Seewölfe - Piraten der Weltmeere 393. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 393 - Roy Palmer


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„Ein feiger Hund, der im Dunkeln vor Angst jault und den Schwanz einzieht. Macht es dich jetzt auch schon krank, daß sich unsere Ankunft hinauszögert?“

      Selim schluckte die Beleidigung, ohne mit der Wimper zu zucken. Er wußte, wie unkontrolliert Mubaraks Reaktionen waren, wenn ein Mann sich renitent benahm.

      „Du irrst dich in mir, Sihdi“, erwiderte er. „Ich habe die Geduld des Propheten, was diesen Punkt betrifft. Nur finde ich, daß Kranke und Schwache, Krüppel und Idioten an Bord eines Schiffes nichts zu suchen haben.“

      Die unterschwellige Furcht und der Aberglaube aller Seefahrer, daß ein Geisteskranker dem Schiff Unglück bringe, sprach aus seinen Worten. Auch Mubarak empfand nicht anders, aber er gab es nicht offen zu. Er hatte dem von Mustafa vorgetragenen Wunsch, Ben Maruf am Leben zu lassen, nachgegeben. Jetzt konnte er die Entscheidung nicht mehr widerrufen. Er durfte nicht unglaubwürdig und wankelmütig wirken, das untergrub seine Autorität.

      Er lachte rauh, trat zu Selim und schlug ihm mit der Hand auf die Schulter. „Ist das alles? Nun, du brauchst dir keine Sorgen zu bereiten. Sobald wir in der Neuen Welt sind, finden wir schon ein Plätzchen für ihn, an dem wir ihn zurücklassen können, verlaß dich drauf.“

      Damit gab sich Selim zufrieden. Auch er hatte daran gedacht, den Irren auf einer winzigen Insel auszusetzen. Eine Lösung würde sich finden. Für alles. Auch für die Querelen mit der Mannschaft und das Problem, das der Riese Mustafa für ihn darstellte.

      Die Schebecke war ein schlanker Dreimaster mit Lateinerrigg, ein wendiges und manövrierfähiges Schiff also, das über ausgezeichnete Am-Wind-Eigenschaften verfügte. Am Vormittag dieses 21. Juni steuerte sie bei Nordostwind auf die nördlichen Inseln der Bahama-Gruppe zu.

      Sie war ein ungewöhnliches Schiff, das in diesen Breiten Aufsehen erregen mußte. In ihrem Schanzkleid befanden sich auf beiden Seiten je elf Geschützpforten. Es war in grellem Rot gehalten und hob sich scharf von dem übrigen, schwarz gestrichenen Rumpf ab. Der spitz mündende unweit vorragende Vorsteven, auf dem der Bugspriet ruhte, endete in einem wild aufgerissenen Löwenmaul.

      Die Dreieckssegel waren von oben nach unten abwechselnd rot und weiß gestreift. Flögel und Flaggen führte die Schebecke nicht, auch hatte sie keinen Namen, der ihr auf die beiden Bugseiten oder auf die Heckpartie geschrieben war. Sie bot wahrhaftig einen seltsamen Anblick in dieser westlichen Ecke des Atlantiks.

      Mubarak stammte aus Algier, wie auch sein Schiff. Er war ein scharfgesichtiger, adlernasiger Mann, schlank, breitschultrig, mit stechenden dunklen Augen und schmalen Lippen. Keiner wußte genau, wie alt er war, aber seine Kerle vermuteten, daß er etwa Mitte der Dreißig war.

      Ein Pirat mit einschlägiger Erfahrung war Mubarak. Bei seinen früheren Beutezügen war er weiter als seine Landsleute nach Westen vorgestoßen, hatte das Mittelmeer verlassen und war bis zu den Azoren gesegelt, wo er spanischen Handelsfahrern auflauerte, die aus der Neuen Welt zurückkehrten.

      Viele Jagden hatten Mubarak und seine Meute von Schnapphähnen rund um die Azoren durchgeführt. In den meisten Fällen waren sie als Sieger aus den Kämpfen hervorgegangen. Sie hatten viele Spanier getötet und Galeonen versenkt, und sie hatten ihre Beute in einer Höhle auf einer winzigen, unbewohnten Insel versteckt.

      Auch vor Gibraltar hatten sie Schiffe aufgebracht. Gold und Silber hatten sie verpraßt, rauschende Nächte hatten sie in Algier und anderswo verbracht und alles in allem ein wildes, freies Leben geführt.

      In den letzten Monaten aber war die Beute mager gewesen. Die Spanier waren weitaus vorsichtiger geworden und wechselten oft die Routen, die Bewachung der Geleitzüge war verdoppelt und verdreifacht worden. Es gab nicht mehr viel zu holen. Zuletzt hatte die Mubarakhorde im Januar eine Dreimastgaleone vor den Azoren gekapert, die aber lediglich Gewürze und ein wenig Schmuck geladen hatte.

      Mubarak hatte diese Entwicklung vorausgesehen, er war nicht dumm. Schon seit einem Jahr trug er sich mit dem Gedanken, seine Aktivitäten in ein anderes Seegebiet zu verlagern. Wohin? Das östliche Mittelmeer kam nicht in Frage, denn dort verkehrten in erster Linie arabische Schiffe, die für ihn kein Angriffsziel waren. Er hatte es auf Spanier und Portugiesen abgesehen.

      Auch nördliche oder südliche Kurse verwarf Mubarak, ihm stand weder nach dem Norden Europas noch nach Afrika der Sinn – schon gar nicht danach, vor den Küsten Spaniens und Portugals herumzustreifen. Sein Ziel war die Neue Welt.

      Unter den Piraten der Barbaresken-Küste am Mittelmeer hatte es gelegentlich Ansätze gegeben, nach Westen in den Atlantik vorzustoßen. Doch die Kühnsten von ihnen waren gescheitert. Sie waren in Stürmen umgekommen oder hatten die Suche nach dem neuen Land, von dem sie gehört hatten, nach wochenlangem Segeln entmutigt aufgegeben.

      Mubarak hatte sich in den Kopf gesetzt, weder umzukehren noch sich durch die Unbilden der Natur abschrecken zu lassen. Er hatte spanische Seekarten erbeutet, aus denen hervorging, welchen Kurs man zu segeln hatte, um den neuen Kontinent Amerika zu erreichen. Im übrigen hatte er die Kapitäne der von ihm gekaperten Galeonen stets ins Verhör genommen und aus ihnen herausgepreßt, was er über diese ihm noch völlig unbekannte Welt wissen wollte.

      Dort also zu räubern, mußte noch gewinnbringender sein, als bei den Azoren oder vor Gibraltar herumzulungern und Wochen oder Monate auf Beute zu warten. Anhand der Seekarten und gierig auf das, was ihm die gefolterten Kapitäne in den glühendsten Farben ausgemalt hatten, war ihm der Entschluß, nach Westen zu segeln, nicht schwergefallen.

      Außerdem gebot er über eine wilde Schar von erprobten Kämpfern, die nicht nur in der Seemannschaft erfahren waren, sondern auch seit eh und je voller Haß auf die „Christenhunde“ waren. Der Glaube an Allah und den Koran verlieh ihnen die Tollkühnheit und Verwegenheit, immer wieder den Kampf gegen zahlenmäßig und von der Armierung her überlegene Schiffsmannschaften zu wagen.

      Wenn sie also für Mubarak und sich selbst kämpften, dann kämpften sie auch gleichzeitig für Allah und Mohammed, seine Propheten. Mubarak schärfte ihnen dies immer wieder ein, und er vergaß auch nicht, regelmäßig auf die „große Schuld“ hinzuweisen, die die „verfluchten Giaurs“ auf sich geladen hätten: Lepanto!

      Rachedurstig war die Mubarak-Bande. Die Niederlage bei Lepanto 1571 war noch nicht vergessen. In dieser Seeschlacht fiel Mubaraks Vater, der unter Uluch Ali fuhr. Allein diese Tatsache hielt sich Mubarak ständig vor Augen, wenn er gegen Spanier kämpfte. In seinem wilden Haß nahm er es mit fünf, sechs Gegnern gleichzeitig auf, und bei den Entermanövern säbelte er sich wie ein Derwisch seinen Weg zum Achterdeck.

      Mubarak hatte von den Kapverden westwärts auf die Kleinen Antillen zusteuern wollen, um in die Karibik zu gelangen. Er war aber – was er nicht wußte – infolge eines Kompaßfehlers stetig mit Kurs Westnordwest Dreiviertel West, etwa 285 Grad, gesegelt. So hatte er die „normale“ Reisezeit, die ihm von den spanischen Kapitänen mitgeteilt worden war, weit überschritten. Er hatte die Kleinen Antillen südlich gelassen, ohne dies zu bemerken.

      Seit über einer Woche spähten die Ausgucks unausgesetzt voraus, um Land zu entdecken. Ohne Erfolg. Die Neue Welt ließ auf sich warten. Existierte sie überhaupt? Lag sie vielleicht ganz woanders? Hatten die spanischen Kapitäne trotz der Folter Mubarak zum Narren gehalten?

      Immer öfter stellte sich die Mannschaft diese Fragen. Nervosität, genährt von der plagenden Ungewißheit, hatte sich ausgebreitet und drohte auszuufern. Solange waren die Kerle noch nie auf See gewesen, fern jeglicher Küste.

      Auch Mubarak war unruhig geworden, vermochte es aber vor der Meute zu verbergen. Hatten die spanischen Kapitäne, diese Hunde, ihn vielleicht doch belogen?

      Wieder und wieder studierte er die Karten und Handbücher, die er erbeutet hatte und wie einen Schatz hütete. Er sprach Spanisch und konnte die fremde Sprache auch lesen. Sein Vater hatte ihn darin unterrichtet, als er noch ein kleiner Junge gewesen war.

      „Man muß die Sprache des Feindes verstehen, um ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen zu können“, hatte er immer gesagt.

      Mubarak fragte sich, ob die Karten und Handbücher vielleicht gefälscht waren, damit kein Fremder je erfuhr, wo die Spanier ihre Schätze abholten.


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