Seewölfe - Piraten der Weltmeere 189. Roy Palmer
Lady“ setzte ihren Kiel nicht aufs Riff.
Pete Ballie sah seinen Kapitän über das Ruderrad hinweg an. „Was meinst du, Sir? Haben wir das Atoll hinter uns?“
„Pete, ich bin kein Hellseher.“
„Aber wir schaffen es.“
„Der Teufel soll dich holen, wenn wir irgendwo aufbrummen, Mister Ballie!“
Pete grinste und stemmte sich gegen das Ruderrad. Hasard, der auf der anderen Seite stand, zeigte ebenfalls ein hartes, verwegenes Lächeln.
Ein Brecher schob sich von der Steuerbordseite heran, stieg an der Bordwand der „Isabella“ auf und lappte übers Schanzkleid. Schwerer krängte die Galeone nach Backbord, steiler fielen ihre Decks ab, aber auch diesmal brachte der Sturm sie nicht zum Kentern. Das Wasser sprudelte und rauschte durchs offene Ruderhaus hindurch und näßte die Gesichter und die Gestalten der beiden Männer. Sie prusteten – und grinsten sich immer noch wie die Teufel an.
Auf der Kuhl hatte sich Ferris Tucker mit einem saftigen Fluch von Big Old Shane losgerissen. Er hielt sich in den Manntauen fest, warf einen Blick quer über Deck und brüllte: „Hölle und Teufel! Wir haben unseren schönen Kahn gerade wieder instand gesetzt, und schon kriegen wir wieder was aufs Haupt! Am besten rühren wir überhaupt keinen Finger mehr, das kommt bei der Scheißlady letzten Endes ja doch aufs selbe ’raus!“
Er hatte allen Grund, erbost zu sein: Fast vier Tage lang hatte er mit seinen Helfern an der ramponierten „Isabella“ gearbeitet und die vor Tutuila erlittenen Gefechtsschäden ausgebessert – und jetzt dies!
Serafin und Joaquin, die immer noch verbissen die Fockschot festhielten, wie Carberry es ihnen befohlen hatte, blickten verdutzt zu dem wetternden Rothaarigen hinüber. Sie verstanden kein Wort von dem, was er auf englisch schrie, aber sie dachten, es gelte ihnen – und fuhren unwillkürlich zusammen.
Der Profos hangelte zu ihnen hinüber und begann wieder in seinem schauderhaften Spanisch zu brüllen. „Ihr Kakerlaken, ihr Enkel eines triefäugigen Tintenfischs! Wollt ihr die Scheiß-Schot wohl belegen? Oder wollt ihr daran baumeln bleiben und verhungern, was, wie?“
Die Spanier beeilten sich, seine neue Anordnung zu befolgen, aber sie fühlten sich mehr als verunsichert.
Old O’Flynn hatte derweil unbeschadet das Achterdecksschott erreicht. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, unbedingt nach Batuti und Hasard junior zu sehen – ja, und auch nach dem Mädchen Lavida, das auch im Achterkastell untergebracht war. Schön, der Kutscher und Philip junior wachten an den Kojen der drei Patienten und paßten auf, daß sie nicht herausfielen und sich irgendwo stießen. Aber was war, wenn der Kutscher und Philip junior nicht mehr gegen das Schlingern des Schiffes ankämpfen konnten und Verstärkung brauchten?
Schimpfend löste Old O’Flynn die Verschalkung des Schotts. Er hatte sein Werk vollbracht und wollte das Schott gerade öffnen, da prallte es ihm auch schon entgegen. Der Alte wich schnell einen Schritt zurück, sonst hätte die hölzerne Kante garantiert sein gesundes Bein getroffen.
„Hölle, Tod und Teufel“, schrie er. „Was wird hier …“
Weiter gelangte er nicht. Eine schlanke, geschmeidige Gestalt schlüpfte an ihm vorbei und war auf der Kuhl, ehe er sie daran hindern konnte. Sie arbeitete sich in den Manntauen voran und enterte das Achterdeck.
Lavida, das Polynesiermädchen!
Die Öffnung der Grotte war in der Dunkelheit, die über der Insel Ngau lag, kaum zu erkennen. Rafael Sabicas nahm sie nur vage wahr, er mußte erst ein paarmal mit den Lidern blinzeln, um die bewaldeten Hänge sehen zu können, die links und rechts der Jolle aufstiegen.
Das Boot war aus dem Wasserstollen heraus, und die Piraten pullten gegen die Strömung des Bachlaufes an, der sich etwa vom Zentrum der Insel aus in vielen Windungen durch das Berg- und Hügelland schlängelte und schließlich in der Bucht mündete. Jahrtausende – so nahm der Andalusier an – mußten vergangen sein, ehe das Süßwasser die Grotte in die Felsen gewaschen hatte, die ihr den Ausfluß ins Meer versperrt hatten.
Hoch über den Köpfen der Freibeuter war Bewegung. Sabicas schaute auf. Der Sturmwind bog die Stämme der Bäume und ließ ihre Wipfel rauschen. Oben, im Regenwald, der die Bergkuppen überzog, sang das Wetter sein heulendes Lied, aber hier unten war kaum ein Windhauch wahrzunehmen.
Nahezu lautlos glitt das Boot durch die geschützte Schlucht. Sabicas lehnte sich ein wenig zurück und versuchte, sich zu entspannen. Er hatte es geschafft. Über was machte er sich jetzt noch Sorgen?
„Männer“, sagte er. „Es ist vollbracht. Wir haben dem Teufel ein Schnippchen geschlagen. Hölle, ihr solltet froh darüber sein.“
Keiner antwortete ihm. Selbst Donato schwieg.
Sabicas betrachtete die Mienen der zehn Kerle. Er las darin und wußte plötzlich, warum ihm immer noch nicht ganz wohl in seiner Haut war. Die Meute hatte sich keineswegs beruhigt. Er spürte ihre Niedergeschlagenheit und den schwelenden Zorn.
Es roch nach Meuterei.
„Und noch etwas“, sagte er leise. „Etwas, das wir bislang nicht bedacht haben. Überlegt doch mal, was wohl aus der ‚Isabella‘, dem Seewolf und seiner verfluchten Mannschaft geworden ist. Na?“
Keiner der zehn sprach.
„Donato!“ zischte der Andalusier.
„Du glaubst, der Sturm zerschlägt die ‚Isabella‘“, entgegnete der Kalabrier langsam. „Aber du täuschst dich. El Lobo del Mar steht mit dem Satan im Bund, er hat schon ganz anderen Gefahren getrotzt. Erinnerst du dich nicht an die Legenden, die von ihm und seiner Crew in den spanischen und portugiesischen Siedlungen Ostindiens erzählt werden? Er geht nicht unter. Niemals. Er ist unsterblich – Senor.“
Sabicas winkte ab. „Gewäsch! Du sprichst wie ein altes Weib, Donato. Legenden sind nun mal Märchen, das sagt ja schon das Wort. Und dieser Seewolf ist ein ganz gewöhnlicher Sterblicher wie alle anderen Menschen auch. Nein, er übersteht diesen Taifun nicht.“
„Du vergißt Lavida.“
„Die braunhäutige Hündin? Sie ist vor Tutuila ertrunken, nachdem ich ihr die Musketenkugel verpaßt habe. Geschieht ihr recht. Diese Hure hat nichts Besseres verdient.“
„Sie lebt“, sagte der Kalabrier. „Wir haben gesehen, wie die ‚Isabella‘ beigedreht hat …“
„Und?“ stieß Sabicas aufgebracht aus. „Was haben wir noch gesehen? Nichts. Wenn du dir einredest, der Seewolf habe das Dreckstück aus der See gefischt, dann täuschst du dich.“
„Sie ist an Bord der ‚Isabella‘.“
„Nein!“ schrie Sabicas.
„Sie befindet sich auf dem Schiff dieser Bastarde und weist ihnen den Weg nach Ngau. Einen besseren Lotsen als Lavida konnten sie nicht finden!“
Sabicas griff mit einer geradezu traumhaft schnellen Bewegung an seinen Waffengurt. Er zückte die Radschloßpistole, die er bei einem seiner Raubzüge erbeutet hatte, spannte den Hahn und zielte auf den Kalabrier.
„Das Weib ist vor Tutuila wie eine Ratte abgesoffen“, sagte er kalt. „Kein Mensch konnte sie noch retten. Das siehst du doch ein, Donato, nicht wahr?“
Der Kalabrier hielt mit dem Pullen nicht inne. Er überlegte, ob er sich in der nächsten Vorwärtsbewegung seines Körpers auf den Andalusier werfen sollte, schnell und völlig unverhofft.
Aber dann besann er sich doch eines Besseren. Trotz der Wut und des Hasses, die in ihm überzuschäumen drohten, nickte er und erwiderte: „Doch. Ich sehe es jetzt ein, Senor.“
Sabicas grinste höhnisch. „Und du gibst mir auch in dem anderen Punkt recht?“
„Ja. Die ‚Isabella‘ wird sinken.“
„Nicht nur das“, sagte der Andalusier. „Ich versichere, sie läuft mitten in das Atoll hinein und bleibt auf einem der Riffe hängen.