Seewölfe - Piraten der Weltmeere 397. Roy Palmer
es bist! Greif zu! So ein Angebot kriegst du nie wieder!“
„Fünf“, sagte sie grollend.
Weinerlich verzog Durango sein Gesicht. „Willst du mich ins Unglück stürzen? Mein Capitán läßt mich über Bord werfen, wenn ich diese duftenden Tücher des Orients verschenke. Meine Kinder nagen am Hungertuch und sterben!“
Die Frauen lachten.
„Du hast ja gar keine Kinder, du Schwindler!“ rief die Dicke.
„Du kennst mein Leben nicht“, sagte Durango. Fast drohten ihm ein paar dicke Tränen über die Wangen zu rollen. „Ich bin ein unglücklicher Mann. Meine Familie lebt in Paris und muß betteln gehen, um sich am Leben zu erhalten.“
„Kein Wort glaube ich davon“, sagte die Dicke. „Fünfeinhalb Piaster, mein letztes Wort.“
So ging es weiter. Sie feilschten und handelten, das Deck füllte sich mit immer mehr Menschen. Die Leute von Cabanas hatten ihren Spaß an dem Geschäft, das Handeln gehörte dazu. Auch Orlando Romano bereitete die Sache Vergnügen – vor allen Dingen deshalb, weil Durango den Ballen Seide schließlich doch für acht Piaster verkaufte und somit hundert Prozent Gewinn erzielte. Vier Piaster hatten sie in Vera Cruz für jeden Ballen bezahlt. Dennoch war das, was Durango verlangte, kein Wucher. Er selbst hatte Romano oft genug vorgerechnet, was die Überfahrt, der Unterhalt des Zweimasters und die Mannschaft für ihn an Kosten brachten.
Durango, das Schiff und die Leute von Cabanas wurden auch von dem Mangrovendickicht an der westlichen Seite des Ufers aus beobachtet – heimlich. Vier abenteuerlich gekleidete, wilde Kerle dunkler Hautfarbe und eine schwarze Frau richteten ihre Blicke auf die Zweimastschaluppe. Schon jetzt stand für sie fest, daß sie dieses Schiff haben mußten, dieses und kein anderes.
In Havanna betrat zur selben Zeit ein weißhaariger, knorriger alter Mann die im Keller der Gouverneursresidenz eingerichtete Küche. Er trug zwei große selbstgeflochtene Körbe bei sich, einen in jeder Hand, die mit den Blättern von Feigenbäumen zugedeckt waren.
Jordano, der stämmige Küchenmeister, blickte von seiner Arbeit auf. Ein Lächeln glitt über seine Züge! Amando, der Alte mit dem von Runen durchzogenen Antlitz, war ihm immer ein willkommener Gast. Wie alt er genau war, wußte er nicht, er hatte ihn nie danach gefragt. Es war auch nicht wichtig. Amando war steinalt und doch jung, in seinen hellen, scharfen Augen funkelte es stets unternehmungslustig. Er hatte mehr Energie als mancher junge Mann und war bewundernswert gesund und kräftig.
Amando war ein guter, aber auch harter Mann. Nichts in seinem Leben war ihm geschenkt worden, er hatte sich alles erarbeiten und erkämpfen müssen. Mit seiner Tätigkeit als Fischer und Lieferant für den Hof von Havanna hatte er sein Auskommen. Die Insel in der Bucht, auf der er lebte, betrachtete er als sein „Reich“, und in Havanna selbst kannte er sich bestens aus. Dies wiederum gereichte seinem Gast zum Vorteil, der bei ihm Unterschlupf gefunden hatte: Don Juan de Alcazar.
Amando hütete sich, mit irgend jemandem über sein Geheimnis zu sprechen. Auch Jordano, der Küchenmeister, durfte nicht andeutungsweise etwas davon erfahren. Bei aller Freundschaft konnte es schließlich doch sein, daß er sich bei Don Antonio de Quintanilla, dem Gouverneur, anzuschmeicheln versuchte, indem er ihm etwas verriet.
Nein, Don Juan mußte vorläufig versteckt gehalten werden, das war Amando völlig klar. Er selbst konnte schweigen wie ein Grab. Aus ihm bekam keiner etwas heraus. Don Juan wurde überall gesucht, der Gouverneur trachtete ihm nach dem Leben. Ein weiterer Mord aber – es wäre nicht der erste gewesen – mußte um jeden Preis verhindert werden.
„Einen schönen guten Tag, Amando!“ rief Jordano. „Sag nur nicht, daß du heute keine Bachforellen gefangen hast.“
„Ich sage es nicht. Ich habe sie.“ Amando grinste und setzte seine Körbe auf einer der Marmorplatten ab, die den Köchen als Ablage und Arbeitsfläche dienten. Er entfernte die Feigenblätter, und Jordano warf einen Blick hinein. Seine Lippen spitzten sich, er stieß einen leisen, anerkennenden Pfiff aus.
„Alle Achtung“, sagte er. „Das sind ja mehr als zwanzig Stück.“
„Dreißig“, sagte Amando nicht ohne Stolz. „Und einige Zander und Umber sind auch wieder dabei, wie du siehst.“ Er blickte sich nach allen Seiten um und vergewisserte sich, daß sie nicht beobachtet wurden. „Der dickste und größte Fisch ist für dich, ich schenke ihn dir.“
„Im Ernst?“
„Mit meinen Fischen mache ich keine Witze“, entgegnete Amando trocken. „Das weißt du.“
„Danke“, sagte der Küchenmeister, dann zog er seinen Fisch aus dem Korb und ließ ihn verschwinden. Der Rest des Fanges wanderte in große Tonbehälter, die in einem riesigen Bassin durch fließendes Quellwasser gekühlt wurden. Eine andere Möglichkeit, Fisch und Fleisch in der Wärme vor dem Verderben zu bewahren, gab es nicht.
Jordano zahlte dem Alten seinen Lohn für den Fang, dann begaben sie sich in einen Nebenraum, und Jordano schenkte großzügig Rotwein direkt vom Faß in zwei Zinnbecher. Sie stießen miteinander an und tranken auf weiterhin gute Geschäfte.
Eine Hand wäscht die andere, von diesem Prinzip ging auch Amando aus. Mit dem Küchenmeister hatte er sich schon immer gut verstanden, und auch sonst unterhielt er zum Küchenpersonal die besten Beziehungen. Was er wissen wollte, das erfuhr er. Er konnte kommen und gehen, wann er wollte, und oft schon war er zum Essen hiergeblieben. Fast gehörte er, wie eine der Wäscherinnen immer sagte, „zur Familie“.
Amando nutzte seine Verbindungen in der Residenz aus. Don Juan war erpicht darauf, zu erfahren, was sich in Havanna tat. In der Residenz hatten die Wände Ohren, das bedeutete, daß einem Mann wie Jordano kaum etwas verborgen blieb.
So hockten sie zusammen, scherzten und tranken und unterhielten sich wie beiläufig darüber, was in den letzten Tagen vorgefallen war. Jordano wußte eine Menge zu berichten – und Amando prägte sich alles genau ein. Sein Gedächtnis war vorzüglich, sein Geist funktionierte trotz seines Alters hervorragend.
Don Juan de Alcazar, dachte er, du wirst staunen.
Unausgesetzt blickte die Black Queen nach Cabanas hinüber. Die Zweimastschaluppe, auf der ein reger Handel eingesetzt hatte, fesselte ihre Aufmerksamkeit. Sie überlegte, wie sie sie am besten kapern und aus dem Hafen entführen konnte.
Die Queen war mit dem geretteten Beiboot ihres vernichteten Zweimasters in die unmittelbare Nähe der Bucht von Cabanas gesegelt und gelandet. Das Boot war versteckt worden, es konnte so leicht nicht entdeckt werden.
Vier Kerle der Crew waren noch bei ihr. Caligula war mit den vier anderen an der Bahia Honda zurückgeblieben. Die Queen hätte Caligula im Grunde gern mitgenommen, aber sie rechnete sich aus, daß die zurückgebliebenen Kerle leicht auf dumme Gedanken verfallen konnten. Immerhin war die Versuchung groß: Leicht hätten sie sich an der Schatztruhe oder den Silberbarren vergreifen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden können.
Darum mußte Caligula bei ihnen zurückbleiben. Die Queen wollte indessen nicht mehr und nicht weniger erreichen, als sich einen neuen Segler zu besorgen, nachdem sie ihre Zweimastschaluppe im Kampf gegen die Spanier verloren hatte.
Drei Wachschaluppen aus Havanna hatten sie in der Bahia Honda, etwa fünfundfünfzig Seemeilen westlich von Havanna, befeuert und in die Enge getrieben. Schließlich, in der Flußmündung, hatten die Queen und ihre Kumpane die Schaluppe aufgeben müssen.
Sie hatten sich aber unter Mitnahme einer Schatztruhe, eines Haufens erbeuteter Silberbarren sowie Waffen und Proviant in den Dschungel absetzen können.
Dementsprechend war die Stimmung der Black Queen. Ihr Gesicht war verzerrt, sie sprach kaum mit ihren Begleitern. Wieder hatte sie eine Niederlage hinnehmen müssen. Was sie jedoch besonders erbitterte, war die Tatsache, daß sie nicht wußte, was unterdessen in Havanna geschehen war. Waren die Schiffe schon ausgelaufen? Holte der Gouverneur endlich zum entscheidenden, vernichtenden Schlag gegen die Schlangen-Insel und ihre Bewohner aus?
Ihre Rache am Bund der Korsaren war zu einer fixen Idee geworden.