Seewölfe - Piraten der Weltmeere 397. Roy Palmer
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Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-805-8
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Roy Palmer
Inhalt
1.
Orlando Romano, Eigner und Kapitän eines Küstenseglers, ließ sich lächelnd auf einem Holzpoller nieder. Jetzt, da sie den kleinen Hafen des noch winzigeren Fischerdorfes Cabanas erreicht hatten, hatte er nichts mehr zu tun. Er brauchte einfach nur dazusitzen und alles andere Durango zu überlassen.
Durango war das, was Romano eine „Verkaufskanone“ nannte. Vor zwei Jahren hatte er ihn in seine kleine Mannschaft aufgenommen. Anfangs war er skeptisch gewesen. Der Mann mit der hellbraunen Hautfarbe und dem fröhlichen, ewig grinsenden Gesicht schien ihm eher eine Landratte als ein leidlich guter Seemann zu sein.
Doch Durango, der Kreole, der von sich behauptete, ein reinblütiger Franzose zu sein, hatte sich als äußerst gelehriger Schüler an Bord der Zweimastschaluppe erwiesen. Das, was ihm an Wissen und Können noch mangelte, hatte er sich sehr schnell angeeignet. Inzwischen kannte er sich bestens in der Seemannschaft aus – und er hatte auch noch andere Qualitäten entwickelt, die für Romano von höchstem Wert waren.
Niemand konnte die Waren besser an den Mann bringen als Durango, niemand verstand sich besser aufs Feilschen und Verkaufen als er. Seine Kameraden konnten getrost die Hafenkneipe aufsuchen und sich genüßlich mit Wein und Rum vollaufen lassen. Sie waren ihm jetzt ohnehin nur im Weg.
Romano verfolgte amüsiert, wie Durango auf dem Mitteldeck die Stoffballen und Werkzeuge, die Netze, Angelruten und Haken ausbreitete, aus denen die Ladung bestand. Die Schaluppe war ein typischer Küsten-Handelssegler, der die kleineren Orte wie Cabanas mit allem Erforderlichen versorgte, also die Lücke schloß, die die großen Handelsgaleonen und die Geleitzüge in der Neuen Welt offenließen. Gleichzeitig war das Auftauchen solcher Schaluppen und Pinassen immer ein Ereignis. Alles, was im Dorf Beine hatte, lief zusammen, bestaunte und befingerte die Waren und ließ sich berichten, was es anderswo an Neuigkeiten gab.
Cabanas war an einer geschützten Bucht errichtet worden, die sich an der Nordküste von Kuba öffnete, etwa zwanzig Meilen östlich der Bahia Honda und gut fünfunddreißig Meilen westlich von Havanna. Fischer lebten hier mit ihren Familien in knapp zwei Dutzend Häusern, die teils aus groben Steinen, teils aus dicken Baumstämmen gebaut worden waren. Es gab eine Spelunke und eine kleine Werft, außerdem noch ein paar Werkstätten direkt am Hafen. Ein paar Huren, Herumtreiber und Seeleute sowie ein ständig betrunkener Greis, der in einer Tonne schlief, gehörten zu dem üblichen Bild, das Romano und seine Männer schon kannten.
Heute, am Vormittag des 14. Juli 1594 waren sie zum zwanzigsten Male hier. Außer den üblichen Waren konnte Durango noch einen besonderen Artikel anbieten, nämlich Stoffe aus dem fernen, geheimnisvollen China. Romano hatte sie in Havanna übernommen. Dort waren sie an Bord einer Galeone aus Vera Cruz eingetroffen. Nach Vera Cruz wiederum waren die Ballen auf dem Landweg von Acapulco aus gelangt. Dort hatte sie die legendäre Manila-Galeone vor mehr als vier Wochen gelöscht.
Durango verstand es, diese seltene Ware entsprechend anzupreisen. Er drapierte die verschiedenfarbigen Stoffe kunstvoll und mit geschickten Fingern, er strich mit den Händen darüber wie über etwas unermeßlich Wertvolles, er tanzte und sang und lockte die Kundschaft allein durch seine Gebärden an.
Am Kai drängten sich die Menschen. Die Neugierde siegte, die ersten Frauen marschierten über die Holzpier, an der die Zweimastschaluppe zwischen einigen größeren Fischerbooten vertäut lag. Schon enterten sie das Schiff und bedrängten Durango mit ihren Fragen.
„Was ist denn das für ein Stoff, Durango?“
„Woher hast du ihn?“
„Was kostet er?“
Durango schlug die Hände zusammen und warf einen Blick zum Himmel. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre auf die Knie gesunken.
„Ein Geschenk Gottes, Mama“, sagte er zu der dicken, energischen Spanierin, die unmittelbar vor ihm auf dem Deck stand, die Fäuste in die Seiten stemmte und ihn aus großen dunklen Augen musterte. „Mehr als Gold und Silber. Seide! Seide aus China! Viele flinke Hände haben Jahre gearbeitet, um dieses kostbare Material zu spinnen.“
„Übertreib nicht“, sagte eine andere Frau. „Wenn das Zeug zu teuer ist, bleibst du darauf sitzen.“
„Wieviel?“ fragte die Dicke. „Raus mit der Sprache.“
Durango grinste breit. „Nimm einen ganzen Ballen, Mama, du wirst es nicht bereuen. So was bekommst du nie wieder. Du kannst zehn Kleider für dich nähen und Sachen für deine Kinder. Oh, die Chiquitos werden glücklich sein!“
„Wieviel?“ fragte sie noch einmal, diesmal drohend.
„Nur zehn Piaster pro Ballen.“
„Wahnsinn!“ rief die Dicke. „Darauf lasse ich mich nicht ein! Du bist ein Halsabschneider, Durango – und ein Schlitzohr obendrein!“
„Nein!“ stieß er, jetzt verzweifelt wirkend, mit rollenden Augen hervor. „Tu mir das nicht an! Bedenke doch, wie teuer die Männer dafür bezahlt haben, die dieses Tuch über den Großen Ozean zu uns gebracht haben! Viele sind in Stürmen umgekommen, andere durch Krankheiten! Überhaupt ist es ein Wunder, daß man sie in China nicht in tausend Stücke gehackt und den Drachen zum Fraß vorgeworfen hat!“
„Was?“ rief eine jüngere Frau in ungläubigem Entsetzen. „In China gibt es Drachen? Etwa feuerspeiende?“
„Nein, aber menschenfressende“, erwiderte Durango mit unerwartetem Ernst. „Und die zopftragenden Gelbmänner fressen Würmer, Affen und Ratten.“
„Wie schrecklich“, sagte die Dicke. Unwillkürlich schüttelte sie sich. Ihre Neugierde wuchs immer mehr, sie berührte einen der Ballen mit den Fingerspitzen. „So weich“, sagte sie. „Unglaublich.“
„Und doch wahr, Mama“, sagte Durango. Nun grinste er wieder. „Diesen herrlichen Ballen, der mehr wiegt als die anderen, überlasse ich dir zu einem Vorzugspreis von neun Piastern.“
„Zu teuer“, sagte sie. „Mein Alter bringt mich um, wenn ich damit nach Hause komme.“
„Ich glaube nicht, daß er es schafft!“ rief Durango mit heller, singender Stimme. „Eine Frau wie du weiß sich zu behaupten und läßt sich nicht unterkriegen, Señora!“ Er hob den Ballen hoch und rollte ein paar Fuß Stoff ab, die er ihr probeweise gegen den mächtigen Leib hielt. „Diese Farbe, Muchacha – sie steht dir prächtig! Hö, wenn du dich im Spiegel sehen könntest!“
„Hast du keinen Spiegel dabei?“ fragte sie.