Seewölfe - Piraten der Weltmeere 345. Frank Moorfield
weil ich mich ganz gewiß nicht von der Großmutter des Gehörnten herumkommandieren lassen würde. Irgendwann würde ich der Alten mit einem glühenden Brenneisen ein prächtiges Karomuster auf ihren verrunzelten …“
Big Old Shane unterbrach den Profos.
„Wahrschau!“ rief er mit gedämpfter Stimme. „Das verdammte Ding schlüpft ins Schilfdickicht!“
Sofort verstummte jedes Geräusch an Bord der Jolle. Die anderen Arwenacks drehten sich auf den Duchten um und blickten in die Richtung, in die Old Shane deutete. Sie sahen, wie das schemenhafte Gebilde mit den flackernden Lichtern in einen natürlichen Kanal „einschwebte“. Oder schwamm es etwa doch? Verflixt und zugenäht – manchmal sah es fast so aus.
Die Seewölfe kannten solche naturgegebenen Kanäle, mit denen sie es in Florida bereits zu tun gehabt hatten. Sie führten unvermittelt ins Dickicht und boten Unterschlüpfe, die man in der Regel nur durch Zufall fand.
Smoky, der bis jetzt geschwiegen hatte, schluckte plötzlich hart.
„Ich glaube, mich laust ein Affe“, murmelte er. „Wenn mich nicht alles täuscht, schwimmt das Ding tatsächlich!“
„Willst du wohl weiterpullen, du Sumpfratte!“ Der Profos warf Smoky einen grimmigen Blick zu. „Wenn der Kübel durch die Luft geflogen wäre, hätte dich das kaum beeindruckt, was, wie? Aber daß er plötzlich wie eine Ente schwimmt, das geht nicht in deinen Holzkopf rein!“
„Hausboote sind meines Wissens bisher immer geschwommen“, schaltete sich der Seewolf lächelnd ein. „Und daß es sich um ein solches handelt, wird wohl kaum noch jemand von euch bestreiten wollen.“
„Du meinst, Sir …?“ Smoky wirkte verunsichert.
„Genau das meine ich“, sagte Hasard. „Aber gleich werden wir es ja genau wissen.“
Die Arwenacks pullten wie besessen, die Jolle näherte sich unaufhaltsam dem geheimnisvollen Gefährt. Je mehr sich der Abstand verringerte, desto lauter wurde das monotone Singen und Stampfen.
Augenblicke später blieb der „Spuk-Kübel“ zum Erstaunen der Seewölfe im Rohrdickicht liegen und rührte sich nicht mehr von der Stelle.
„Zum Kuckuck!“ stieß Smoky mit leiser Stimme hervor. „Es ist wirklich ein Hausboot. Du hast dich nicht geirrt, Sir.“
Die anderen nickten bestätigend. Das „Ding“ sah zwar nach wie vor gespenstisch aus, aber es schien eben doch nur ein Wasserfahrzeug zu sein, das im Einklang mit den Naturgesetzen auf den Fluten des Lake Pontchartrain schwamm.
Während sich die Sonne anschickte, das düstere Grau am Himmel zu durchdringen und die letzten Nebelschwaden aufzusaugen, schmolz die Entfernung zwischen der Jolle und dem Hausboot bis auf ungefähr fünfzig Yards zusammen.
Das verhältnismäßig große Gefährt wirkte auf den ersten Blick plump und primitiv. Dominierend war die hohe und langgestreckte Hütte, die aus einer Unzahl von bunten Holzbrettern zu bestehen schien. Die merkwürdigen Lichter, die Old Donegal als „Dämonenmäuler“ und „Teufelsaugen“ bezeichnet hatte, glühten und flackerten noch immer in den zahlreichen Fensterhöhlen. Aber nirgends war ein menschliches Wesen zu sehen.
Wie die Seewölfe mit Erstaunen feststellten, hatte das Hausboot sogar einen Mast. Dieser war zwar reichlich krumm, aber notfalls konnte ein primitives Segel, das für achterlichen Wind taugte, gesetzt werden. Sonst wurde das Boot höchstwahrscheinlich durch Wriggen und Staken voranbewegt.
Noch immer starrten die Arwenacks verwundert auf dieses ihrer Meinung nach seeuntüchtige Fahrzeug. Doch sie wurden rasch in die Wirklichkeit zurückgerissen.
Die unheimlichen Laute, die aus der farbigen Hütte drangen, erinnerten sie daran, daß der „Geister-Zuber“ nicht unbemannt sein konnte. Ein plötzlich anschwellender Trommelwirbel überdeckte für kurze Zeit das Singen, Seufzen und Klagen. Zeitweise waren sogar kurze Rufe und Schreie zu hören.
Smokys Gesicht hatte längst wieder einen mißtrauischen Ausdruck angenommen. Er konnte nicht verbergen, daß er der Sache noch immer nicht traute. Menschen konnte man schließlich sehen, aber bis jetzt war nicht ein einziger zu entdecken. Geister hingegen waren in der Regel unsichtbar. Und dann diese Geräusche – zum Teufel, das konnte einem schon mächtig auf den Geist gehen! Wollte man sie damit in eine Falle locken? War das Geisterboot deshalb in diesen schilfumwachsenen Kanal eingelaufen?
Nun, Smoky hatte bestimmt nichts gegen einen greifbaren Gegner einzuwenden, mitnichten, da langte er hin, daß die Fetzen flogen. Aber mit unsichtbaren Geistern und Dämonen wollte er nicht unbedingt etwas zu tun haben.
Stenmark, der Schwede, durchbrach den scheinbaren Bann, der über den Arwenacks lag.
„Ob das Indianer sind?“ fragte er mit gedämpfter Stimme.
Der Seewolf zuckte mit den Schultern.
„Wir werden der Sache sofort auf den Grund gehen. Ed, du enterst mit mir von achtern auf das Boot, ihr anderen bleibt in der Jolle, verhaltet euch absolut leise und gebt uns Rückendeckung!“
Niemand widersprach dieser klaren Anweisung.
Während sich die Jolle langsam an das Heck des Hausbootes heranschob, glitt keine fünf Yards von den Seewölfen entfernt ein ziemlich großer Alligator vorbei. Das erinnerte Philip Hasard Killigrew und seine Mannen mit Nachdruck daran, daß es nicht ratsam war, hier während eines Enterkampfes über Bord zu gehen. Demnach war bei ihrem Vorhaben äußerste Vorsicht geboten.
Als der Dollbord der Jolle das Heck des schwimmenden Hauses berührte, wurde es am nahen Ufer lebendig. Einige Teichläufer verschwanden kreischend im Schilfdickicht, Scharen von Pfuhlschnepfen, Bleßhühnern und Sichlern, die durch das Beiboot der „Isabella“ aufgeschreckt worden waren, stiegen auf und flogen landeinwärts.
Die Atmosphäre war düster und spannungsgeladen, denn alles an diesem Boot und seiner unmittelbaren Umgebung wirkte geheimnisvoll, ja gespenstisch. Kein Wunder, wenn sich abergläubische Gemüter bei einem solchen Anblick bekreuzigten.
Auch der Seewolf und sein Profos spürten, wie ein seltsam beklemmendes Gefühl in ihnen hochkroch. Obwohl sie niemanden sahen, fühlten sie sich dennoch aus tausend Augen beobachtet.
Irgendeine teuflische Überraschung lag in der Luft, darüber waren sie sich im klaren, als sie das Achterdeck jenes rätselhaften Hausbootes betraten.
2.
Die Feuchtigkeit des aufsteigenden Nebels hatte die stellenweise etwas rissigen Planken in eine glitschige Fläche verwandelt. Hasard und Ed mußten aufpassen, daß sie nicht ausrutschten.
Beide hatten ihre Pistolen aus den Gürteln gezogen und umschlichen vorsichtig die bunte Hütte. Dabei war es nicht einmal erforderlich, besonders leise zu sein, denn der Lärm innerhalb des Gebäudes verschluckte ihre Schritte.
Der Seewolf verhielt plötzlich und hob schnuppernd die Nase in den Wind. Sekunden später tat es ihm der Profos nach. Durch die kleinen Fensteröffnungen, die ziemlich hoch oben lagen, drangen nicht nur die nervtötenden Geräusche nach außen, die sie seit Stunden mehr oder weniger laut vernommen hatten, sondern auch merkwürdige Gerüche.
Es stank nicht, o nein, aber es roch doch seltsam süßlich und aufdringlich. Die beiden Männer von der „Isabella“ dachten zuerst an Gewürze, doch dann erinnerten sie sich an die zahlreichen Tempel im Reich des Großen Khan, in denen es stets nach Sandelholz und Weihrauch gerochen hatte.
So ähnlich roch es auch hier.
Edwin Carberry schüttelte verwundert den Kopf. Die Sache wurde immer merkwürdiger. Alles, was hier geschah, was sich den Augen, den Ohren und selbst der Nase darbot, war mit normalen Maßstäben nicht einzuordnen. Es blieb nach wie vor rätselhaft.
Vorsichtig setzten die beiden Männer ihren Weg fort.
Außerhalb der bunten Hütte gab es nichts Außergewöhnliches