Seewölfe - Piraten der Weltmeere 135. Kelly Kevin

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 135 - Kelly Kevin


Скачать книгу
mit Staub und Bilgewasser“, sagte der Kutscher erbittert. „Schwarzmehl-Pfannkuchen mit Linseneinlage und Essig-Aroma! Viel Vergnügen!“

      Ferris Tucker schluckte.

      Bill, der Schiffsjunge, legte seinen Arm um den schuldbewußten Arwenack. Der Kutscher, der mit in die Hüften gestemmten Fäusten vor ihnen stand, schien ein gewisses Vergnügen daran zu finden, die zu erwartende Verpflegungssituation auszumalen.

      „Bilgewasserwasser-Suppe mit Kakerlaken“, behauptete er. „In Essig eingelegte Rosinen. Und Kokosmilch! Jede Menge Kokosmilch, weil wir ja kein Wasser mehr haben.“

      Ferris Tucker warf noch einen schicksalsergebenen Blick auf das Chaos, dann wandte er sich Bill zu.

      „An Deck mit dir!“ knurrte er. „Ich brauche mindestens fünf Mann, um diesen Saustall aufzuräumen. Und ein bißchen plötzlich, du Hering, sonst gibt’s Zunder!“

      Die spanische Galeone „Santa Lucia“ schwankte schwerfällig wie eine kranke Kuh in der hohen Dünung.

      Der Sturm war abgeflaut, die handige Brise trieb nur noch wenige Wolkenfetzen über den Himmel. Auf dem Achterdeck versuchte Mercedes del Rios ihr zerzaustes schwarzes Haar in Ordnung zu bringen. Unten in dem Laderaum, den man ihnen als provisorisches Quartier zugewiesen hatte, war die Luft kaum zu atmen. Zwanzig Frauen hatten sich während des Sturms zitternd vor Angst aneinandergeklammert. Frauen, die schon einmal einen Schiffbruch erlebt hatten und wußten, was sie erwartete, wenn die „Santa Lucia“ kenterte.

      Mercedes schlug schauernd die Arme um ihren Körper.

      Sie dachte an die „Regina Maris“, mit der sie vor Wochen in Spanien aufgebrochen waren. Sie und mehr als fünfzig andere Frauen, die meisten davon unterwegs, um ihren Männern oder Verlobten zu folgen, die in den Kolonien eine neue Existenz aufgebaut hatten. So optimistisch und voller Hoffnung waren sie gewesen!

      Auch Mercedes, obwohl auf sie in der neuen Welt niemand wartete. Sie war vor den Verhältnissen in Spanien geflohen, vor der Tyrannei ihrer alten, aber verarmten Familie, vor der Aussicht, ihr Leben im Kloster beschließen zu müssen, weil es ohne Mitgift keine standesgemäße Heirat gab und eine Frau aus guter Familie nur die Wahl zwischen Ehe und Kloster hatte. Die Neue Welt erschien Mercedes wie so vielen anderen als Versprechen, als Land, in dem ihre Träume wahrwerden konnten.

      Dann war die „Regina Maris“ im Sturm gekentert, und zwanzig Frauen und einige wenige Männer hatten tagelang in einem winzigen Rettungsboot ausharren müssen, bis die „Santa Lucia“ sie aufnahm.

      Jetzt waren sie auf dem Weg zurück nach Spanien: Menschen ohne Hoffnung, denn die wenigsten von ihnen konnten noch genug Geld aufbringen, um eine zweite Passage zu bezahlen.

      Mercedes wandte sich um und ließ ihren Blick über das Schiff schweifen. Ihre großen, nachtdunklen Augen leuchteten auf, als sie den jungen Mann erkannte, der auf sie zuging. Diego Mantagua hatte Freiwache. Aber er traf sich immer mit Mercedes, ehe er ins Logis hinunterstieg, und sie dachte daran, wie glücklich sie sich schätzen konnte, daß sie ihn gefunden hatte.

      In Cadiz würde er abmustern, hatte er versprochen.

      Seine Eltern besaßen einen kleinen Bauernhof, und sie würden sich freuen, wenn ihr einziger Sohn, der aus Abenteuerlust davongelaufen war, nach Hause zurückkehren und eine Frau mitbringen würde. Mercedes seufzte glücklich, und ihre Augen leuchteten, als Diego den Arm um sie legte.

      Er wollte sie an sich ziehen, doch im nächsten Moment wurde die Idylle jäh gestört.

      „Deck!“ schrie der Ausguck im Hauptmars. „Schiff Steuerbord voraus! Eine Karavelle!“

      Von einer Sekunde zur anderen wurde es auf der Galeone lebendig.

      „Alle Mann an Deck!“ scheuchte die Stimme des Capitans die erschöpften Männer auf.

      „Alle Mann an Deck!“ wiederholte der Profos lauthals.

      Flüche erklangen. Das Klatschen nackter Sohlen mischte sich mit dem Brüllen der Befehle, auf dem Achterkastell zog der Capitan das Fernrohr auseinander. Diego schob Mercedes rasch auf den Niedergang zu und wandte sich ab, fluchend, weil es wieder mal mit der Freiwache nichts werden würde.

      Der Capitan ließ die „Santa Lucia“ vorsorglich gefechtsklar machen.

      Leicht beunruhigt beobachtete er das fremde Schiff, das keine Flagge zeigte. Ein Spanier konnte es nicht sein, denn sonst wäre bereits das Holzkreuz zu sehen gewesen, das auf allen Schiffen seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, unter dem Bugspriet baumelte. Kamen eigentlich nur noch Araber in Frage: Barbaresken, die hier im Maghreb Seeräuberstaaten gegründet hatten.

      Der Capitan biß sich auf die Lippen. Seine „Santa Lucia“ war nicht gerade überragend bewaffnet. Aber eine einzelne Karavelle mit nicht mehr als drei Geschützen an jeder Seite und vielleicht noch zwei Drehbassen war eigentlich nicht so gefährlich.

      Das Schiffchen segelte beachtlich schnell auf.

      Wie ein zorniger Schwan rauschte es auf die „Santa Lucia“ zu, um ihren Kurs zu kreuzen und das Gefecht von der Luvseite her zu eröffnen. Und jetzt ging auch die Flagge am Stag hoch – eine schwarze Piratenflagge!

      Der Capitan glaubte immer noch, daß die Karavelle gegen die große „Santa Lucia“ keine Chance hätte. Ersetzte das Fernrohr ab und lächelte überheblich.

      Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch genau eine halbe Stunde zu leben.

      Die Vorräte der „Isabella“ waren, bis auf die Kokosnüsse und wenige andere Dinge, nicht mehr zu gebrauchen.

      Der Seewolf fluchte beherrscht. Ed Carberry faßte sich an den Kopf und stöhnte, was Arwenack dazu veranlaßte, eilig in die Luvwanten zu entschwinden.

      „Bastard!“ kreischte der Papagei Sir John. Nicht, weil er etwas von der Debatte über die Vorräte verstanden hatte, sondern weil er die Luvwanten für sich beanspruchte.

      „Es hilft also alles nichts, wir müssen irgendwo Land anlaufen und Vorräte und Wasser an Bord nehmen“, knurrte Hasard. „Schnapp dir mal die Karten, Dan, und sieh nach, ob vor Casablanca noch irgend etwas liegt.“

      Dan O’Flynn brauchte nur ein paar Minuten.

      Wie sich herausstellte, lag vor Casablanca tatsächlich noch etwas, nämlich ein winziges Nest mit dem Namen Sidi-al-Narouz. Daß es auf der Karte eingezeichnet war, sprach immerhin dafür, daß es sich nicht um einen Seeräuberstützpunkt handelte. Die waren zwar zahlreich in dieser Gegend, wurden jedoch im allgemeinen geheimgehalten.

      Die Seewölfe waren nicht erpicht auf eine Begegnung mit den legendären Barbaresken.

      Die „Isabella“ hatte die lange Reise nicht ganz unbeschadet überstanden: ihr Rumpf war eine Muschellandschaft, sie schleppte Tang hinter sich her, und das wirkte sich nicht unerheblich auf die Manövrierbarkeit aus. Ganz deutlich hatte Hasard das in dem hinter ihnen liegenden Sturm gemerkt. Ein Gefecht mit einer barbareskischen Seeräuberflotte war das letzte, was er sich im Augenblick wünschte.

      „Wir laufen also Sidi-al-Narouz an“, entschied er. „Eine Pause tut uns nach dem Sturm ohnehin gut. Ich hoffe …“

      „Deck!“ klang im selben Augenblick Jeff Bowies Stimme aus dem Großmars. „Mastspitzen über der Kimm! Genau voraus!“

      Hasard runzelte die Stirn.

      Mechanisch griff er nach dem Kieker, enterte ein Stück in die Besanwanten und spähte nach vorn. Sie segelten mit halbem Wind über Steuerbordbug und gelangten rasch vorwärts. Die Mastspitzen schoben sich immer höher über die dünne Linie der Kimm, und nach einer Weile waren die beiden Schiffe zu sehen. Eine dickbauchige Galeone und ein kleinerer Zweimaster, eine Karavelle vermutlich. Noch waren sie zu weit entfernt, um Einzelheiten zu erkennen. Daß es sich um eine spanische Galeone handelte und die Karavelle die Piratenflagge führte, wurde erst eine Viertelstunde später deutlich.

      Genau in dem Augenblick, in dem das leichte, nur mit wenigen


Скачать книгу