Seewölfe - Piraten der Weltmeere 359. Roy Palmer
hatte diesen Gegner total unterschätzt. Er hatte es mit Piraten aufgenommen, die noch brutaler und skrupelloser vorgingen als er selbst. Aber zur Umkehr war es zu spät, er konnte nicht einmal mehr in die See springen. Der Schwarze drang mit dem Säbel auf ihn ein. Buisson kämpfte um sein Leben.
2.
In der Todesbucht von Gran Cayman fand eine Lagebesprechung statt. Öllampen waren in der Kapitänskammer der „Le Vengeur III.“ entfacht worden. Hier trafen sich Jean Ribault, Siri-Tong, Thorfin Njal und Carlos Rivero. Der Wikinger fluchte am heftigsten, weil er es noch nicht verarbeitet hatte, daß die Black Queen ihnen entgangen war. Aber Siri-Tong gelang es, ihn zu besänftigen.
„Daß der Kampf gegen die Black Queen hier nicht sein Ende findet, habe ich mir gleich gedacht“, sagte sie. „Sie ist zu gerissen, Thorfin. Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir sie endgültig stellen und ganz besiegen.“
„Wir bringen sie zur Strecke“, sagte Ribault. „Sie und ihre Bande. Verlaßt euch drauf.“
Der Wikinger schnaufte wütend. „So! Und kannst du mir vielleicht verraten, wohin sie sich verholt hat?“
Es entstand Schweigen, und sie dachten noch einmal an die Ereignisse, die hinter ihnen lagen. Es war eine heiße Schlacht gewesen. Jean Ribault und die Rote Korsarin hatten sich vor Little Cayman auf die Lauer gelegt und eine Galeone und eine Karacke der Black Queen in die Windward Passage gelockt. Dort hatte es ein Zusammentreffen mit dem Schwarzen Segler gegeben. Die Galeone und die Karacke der Piraten waren versenkt worden – wieder war es gelungen, einen empfindlichen Schlag gegen die Black Queen zu führen.
Anschließend hatten die „Le Vengeur III.“ und „Eiliger Drache“ Kurs auf Gran Cayman genommen. Dort hatte sich mittlerweile jedoch etwas abgespielt, mit dem keiner gerechnet hatte: Eine Gruppe von Meuterern hatte auf der spanischen Kriegsgaleone „Aguila“ kurzerhand das Kommando übernommen und segelte unter der Führung von Carlos Rivero nach Gran Cayman.
Rivero war gegen Mord und Totschlag, auch der Kapitän, die Offiziere und die Seesoldaten der „Aguila“ waren gegen seinen Willen umgebracht worden. Mit der Black Queen, die seine Gefolgschaft und er auf Gran Cayman antrafen, wollte er schon gar nichts zu tun haben. So glitten ihm die Fäden aus der Hand und in einem Zweikampf wurde er von der Queen besiegt.
An eine Felsnadel hoch über der See hatten sie ihn gefesselt, Seevögel sollten ihn zerhacken, wenn er vor Schwäche bewußtlos wurde und starb. Der neue Anführer der Meuterer hieß Jaime Cerrana, ein verschlagener Kerl, der keine Skrupel kannte.
Jean Ribault und seine Gefährten waren jedoch bei Nacht auf Gran Cayman gelandet und hatten den gefesselten Rivero entdeckt. Sie befreiten ihn und brachten ihn an Bord der „Le Vengeur III.“. Hier hatten sie seine Geschichte vernommen und auch die Zusammenhänge erfahren, die zwischen der Reise der „Aguila“ und der französisch-englischen Siedlung El Triunfo an der Golfküste von Honduras bestanden.
Die „Vengeur“ und das Schwarze Schiff waren zur Todesbucht gesegelt, doch Ribault, Siri-Tong und der Wikinger hatten hier nichts mehr vorgefunden. Die „Caribian Queen“ und die „Aguila“ waren ankerauf gegangen und spurlos verschwunden.
„Die Queen ist unterwegs nach El Triunfo“, sagte Jean Ribault. „Ich habe da keinen Zweifel mehr.“
„Das ist nur eine Vermutung“, sagte der Wikinger. „Darauf würde ich meinen Helm nicht verwetten.“
„Den will auch keiner haben, wie oft soll ich dir das noch sagen?“ Ribault war immer noch erregt, das Jagdfieber hatte ihn gepackt. Sein Entschluß stand bereits fest – er wollte der Black Queen folgen. Er würde nicht eher Ruhe geben, bis er sie besiegt hatte – und mit ihr zusammen Caligula, der ihn seinerzeit ausgepeitscht und ihm somit die größte Schmach seines Lebens zugefügt hatte.
„Bleiben wir bei der Logik“, sagte die Rote Korsarin. „Auch mir erscheint es einleuchtend, daß die Queen und Caligula gemeinsam mit ihren neuen Verbündeten von der ‚Aguila‘ nach El Triunfo ausgelaufen sind. Es zieht sie mit aller Macht dorthin, und sie haben ihre triftigen Gründe dafür.“
„Der Teufel soll dieses Nest El Triunfo holen“, sagte der Wikinger mit grantiger Miene. „Ich weiß nicht mal, wo es genau liegt.“
Rivero musterte den Nordmann mit einem Blick, in dem Furcht und Verwunderung lagen. Wer war dieser behelmte Riese? Ein wandelnder Anachronismus – er schien geradewegs der Vergangenheit entstiegen zu sein, ein Relikt aus der Frühzeit, im ewigen Eis des Nordpols für spätere Jahrhunderte eingefroren und jetzt wieder freigegeben. Welchen Platz hatte er in dieser erstaunlichen Gruppe von Korsaren, wie war er einzuordnen? Und dieses unheimliche schwarze Schiff – woher kam es, aus welchem sonderbaren Holz war es erbaut? Alles das waren Fragen, die auf Carlos Rivero einstürmten und nach einer Antwort verlangten.
„Ich kann die genaue Position von El Triunfo erklären“, sagte er. „Ich könnte sie sogar auf einer Karte einzeichnen.“
„Das nutzt uns nichts“, sagte der Wikinger, dann fügte er mit einem Blick auf Ribault hinzu: „Vorläufig jedenfalls nicht. Wir können nicht auf blauen Dunst nach Honduras segeln und einen Monat wegbleiben, ohne den Seewolf zu unterrichten. Bei Odin und seinen Raben – es ist unsere Pflicht, ihm Bescheid zu geben über diese neue Riesenschweinerei, die die schwarze Höllenwalküre da offenbar ausheckt.“
„Na gut.“ Jean Ribault sah Thorfin Njal offen an. „Dann segelst du eben zur Schlangen-Insel, und Siri-Tong und ich übernehmen es, die Galgenstricke zu verfolgen.“
„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“
Carlos Rivero zuckte unter dem Klang der Donnerstimme des Wikingers unwillkürlich zusammen. Er war sonst nicht ängstlich, das hatte er bewiesen, aber er wußte wirklich nicht, wie er den grollenden Riesen mit dem merkwürdigen Kupferhelm einschätzen sollte.
Jean Ribault klopfte Carlos aufmunternd mit der Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, der Weltuntergang steht noch nicht bevor. Thorfin ist immer so. Das darf man ihm nicht übelnehmen.“
„Ich verstehe“, sagte der Spanier. Er war mittelgroß und athletisch gebaut. Sein Gesicht war bartlos und wies als einprägsamste Merkmale ein kantiges Kinn und blaue Augen auf. Geboren war er im nordspanischen Aragón, und von Kind auf war die Seefahrt sein Traum gewesen. Daß die Realität nicht seinen Idealen entsprach, war für ihn ein schwerer Schlag. Dennoch war er nicht bereit, seinen Kampf für eine menschlichere Welt aufzugeben. „Die Black Queen hat schon fast leuchtende Augen gekriegt, als die Leute unseres Schiffes ihr die Umstände in der Siedlung El Triunfo geschildert haben“, fuhr er fort. „Deshalb habe ich keine Zweifel, daß sie zur Küste von Honduras segelt. Ich möchte aber nicht, daß sich daraus für euch Schwierigkeiten ergeben. Ich meine – es darf nicht sein, daß ihr von euren ursprünglichen Plänen ablaßt.“
„Meine Pläne sind auf die Black Queen ausgerichtet“, sagte Jean Ribault grimmig. „Du brauchst dir keine Sorgen zu bereiten, Carlos. Du hast mich in keiner Weise beeinflußt, ich hätte ohnehin versucht, der Queen zu folgen. Mit anderen Worten – du brauchst dich für unser Handeln nicht mitverantwortlich zu fühlen.“
„Sehr richtig“, pflichtete die Rote Korsarin ihm sofort bei. „Und was El Triunfo betrifft, liegt die Motivation der Black Queen nahe: Sie könnte dort im Handumdrehen ganze Hundertschaften von neuen Gefolgsleuten gewinnen, indem sie nämlich die Siedler vor der spanischen Bedrohung rettet.“
„Sie braucht Männer und Schiffe“, sagte Ribault. „Sie will die Schlangen-Insel erobern und sich zur Herrin der Karibik erheben. Wenn es ihr gelingt, ihre Meute zu vergrößern, wird sie unverzüglich an die Verwirklichung dieses Größenwahns gehen. Wir müssen sie daran hindern.“ Er blickte zu Siri-Tong und zu Carlos Rivero. „Ich laufe noch heute nacht aus – mit Kurs auf El Triunfo.“
„Ich bin mit dabei“, sagte Siri-Tong.
„Ich auch“, sagte Carlos, nicht ohne dieser faszinierenden Frau einen bewundernden Blick zuzusenden.