Seewölfe - Piraten der Weltmeere 345. Frank Moorfield

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 345 - Frank Moorfield


Скачать книгу

      „Jetzt reicht’s aber!“ stieß er hervor. „Dieser angebrannte Schilfkacker will doch tatsächlich das Mädchen umbringen!“ Ein deftiger Fluch folgte dieser sachlichen Feststellung.

      Bevor der Seewolf seinen Profos zurückhalten konnte, bahnte sich dieser mit einer Gewandtheit, die man ihm bei seiner hünenhaften Gestalt nicht zugetraut hätte, einen Weg durch die schweißglänzenden schwarzen Leiber. Er glich in diesem Augenblick einer heranrollenden Woge, die niemand aufzuhalten vermochte.

      Seiner Meinung nach mußte sofort etwas getan werden, damit der blutrünstige Kerl das arme Ding nicht irgendwelchen Götzen opferte. Das Mädchen mußte ja ohnehin schon schwer verletzt sein bei all dem Blut, das es bereits verloren hatte. Doch das konnten der Kutscher und Mac Pellew vielleicht wieder in Ordnung bringen, aber Tote auferwecken, nein, das konnten die beiden Feldschere der „Isabella“ nicht. Donnerlittchen, da war er ja gerade noch zur rechten Zeit erschienen, um wenigstens das Schlimmste zu verhindern.

      Jetzt konnte er sich auch das Klagen und Jammern, das schrille Rufen und Schreien erklären, das seit Stunden zu hören gewesen war. Bei Gott – wie viele unschuldige junge Mädchen hatte man in dieser Nacht wohl schon grausam ermordet?

      Bei diesem Gedanken schnappte Edwin Carberry total über. Nichts und niemand konnte ihn jetzt noch stoppen. Der Seewolf versuchte zwar noch, ihn mit einem Zuruf zurückzuhalten, aber es war bereits zu spät.

      Der Profos packte den Neger am Handgelenk, um ihn am Zustoßen zu hindern. Gleichzeitig riß er ihn ein Stück zu sich heran und hieb ihm mit unheimlicher Wucht die Faust unters Kinn.

      Der Schwarze verdrehte die Augen, öffnete die Hand mit dem Dolch und sank auf die blutbefleckten Matten.

      Jetzt aber kam urplötzlich Leben in die singenden Gestalten, und innerhalb der nächsten Sekunden zeigte sich, daß durchaus nicht alle der Wirklichkeit entrückt waren.

      Nahezu ein halbes Dutzend Männer ruckte von den Planken hoch und stürzte sich auf die beiden Fremden. Weder Ed noch der Seewolf schafften es, sich gegen den blitzschnellen Angriff zur Wehr zu setzen. Alles ging viel zu schnell, und bevor sie wirksam zurückschlagen konnten, hingen Menschenleiber wie Kletten an ihnen und rissen sie zu Boden. Dann prasselte eine Menge eisenharter Hiebe auf sie nieder.

      Beide sahen nur noch feurige Sterne vor Augen, das rituelle Singen jener Neger, die sich tatsächlich in Trance befanden, drang nur noch leise und verzerrt an ihre Ohren. Schließlich schien es ganz zu verstummen.

      Hasard und Ed stürzten in ein endloses, schwarzes Loch, ihr Bewußtsein wurde schlagartig ausgelöscht. Daß man ihnen in Windeseile die Hände auf den Rücken band und schmuddelige Tuchfetzen als Knebel zwischen die Zähne schob – das kriegten sie beide nicht mehr mit.

       3.

      Old Donegal Daniel O’Flynn wurde von einer seltsamen Unruhe getrieben. Auf seine Krücken gestützt, stelzte er sichtlich nervös auf dem Achterdeck der „Isabella“ hin und her. Sein Holzbein erzeugte beim Aufsetzen auf die Planken jedesmal ein dumpfes Geräusch.

      „Ich habe ein verdammt schlechtes Gefühl“, sagte er. „Unsere Leute hätten diesem Geisterspuk nicht folgen sollen. Ich habe sie ja ausdrücklich gewarnt, jawohl, aber niemand hat auf mich gehört. Und wo sind sie jetzt, he? Na los, sagt es mir!“

      Er legte eine eindrucksvolle Pause ein und warf den Männern, die sich auf dem Achterdeck befanden, herausfordernde Blicke zu. Ihre verschlossenen Gesichter, die im frühen Morgennebel blaß und übernächtigt wirkten, waren ihm Antwort genug.

      „Sie hätten dieses Dämonenhaus davonschweben lassen sollen“, fuhr er fort. „Jedes Kind weiß, daß man solchen Erscheinungen nicht folgen kann, ohne selbst ins Verderben gezogen zu werden.“

      „Jetzt hör aber auf, Donegal“, sagte Ben Brighton, in dessen Händen bei Abwesenheit des Seewolfs das Kommando lag. „Du siehst ja schon an allen Ecken Gespenster. Ich bin sicher, daß es eine Erklärung für diesen vermeintlichen Spuk gibt. Gerade deshalb muß man einer solchen Sache auf den Grund gehen.“

      „Nein, muß man nicht!“ widersprach der rauhbeinige Alte heftig. „Geister können es nun mal nicht ausstehen, wenn man neugierig die Nase in ihren Kram steckt. Neugierde zahlt sich nie aus, nie! Denkt nur an Lots Weib! Die konnte sich auch nicht bezähmen, und was hat sie am Ende davon gehabt? Sie steht irgendwo als Salzsäule in der Wüste, sozusagen als Denkmal für alle, die so verdammt neugierig sind.“

      „Wer war denn Lots Weib, Mister O’Flynn, Sir?“ fragte Philip junior artig. Er und sein Zwillingsbruder Hasard waren durch die Ereignisse der vergangenen Nacht wach geworden und hatten sich schon bald, nachdem ihr Vater, der Seewolf, zusammen mit einigen Männern und der kleinen Jolle die „Isabella“ verlassen hatte, an Deck geschlichen. Wahrscheinlich ebenfalls aus Neugier.

      „Hä?“ fragte der Alte irritiert. „Du hast dich überhaupt noch nicht für Weiber zu interessieren.“

      „Ich wollte doch nur wissen, wer sie war“, beteuerte Jung Philip.

      Der alte O’Flynn räusperte sich.

      „Das sagte ich bereits. Sie war Lots Frau. Die biblische Überlieferung berichtet von ihr, daß sie sich bei der Zerstörung der sündigen Städte Sodom und Gomorra trotz des Verbotes Gottes neugierig umgedreht hat, um zu sehen, was da geschieht. Und deshalb ist sie zur Salzsäule erstarrt.“

      „O weh!“ entfuhr es Philip junior. „Das hat ihr wohl keinen großen Spaß bereitet. War sie eine hübsche Frau?“

      „Was geht dich das an, du grüner Hering!“ Old Donegal stampfte mit dem Holzbein auf. „Egal, ob sie hübsch war oder nicht – eine krustige Salzsäule wird wohl niemand zum Anbeißen finden, nicht wahr?“

      Das leuchtete dem Bengel voll und ganz ein, und auch sein Bruderherz nickte verstehend.

      Old O’Flynn setzte sich wieder in Bewegung. Die Sorge um Hasard und die sechs Kameraden trieb ihn erneut auf dem Achterdeck hin und her. Aber auch die restliche Crew wurde langsam unruhig. Die meisten glaubten zwar nicht an einen echten Geisterspuk, aber das völlige Verschwinden der kleinen Jolle samt ihrer Besatzung gab ihnen doch Anlaß zur Besorgnis.

      Ben Brighton hatte bereits im ersten Morgengrauen mit der großen Jolle nach Hasard und seinen Männern suchen lassen, doch das Boot war erfolglos zurückgekehrt. Seitdem kursierten an Bord zahlreiche Meinungen, Vermutungen und Befürchtungen.

      „Die Situation ist reichlich beschissen“, meinte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann. „Eine Suchaktion bei diesem Nebel ist ein reines Glücksspiel. Da kann man auch gleich die berühmte Stecknadel im Heuhaufen suchen.“

      Ben Brighton, ein ruhiger und stets besonnener Mann, nickte zustimmend.

      „Trotzdem“, sagte er, „sollten wir die Sache nicht zu pessimistisch sehen. Daß wir in dieser Milchsuppe die Jolle nicht gefunden haben, muß durchaus nicht heißen, daß sie unauffindbar ist oder unseren Leuten etwas zugestoßen ist. Vielleicht haben sie im Nebel die Orientierung verloren. Oder sie sind dem merkwürdigen Ding immer noch auf der Spur.“

      Ferris Tucker fuhr sich mit der Hand durch den dichten, roten Haarschopf.

      „Aber, zum Teufel, was könnten wir denn noch unternehmen? Ich fühle mich so verdammt hilflos. Vielleicht sollten wir einfach aufs Geratewohl weitersuchen.“

      Ben legte ihm die Hand auf die Schulter.

      „Genau das werden wir tun, Ferris. Das Warten und Jammern bringt uns nichts. Also brechen wir auf und suchen notfalls jeden Quadratzoll dieses Tümpels ab. Und zwar so lange, bis wir Hasard und seine Mannen gefunden haben.“

      Gleich darauf gab Ben Brighton die entsprechenden Befehle.

      Die große Jolle wurde erneut bemannt. Zur Besatzung gehörten Ferris Tucker, Nils Larsen, Jan Ranse, Piet Straaten, Blacky, Matt Davies sowie Jack Finnegan und Paddy Rogers.

      „Ihr


Скачать книгу