Seewölfe - Piraten der Weltmeere 278. Roy Palmer
„Und reiten können wir auch.“
„Wir gehen also zu Mulkenny“, sagte Jade und sah Sally an. „Zu dem wolltet ihr doch, oder? Ich lese es ja deinem Gesicht ab, Sally.“
„Eure Männer werden euch suchen“, wandte Kathryn ein. „Es wäre besser, wenn ihr nach Hause zurückkehrtet, um dort die Stellung zu halten.“
„Was für eine Stellung denn?“ sagte Eileen spöttisch. „Da tut sich gar nichts, meine Liebe, denn unsere lieben Männer klappern gerade die Tavernen ab, wenn du’s genau wissen willst. Wir hingegen müssen den heimischen Herd hüten, so wollen es die neuesten Bestimmungen, die erlassen worden sind.“
„Mit anderen Worten, keiner wird uns heute nacht vermissen“, ergriff nun wieder Jade das Wort. „Ihr könnt uns nicht davon abhalten, euch zu folgen. Außerdem ist es unsere Pflicht, euch zu beschützen.“
„Uns beschützen?“ wiederholte Kathryn verblüfft. „Wie denn?“
„Zu fünft sind wir stärker als ihr allein zu zweit“, sagte Jade mit unerschütterlicher Logik. „Nun los, laßt uns keine Zeit mehr verlieren. Wir haben schon genug diskutiert.“
Sie debattierten aber doch noch eine Weile herum. Schließlich mußten Kathryn und Sally dem Drängen ihrer Freundinnen nachgeben, alle Widerrede hatte keinen Zweck. Gemeinsam begaben sie sich also zu Mulkenny, dem Wirt der Herberge „Morris’ Arms“.
Nach all dem Trubel und Aufstand, den es um die Seewölfe gegeben hatte, ließen Burkes Söldner den bulligen Mann nun endlich wieder in Ruhe, und so hatte Mulkenny nicht die geringsten Bedenken, den Frauen einige seiner besten Pferde zu überlassen.
„Daß ihr Haare auf den Zähnen habt und euch so leicht nicht überrumpeln laßt, weiß ich ja“, sagte er zum Abschied und grinste. „Aber paßt trotzdem auf euch auf. Und grüßt mir Philip Hasard Killigrew, diesen Teufelskerl, wenn ihr ihn trefft.“
„In Ordnung“, entgegnete Kathryn und reichte ihm die Hand. Mulkenny, der sonst gern Hände quetschte, hütete sich, zu fest zuzudrücken.
Zunächst umwickelten die fünf Frauen die Hufe ihrer Tiere mit Lappen und führten sie bis zu einem der nur dürftig bewachten Stadttore. Hier verharrten sie im Schutz eines Mauerbogens, bis der Posten vorbeigezogen war, dann stahlen sie sich hinaus, nahmen den Pferden die geräuschdämpfenden Lappen wieder ab, saßen auf und ritten in die Nacht hinaus.
Callaghan, der Anführer des fast zwei Dutzend Mann starken Rebellentrupps, bog vorsichtig die Zweige des Gebüsches auseinander, in dessen Schutz er mit seinen Kerlen am Ufer des Corrib River kauerte. Gleich war es soweit, gleich würden im Wald und am Fluß wieder die Schüsse knallen.
„Da kommen sie“, raunte er Cohen zu, der neben ihm hockte und ebenfalls aus schmalen Augen auf das Wasser hinausspähte, dessen kleine Wellen im Mondlicht glitzerten.
Tatsächlich, jetzt konnte auch Cohen das Boot erkennen, das – von Pferden getreidelt – soeben um die nördliche Biegung geglitten war und dessen Umrisse sich jetzt allmählich aus der Dunkelheit hervorschälten.
Auf diesen Augenblick hatten sie gewartet. Die Fakten bestätigten, daß Finbar Murphy doch recht gehabt hatte, als er behauptete, Henrietta Burke würde Smithwick Castle erst am späten Nachmittag oder am Abend verlassen, um nach Galway zurückzukehren.
Cohen hatte zwar zuerst gemurrt, aber jetzt mußte er einsehen, daß es richtig gewesen war, erneut das Versteck der Rebellen zu verlassen und einen Handstreich gegen die Söldner zu planen und durchzuführen, bei dem das Mädchen wieder in ihre Hände gelangte.
Nur so ließ sich Murphys Tausend-Dublonen-Forderung wiederholen, nur so konnte er darauf hoffen, das Lösegeld doch noch zu erhalten. Inzwischen durfte er auch mit einem durchschlagenden Erfolg seiner nächtlichen Aktion rechnen, denn nach dem Überfall auf das Gefangenenlager von Lord Harvey Morris-Smithwick hatte er wieder genügend Leute zur Verfügung, so daß sich die Niederlage vom Kornspeicher nicht wiederholen würde.
Allerdings kritisierten Männer wie Cohen im stillen, daß Finbar Murphy nicht selbst an dem Überfall teilnahm. Warum war er nicht dabei, warum hielt er sich im Hintergrund, während sie ihre Haut zu Markte trugen? War das eine plötzliche, unerklärliche Feigheit? Ließ er, der sonst so verwegen und todesmutig war, sich jetzt die Kastanien durch andere aus dem Feuer holen?
Callaghan konnte es nicht glauben, er rechnete damit, daß Murphy noch überraschend irgendwo auftauchte. Und das hatte der Rebellenführer auch tatsächlich vor. Denn er wollte dadurch, daß er zunächst so tat, als bliebe er im Schlupfwinkel, diejenigen seiner Männer auf die Probe stellen, die sich in den letzten Tagen nicht durch sonderlich couragierten Einsatz hervorgetan hatten.
Callaghan, Cohen, Friedkin, Kilkenny, Malone, Jim und die anderen – waren sie der Sache der Freischärler überhaupt noch treu? Waren sie bereit, für Irland zu sterben? Besonders die Vorgänge im Kornspeicher hatten Murphy nachdenklich gestimmt. Er wollte wissen, wie sich die Moral seiner Truppe entwikkelte.
Callaghan wandte sich zu den Kumpanen um. Er konnte andeutungsweise Jims Gesicht erkennen, Arnoldos Nase und auch einen Teil von Friedkins Gesicht.
„Aufpassen“, zischte er. „Wir gehen so vor, wie wir’s besprochen haben. Von jetzt an will ich keinen Laut mehr hören, verstanden?“
„Ja“, murmelten sie im Chor. Dann schwiegen sie wirklich, denn das Flußboot glitt rasch näher.
Callaghan beobachtete wieder das Boot. Im fahlen Mondlicht konnte er jetzt deutlich die Gestalten an Bord erkennen. Da war das Mädchen, das ein Häubchen und ein Kopftuch trug, und hinter ihr standen zwei dicht vermummte Menschen – einer davon merkwürdig krumm –, bei denen es sich unmöglich um Söldner handeln konnte.
Das sind Diener, dachte Callaghan, mit denen sind wir schnell fertig.
Norman Stephens selbst, so hatte es zumindest den Anschein, war auch an Bord. Callaghan erkannte seine große, breitschultrige Gestalt wieder. Weiter waren da noch zwei Söldner – das war alles. Hinzu kamen die Soldaten an Land, die die Pferde antrieben, doch die komplette Gruppe bestand höchstens aus einem Dutzend Menschen.
Das ist euer Untergang, dachte Callaghan.
Er fand es zwar ein bißchen merkwürdig, daß Lord Morris-Smithwick die Tochter seines Freundes Burke derart schlecht bewacht zurück nach Hause schickte, und irgend etwas störte ihn auch an Henrietta Burke, doch sehr schnell verdrängte er alle diese Überlegungen und konzentrierte sich nur noch auf das bevorstehende Unternehmen.
Was sollte da schon schiefgehen? Selbst wenn sich noch einige Söldner im Dickicht verborgen hielten, würden die Rebellen trotzdem siegen, denn sie hatten bei ihrem Angriff eindeutig das Überraschungsmoment auf ihrer Seite.
So malte Callaghan sich die ganze Sache aus, aber es sollte sich doch alles anders entwickeln, als er sich das vorgestellt hatte. Norman Stephens, Henrietta Burke und die Söldner waren nämlich bereits gewarnt worden – von dem Seewolf und dessen Kameraden.
Das Flußboot war nahe genug heran. Callaghan, Cohen, Friedkin, Kilkenny und Malone glitten an einer Stelle, an der die Büsche hart bis ans Wasser reichten, lautlos in die Fluten und tauchten sofort. Sie hatten sich kurze Schilfrohre zurechtgeschnitzt, durch die sie jetzt, während sie dicht unter der Wasseroberfläche dahinschwammen, Luft holten. Es war nicht das erste Mal, daß sie auf diese Weise tauchten, sie hatten das Verfahren bei anderen Gelegenheiten bereits erprobt.
Jim, Arnoldo und die anderen Rebellen blieben im Ufergestrüpp zurück und hielten ihre Musketen schußbereit.
Callaghan und seine vier Begleiter waren nur mit Säbeln und Messern bewaffnet, die sie jedoch bei ihrem plötzlichen Überfall blitzschnell einzusetzen gedachten – so flink, daß die wenigen Passagiere des Bootes gar nicht erst dazu kamen, auf sie zu feuern.
Geschickt tauchten sie bis zur Mitte des Corrib River, Callaghan hatte den Zeitpunkt richtig berechnet: Genau in dem Moment, als das Boot auf gleicher Höhe mit dem Uferversteck war, schoben sich die fünf Rebellen längsseits und hoben ihre Köpfe