Seewölfe - Piraten der Weltmeere 393. Roy Palmer
Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-801-0
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Roy Palmer
Inhalt
1.
Am 11. Juni 1594 verlor Ben Maruf, ein aus Melilla stammender Herumtreiber, den Verstand. Er wußte nicht mehr, wie er hieß und wer seine Eltern gewesen waren, wie er – auf vielen Umwegen – an Bord der Schebecke des Mubarak gelangt war und sich der Piraterie verschrieben hatte. Aber er lebte und befand sich am 21. Juni 1594, einem in gewisser Weise für das Schicksal der Mannschaft bedeutungsvollen Tag, immer noch an Bord der Schebecke.
Streit gab es am 11. Juni an Bord des Schiffes. Es war nicht das erste Mal. Seit sich Mubarak auf den gefährlichen und ungewissen Kurs begeben hatte, war das Feuer der Meuterei immer wieder aufgeflackert. Es gärte in den Reihen der Männer, und die meisten wünschten Mubarak wegen seiner hochgesteckten Pläne und Ziele zum Scheitan, dem Teufel der Muselmanen.
Es war Lekbir, ein Kerl aus Rabat, der am 11. Juni gegen Mubarak aufbegehrte und verlangte, daß er den Kurs ändern solle.
„Kehr endlich um!“ schrie er ihn an. „Bevor es zu spät ist! Wir schaffen es nicht! Du findest diese verdammte Neue Welt nie!“
„Überlaß das ruhig mir“, sagte Mubarak mit verzerrtem Gesicht und griff zum Dolch.
Lekbir gab keine Ruhe und begann, Mubarak zu beschimpfen. Dieser stürzte sich mit dem gezückten Dolch auf ihn. Ben Maruf warf sich zwischen die beiden Streithähne – nicht zuletzt deshalb, weil Lekbir zu seinen besten Kumpanen an Bord der Schebecke gehörte. Doch Mubarak verfügte über enorme Kräfte. Er stach Lekbir nieder, ehe dieser sich verteidigen konnte, und er schleuderte Ben Maruf mit einer wüst gebrüllten Verwünschung quer über das Deck.
Ben Maruf stieß sich den Kopf an dem großen Beiboot und brach zusammen. Zwei seiner Kumpane eilten zu ihm und beugten sich über ihn.
„Er ist tot“, sagte der eine.
„Recht so!“ schrie Mubarak. Dann richtete er sich auf und beförderte den toten Lekbir eigenhändig außenbords. Mit einem Klatscher verschwand der Körper in den Fluten, die in diesem Bereich der See tiefblau schimmerten. „So geht es allen räudigen Hunden, die sich gegen mich auflehnen! Laßt euch das ein Beispiel sein!“
„Er lebt“, sagte ein anderer Pirat, denn genau in diesem Augenblick bewegte sich Ben Maruf. Er blutete aus einer Kopfwunde und lallte Unverständliches, aber es schien nicht so schlimm um ihn bestellt zu, sein, wie man anfangs annahm.
Mubarak war dies völlig gleichgültig. Von ihm aus hätte sich Ben Maruf auch das Genick brechen können. Kerle wie der Mann aus Melilla waren seiner Ansicht nach schwachsinnige Narren, die zu nichts taugten. Selim, der Unterführer, war dergleichen Meinung. Er kümmerte sich nicht um den verletzten Mann, sondern dachte nur an das eine Ziel: die Neue Welt. Gold und Silber gab es dort zu holen, Juwelen und Schmuck, die man entweder den Spaniern abnahm oder den Eingeborenen, den Indianern, entriß. Das Risiko der Überfahrt war groß, doch es lohnte sich. Sie alle würden reich werden – jene, die überlebten. Einige hatten wie Lekbir bereits das Zeitliche gesegnet, und die Besatzung der Schebecke war von vierzig Mann auf drei Dutzend zusammengeschrumpft.
Ben Maruf wurde von seinen Kumpanen versorgt. Sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel, auch Galgenstricke hatten eine Ehre. Ben Maruf kämpfte in Gefechten mit fremden Schiffsmannschaften wie ein Berserker und hatte sich schon in so manche Bresche geworfen, um seinen Spießgesellen zu helfen. Sie hatten es ihm nicht vergessen.
Am 13. Juni aber stellte sich heraus, daß Ben Maruf durch den Sturz absonderlich geworden war. Er erlangte das Bewußtsein wieder, doch sein Gesicht war zu einem blöden Grinsen verzerrt, sein Blick verklärt und sein Geist völlig umnachtet. Sein Hirn hatte erheblich gelitten. Es gab keine Rettung mehr für ihn.
Bis zum 15. Juni gelang es den Kerlen der Schebecke noch, die Tatsache vor Mubarak und Selim zu verheimlichen. Dann aber kam alles heraus. Mubarak wollte Ben Maruf über Bord werfen. Doch fast alle von der Mannschaft stellten sich vor den armen Teufel.
„Er hat nichts getan“, sagte ein Riese namens Mustafa. „Und er kann uns immer noch nützlich sein. Er kann aufklaren, Essen und Trinken austeilen und die Abfallkübel leeren.“
„Und er kann euren Dreck auflecken“, sagte Mubarak kalt. „Seid ihr übergeschnappt? Wollt ihr alle meutern?“
„Nein“, erwiderte Mustafa. „Wir sind auch weiterhin deine ergebenen Getreuen, Allah ist mein Zeuge. Nur bitten wir um Vergebung und Gnade für Ben Maruf, der für sein Schicksal nichts kann.“
Mubarak ließ sich überreden. Mustafa hatte einen gewissen Einfluß auf ihn. Er war, obwohl er aussah, als könne er zwei und zwei nicht zusammenzählen, schon immer ein guter Redner gewesen, der Wortführer der Meute – ein Kerl, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Zwischen Selim und ihm bestand eine gewisse Rivalität. Selim wartete auf eine günstige Gelegenheit, Mustafa ausbooten zu können.
Ben Maruf blieb ungeschoren. Die Kerle gewöhnten sich an seine unartikulierten Laute und sein dämliches Kichern. Er verrichtete die niedrigsten Arbeiten und dienerte hündisch, wenn Selim ihn mit dem Fuß trat. Er klatschte begeistert in die Hände, wenn jemand über ihn lachte, und oft saß er während der Nacht stundenlang da und wiegte den Oberkörper hin und her. Dabei summte er törichte Kinderlieder.
Die Spannung und die Nervosität an Bord wuchsen. Am frühen Morgen des 21. Juni – Mubarak war noch nicht an Deck – zog Selim seine veraltete Schnapphahnschloßpistole und legte damit auf Ben Maruf an, der kichernd und lallend von achtern nach vorn watschelte. Er wollte bereits den Hahn spannen und abdrücken, da stoppte ihn eine dunkle Stimme.
„Selim! Wie lauten meine Befehle?“
Langsam ließ Selim die Pistole sinken. Ben Maruf torkelte weiter, er hatte die Gefahr hinter seinem Rücken überhaupt nicht registriert. Selim wandte sich zu Mubarak um, der soeben an Deck erschienen war und ihn aus glitzernden Augen musterte.
„Auf Kurs bleiben und Ausschau halten.“
„Ist das alles?“
„Ja.“
„Warum willst du dann den Verrückten erschießen, obwohl ich ihn begnadigt habe?“
„Weil