß gegen die Öllampe, die er auf dem Boden des Kabelgatts abgestellt hatte. Die Lampe kippte um, das Öl lief aus. Die Flamme zuckte aus der Lampe hervor und tanzte über die Öllache. Sie wuchs höher und erfüllte den ganzen Raum mit ihrem gespenstischen zuckenden Schein.
Luis Venavente wurde es gewahr und fluchte mörderisch. Er zerrte das Mädchen ein Stück zurück und trachtete dabei, das Feuer mit seinen Stiefeln auszutreten. Aber es gelang ihm nicht, der Flammen Herr zu werden. Ein Brand drohte sich zu entwickeln. Das Feuer fand in den Holzplanken, im ganzen Schiff reichlich Nahrung. Wenn Benavente jetzt nicht handelte, tobte das Unheil binnen Kürze durch das ganze Schiff.
„Miststück!“ fuhr er Florinda an. „Dafür wirst du büßen!“
„Lassen Sie mich los“, flehte sie ihn an. „Ich helfe Ihnen, das Feuer zu löschen.“
„Sand“, stieß er hervor. „Wir brauchen Sand!“
Er schleuderte sie auf eine der Taurollen, trampelte wieder in den Flammen herum, hielt nach einem Kübel mit Sand Ausschau, der hier wie in fast allen Schiffsräumen anzutreffen sein mußte, und rutschte fast auf dem Öl aus.
Benavente entdeckte den hölzernen Kübel und stürzte darauf zu. Florinda hatte sich in diesem Augenblick wieder aufgerappelt. Sie nahm die Chance wahr, stolperte zum Schott – und diesmal gelang es ihr wirklich, das Schott zu öffnen, ehe er sie daran hindern konnte.
Benavente schrie etwas, das sie nicht genau verstand. Es war wieder einer seiner fürchterlichen Flüche. Florinda hetzte halb blind vor Angst auf den Gang hinaus, der hinter dem Schott lag, strauchelte, fiel, raffte sich wieder auf, lief weiter.
Luis Venavente sah sich vor die Entscheidung gestellt, entweder das Schiff vor einer Feuersbrunst zu bewahren oder den „blinden Passagier“ zu fassen. Das erste erschien ihm in diesem Moment wichtiger, weil lebensnotwendig, und so kippte er den Sand in die Flammen und trampelte wieder wie ein verrücktgewordener Derwisch auf dem Fleck, wobei er nicht aufhörte, die wildesten Verwünschungen auszustoßen.
Sein Gebrüll konnte nicht unbemerkt bleiben.
Florinda vernahm vor sich Männerstimmen, als sie den Schiffsgang entlanghastete, ohne zu wissen, in welcher Richtung sie sich überhaupt bewegte. Am liebsten hätte sie laut nach Andrés geschrien, aber sie bezwang sich und konnte sich bei aller Panik doch noch ausrechnen, daß es das Ende gewesen wäre.
Sie entdeckte einen Quergang, der zu ihrer Rechten verlief, schlüpfte hinein und verharrte. Der Atem stockte ihr, als Schritte heranpolterten und eine Meute von Männern an ihr vorbei zum Kabelgatt eilte. Unwillkürlich schloß sie die Augen und ließ alle Hoffnung fahren.
Jetzt haben sie dich, dachte sie.
Aber sie hatte sich getäuscht. Die Männer entdeckten sie nicht, weil sie in ihrer Hast keine Öllampen oder Talglichter angezündet hatten. Sie orientierten sich an den Flammen, die immer noch im Kabelgatt zuckten und knisterten.
„Was ist denn hier los?“ rief einer von ihnen.
„Teufel, Luis, bist du da?“ schrie ein anderer.
„Helft mir!“ brüllte Luis Benavente zurück. „Wir haben einen blinden Passagier! Ein gottverfluchtes Weibsbild! Die Kanaille hat hier Feuer gelegt, als ich sie aufgestöbert habe. Alle umbringen wollte sie uns, jawohl, uns alle umbringen!“
„So ein Drecksstück!“ riefen einige seiner Kameraden.
„Sucht dieses Weib!“ schrie Venavente. „Alarmiert alles, weckt den Kapitän! Wir müssen sie erwischen, und dann gnade ihr Gott!“
Florinda zitterte am ganzen Leib. Sie hätte vor dem Kapitän und den Schiffsoffizieren bei allem, was ihr heilig war, beteuern können, sie hätte sich nur gegen die Zudringlichkeiten des Waffenmeisters gewehrt – keiner hätte es ihr abgenommen. Die Fakten sprachen gegen sie, und einem blinden Passagier glaubte man sicherlich nicht.
Sie mußte fort.
Wo war Andrés?
Florinda schlich aus dem Quergang wieder in den Hauptgang und lief weiter, während hinter ihrem Rücken die Gruppe Seeleute das Kabelgatt erreicht hatte. Sie halfen Luis Benavente, die letzten Flämmchen auszutreten und diskutierten dabei darüber herum, wer denn nun nach vorn und nach achtern, hinter dem „Weibsbild“