Seewölfe - Piraten der Weltmeere 371. Burt Frederick
im Vollrausch hatte er Arne die Information über die Perlenladung gegeben, die letztlich zum erfolgreichen Fischzug Hasards und seiner Männer geführt hatte.
Während die beiden Spanier schon die Eingangstür des Kontorhauses erreichten, wurde Arne schlagartig bewußt, was das Auftauchen des Kapitäns gemeinsam mit de Alcazar bedeutete. Don Gabriel mußte den Seewolf gesehen haben und …
Ein energisches Klopfen dröhnte durch den Korridor und unterbrach die Gedanken von Manteuffels.
Jörgen Bruhn wandte sich an seinem Pult um.
„Besuch?“ fragte er erstaunt. „Erwarten wir denn jemanden?“
„Nein“, erwiderte Arne mit einem harten Lächeln. „Dieser Besuch dürfte eine gelungene Überraschung sein.“ Im Hinausgehen erklärte er seinem Schreiber, wer dort draußen an die Tür hämmerte. Jörgen würde seine Arbeit fortsetzen und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen, das wußte Arne. Und er selbst war entschlossen, die Rolle zu spielen, die diese Situation ihm abverlangte.
Das Klopfen endete, als seine Schritte durch den Korridor klangen. Er löste die Riegel und öffnete. Im selben Moment spielte er den Entgeisterten. Dabei gelang es ihm, das rechte Maß zu finden und nicht zu übertreiben. Denn er wußte, daß de Alcazar ein scharfer und unbestechlicher Beobachter war. Arne sperrte den Mund weit auf und starrte die beiden Männer mit großen, verblüfft blinzelnden Augen an.
„Nein!“ rief er erstaunt und gedehnt. „Kann ich meinen Augen trauen? Sie hier? Beide? Sind Sie denn nicht …“
De Alcazar unterbrach ihn mit einer schroffen Handbewegung und wandte sich dem Kapitän zu.
„Nun, Don Gabriel? Sehen Sie sich diesen Mann genau an. Und dann beantworten Sie meine Frage: Hat der englische Piratenkapitän so ausgesehen wie Señor de Manteuffel?“
Arne mußte seine ganze Beherrschung aufbieten, um sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen. Don Juans Miene war eisig, und jede Bemerkung, die nichts mit der von ihm verfolgten Sache zu tun hatte, würde an ihm abprallen. Soviel stand fest. Doch Arne verlor die Rolle des grenzenlos Überraschten keinen Augenblick. Stirnrunzelnd und scheinbar begriffsstutzig erwiderte er den forschenden Blick des Kapitäns, der seinen Knebelbart zwischen Daumen und Zeigefinger drehte.
„Ich sehe Señor de Manteuffel ja nicht zum ersten Mal“, sagte Tintillan. „Wir sind uns doch schon beim Bankett des Gouverneurs begegnet.“
„Danach habe ich nicht gefragt“, sagte de Alcazar, und es klang wie ein zischender Peitschenhieb.
Der Kapitän der „Santa Clara“ zuckte zusammen.
Arne tat, als hätte er seine Überraschung wenigstens teilweise überwunden.
„Señores“, sagte er beschwichtigend und mit einer einladenden Handbewegung. „Wir sollten uns nicht zwischen Tür und Angel unterhalten. Und wenn Sie so schwerwiegende Fragen haben, Don Juan, dann werden Sie die vielen unerwünschten Ohren auch nicht gerade schätzen.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er auf die Menschen auf dem Kai.
Der Anflug von Spott in seiner Stimme war de Alcazar nicht entgangen, das zeigte sich an einem kaum merklichen Glimmen in den schiefergrauen Augen.
Mit einem grimmigen Nicken stimmte der Agent des spanischen Königshauses zu. Arne führte die beiden Männer in sein Besprechungszimmer, das sich auf der anderen Seite des Korridors befand, dem Kontor gegenüber. Er wußte, daß er auf dem richtigen Weg war. Wenn es ihm gelang, de Alcazars bohrende Fragen mit einer gehörigen Portion Humor auf die leichte Schulter zu nehmen, dann brachte er den Mann damit am ehesten aus dem Konzept. Er forderte die Besucher auf, in den behaglichen Sesseln Platz zu nehmen.
„Noch einmal“, bedrängte Don Juan den Kapitän. „Können Sie eine Ähnlichkeit feststellen?“
„Natürlich“, erwiderte Tintillan pikiert. „Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, Don Juan: Ich habe nicht von ungefähr erwähnt, daß ich Señor de Manteuffel beim Gouverneur kennenlernte. Denn als diese englischen Piraten mein Schiff enterten, da hat mich vor. Überraschung fast der Schlag getroffen. Würde Señor de Manteuffel eine schwarze Perücke tragen, dann sähe er haargenau so aus wie dieser englische Piratenkapitän.“
„Aha“, sagte de Alcazar und preßte die Lippen aufeinander. Aus schmalen, blitzenden Augen betrachtete er sein Gegenüber.
Arne erkannte überdeutlich, was in dem Mann vor sich ging. Zweifellos empfand er Triumph darüber, daß er nun zumindest einen Augenzeugenbericht über den gesuchten Feind der spanischen Kröne erhalten hatte. Der Kapitän und die Besatzung der „Santa Clara“ hatten den Seewolf gesehen. Der Engländer, auf den Don Juan de Alcazar angesetzt worden war, hielt sich folglich in der Karibik auf. Vielleicht hatte er sogar seinen Schlupfwinkel in der Nähe der Bahamas, wo er zugeschlagen hatte.
Doch der Triumph de Alcazars wurde geschmälert von seiner Wut. Das Muskelzucken in seinem Gesicht verriet es. Er hatte die Gelegenheit verpaßt, dem Seewolf persönlich zu begegnen. Unbekannte Strolche hatten ihn überfallen, bewußtlos geschlagen und gefesselt, und somit war die „Santa Clara“ ohne ihn ausgelaufen.
Arne mußte sich zwingen, bei diesem Gedanken nicht zu grinsen. Da er letzten Endes den Überfall durch die „unbekannten Strolche“ inszeniert hatte, konnte er sich Don Juans augenblickliche Gefühle sehr gut vorstellen. Aber er mußte seine Rolle als völlig Unbeteiligter und Ahnungsloser weiterspielen.
„Da Don Gabriel Ihre Frage nunmehr beantwortet hat“, sagte er kühl und abermals mit einem Hauch von Spott in der Stimme, „wäre ich dankbar, wenn Sie mich über den Grund Ihrer Anwesenheit aufklären würden, Señor de Alcazar. Immerhin mußte ich nach dem letzten Stand der Dinge annehmen, daß Sie sich in der Gegend von Florida befinden, und daß die ‚Santa Clara‘ auf der Rückreise nach Europa ist.“
„Wie Sie sehen, ist beides nicht der Fall“, entgegnete Don Juan frostig. „Und daß es so ist, verdanken wir Ihrem Doppelgänger, der als englischer Pirat sein Unwesen treibt.“
„Langsam entwickle ich Respekt vor diesem Burschen.“ Arne lächelte und blies die Luft durch die Nase. „Eines Tages wird er mich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen, fürchte ich. Ich spüre, daß Sie mir diese zufällige Ähnlichkeit schon jetzt zur Last legen, wenn Sie es auch nicht offen aussprechen.“
„Ihre Ähnlichkeit mit Killigrew ist zumindest frappierend. Welche Rückschlüsse man daraus zieht, ist im Moment noch unerheblich. Denken Sie also, was Sie wollen. Vorrangig geht es darum, daß wir den Mann fassen. Dann sehen wir weiter.“
„Das klingt bedrohlich“, sagte Arne und tat, als erschauerte er. „Ich frage mich nur, wie der Kerl Sie daran gehindert hat, sich an Bord der ‚Santa Clara‘ zu begeben.“
„Unsinn“, fauchte de Alcazar. „Davon war nicht die Rede.“
„Ach, nein? Sie sagten, daß Sie Ihre augenblickliche Lage meinem Doppelgänger verdanken.“
„Das bezog sich auf den Verlust der ‚Santa Clara‘. Ich selbst wurde von geldgierigen Halunken in eine Falle gelockt. Deshalb war ich beim Auslaufen der Galeone nicht zur Stelle.“
Arne erlebte ein neues Beispiel für das Bemerkenswerte an diesem Mann. Bei aller Verbissenheit, mit der er sein Ziel verfolgte, blieb er doch ehrlich gegenüber sich selbst und anderen. Dafür sprach die Tatsache, daß er die erlittene Schlappe unverhohlen zugab. Don Juans Fähigkeit, Schwächen einzugestehen, machte ihn um so gefährlicher.
Er war kein Mann, der mit Haken und Ösen, mit Winkelzügen und Hinterhältigkeiten arbeitete. Ein Gegner also, auf den man sich einstellen konnte. Doch eben das konnte wiederum auch zum Leichtsinn führen. War man zu sehr überzeugt, de Alcazars Reaktionen richtig vorausberechnet zu haben, dann war es für ihn um so einfacher, einen mit einem unerwarteten Schachzug zu überrumpeln.
„Da scheinen Sie ja großes Pech gehabt zu haben“, sagte Arne. „Vermute ich richtig, daß Sie eine günstige Gelegenheit verpaßt haben, Ihrem Erzfeind Auge in Auge gegenüberzutreten?“
„Sie