Seewölfe - Piraten der Weltmeere 543. Fred McMason

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 543 - Fred McMason


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Angst wurde noch größer. Er regte sich so auf, daß er nicht mehr die Luft anhalten konnte. Mit einem sprudelnden Schwall stieß er sie aus, schwamm etwas höher und holte tief Luft. So schnell er konnte, ging er dann wieder auf Tiefe.

      Das Wasser war hell und warm, und er konnte ziemlich weit sehen. Um ihn her war es dämmrig grün. Er sah auch ganz deutlich den Tang und die Muscheln, die das Schiff auf der Unterseite trug. Manche waren zu wilden Bärten verwuchert.

      Zitternd vor Angst schwamm er zum Heck der Sambuke, wo wie ein riesiger Schatten das Ruderblatt zu erkennen war. Dort steckte er vorsichtig den Kopf aus dem Wasser und schaute sich um. Er konnte nicht viel sehen, nur einen Teil des Hecks, das beim Unterwasserschiff in einem Spitzgatt endete und sich oberhalb der Wasserlinie zu einem Plattgatt verbreiterte. Das hatte für ihn den Vorteil, daß sie ihn von oben aus nicht entdecken konnten, es sei denn, jemand würde sich weit hinauslehnen.

      Er hielt sich am Ruderblatt fest und wartete. In tiefen Zügen sog er Luft ein und tauchte dann wieder so tief, bis sich das Ruderblatt über seinem Kopf befand.

      Das ging Ewigkeiten so, und er hatte das Gefühl, als würde die Sambuke mit den Piraten nie mehr Fahrt aufnehmen.

      Als er wieder einmal kurz auftauchte, schrak er zusammen. Das Ruderblatt bewegte sich mit einem dumpfen Geräusch und glitt langsam nach Steuerbord hinüber. Gleichzeitig wurden auch wieder Geräusche von oben hörbar, die sich wie dumpfes Trommeln anhörten.

      Stimmen konnte er nicht unterscheiden, nur dumpfe Laute. Und dann war da ein Murmeln, das immer lauter wurde, bis es zu rauschen begann. Blasen stiegen hinter dem Ruderblatt aus der See, quirliger Schaum entstand in einer langen blasenwerfenden Bahn.

      Die Sambuke glitt unter Vollzeug durchs Wasser und segelte weiter. Offenbar nahmen die Schnapphähne an, daß er ertrunken war.

      Als die Blasen dichter und schaumiger wurden, löste er seine Finger vom Ruderblatt und tauchte tief unter. Ein gigantischer Schatten entfernte sich von ihm und verblaßte nach kurzer Zeit im Wasser.

      Ahmed hielt so lange die Luft an, bis es ihn schmerzte. Erst dann tauchte er auf.

      Sein erster Blick galt den finsteren Gestalten. Sie waren schon sehr weit weg und kümmerten sich nicht weiter um ihn.

      Die Gefahr schien so gut wie vorbei zu sein.

      Dann sah er sich nach dem Fischernachen um. Einen Augenblick hoffte er, die vertraute Gestalt des Vaters würde auf der Ducht sitzen. Aber der Nachen war scheinbar leer und trieb weit entfernt von ihm in der See.

      Als er jetzt weiterschwamm, stürzten ihm Tränen aus den Augen, und er schluchzte laut. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie es ohne den Vater weitergehen sollte.

      Er war völlig ausgepumpt, als er den Nachen endlich erreichte. Bevor er sich über das Dollbord zog, warf er noch einen Blick zu der immer kleiner werdenden Sambuke.

      „Du Hund“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme, „du dreckiger, räudiger Hundesohn. Verflucht sollst du sein für alle Zeiten. Ich schwöre, daß ich meinen Vater rächen werde.“

      Danach hockte er still im Boot. Seinem toten Vater hatte er die Augen zugedrückt.

      Um ihn her war alles still, ruhig und friedlich, als hätte es nicht den geringsten Zwischenfall gegeben. Hinten am Horizont segelte die Sambuke ebenfalls friedlich ihren Kurs. Ahmed konnte immer noch nicht glauben, daß die Halunken so kaltblütig seinen Vater umgebracht hatten.

      Mehr als eine Stunde lang hockte er auf der Ducht und ließ seinen Tränen freien Lauf.

      Als von der Sambuke nichts mehr zu sehen war, setzte er das kleine Segel und kehrte traurig zum Ufer zurück. Dort schwor er den grausamen Piraten noch einmal Rache.

      Etwas später hob er zwischen zwei Dattelpalmen, die einsam dicht am Ufer standen, eine Grube aus. Er nahm das kleine Segel ab und umhüllte damit die Gestalt im Boot. Danach trug er mühsam und immer wieder verschnaufend die Leiche seines Vaters zu der Grube. In dem Segeltuch begrub er sie und schaufelte das Grab zu. Anschließend sammelte er Steine, um das Grab zu markieren.

      Als er sich ausgeweint hatte, kehrte er zu der winzigen Hütte zurück, die sie zusammen bewohnt hatten. Er nahm eine Pfanne, zwei Töpfe und etwas Kleinkram mit. Viel mehr hatten sie nicht besessen.

      Das alles trug er ins Boot. Dann setzte sich Ahmed vor den steinernen Hügel und dachte darüber nach, wie es weitergehen sollte.

      Onkel Selim fiel ihm ein, ein Bruder seines Vaters, der irgendwo in der Nähe von Quatar hauste. Selim war früher auch einmal Fischer gewesen, aber dann hatte er sich auf die Perlentaucherei verlegt, weil sie mehr einbrachte, wenn man etwas Glück hatte.

      Sie hatten sich lange nicht gesehen, und er wußte nicht einmal, ob er Selim überhaupt erkennen würde. Mindestens fünf Jahre lagen dazwischen. Vielleicht erkannte der Onkel ihn selbst auch nicht mehr.

      Lange Zeit hockte er vor dem Grab, grübelte und überlegte. Irgendwie mußte er sich jetzt allein durchbeißen.

      Als die Sonne blutrot im Westen an der Kimm stand, begann es langsam abzukühlen. Er legte sich auf den Rücken und sah zu, wie sie allmählich kleiner wurde und verblaßte. Doch bevor sie unterging, schickte sie noch einmal einen bunten Reigen von Strahlen über den Himmel. Dann verschwand sie.

      In dieser Nacht blieb Ahmed bei dem Grab seines Vaters. Er brauchte sehr lange, bis er endlich einschlief.

      Am anderen Morgen zog der Fischerjunge Ahmed los. Sein Herz lag schwer in der Brust, ein dumpfes Gefühl der Beklemmung lastete auf ihm. Vor ihm lag ein völlig ungewisses Schicksal.

      Er hatte noch ein kleines, hundertmal geflicktes Ersatzsegel, das er jetzt aufzog, als die Sonne aufging. Außerdem befanden sich im Fischernachen noch zwei Riemen.

      Nach einem letzten abschiednehmenden Blick auf das Grab seines Vaters segelte er los. Er segelte zunächst nach Westen in Richtung Dhannar, immer an der Küste entlang. Eine frische Brise schob ihn weiter.

      Bei Ebbe suchte er zwischen Korallen und in Wasserlöchern nach Fischen und Krebsen, die nicht rechtzeitig entkommen waren. Sie bildeten tagelang die einzige Nahrung für ihn. Wasser erhielt er von anderen Küstenfischern, die Mitleid mit ihm hatten und ihm seinen Ziegeniederschlauch wieder auffüllten. Hin und wieder besorgte er es sich aber auch bei den Oasen.

      Zwischendurch hielt er nach der schwarzen Sambuke Ausschau, doch er sah sie nicht mehr.

      Fast einen Monat lang trieb er sich an der Küste herum. Wenn er einen Fischer traf, dann fragte er ihn nach Selim Ibn Abdalah, aber immer wieder schüttelten die Fischer mitleidig die Köpfe. Niemand schien Selim Ibn Abdalah zu kennen.

      Nach weiteren zwei Wochen hatte er Glück.

      „Selim kenne ich“, sagte der Fischer, den er ansprach. „Einer der Söhne von Abdalah, das stimmt. Du mußt bis in die Nähe von Quatar segeln, mein Junge. Dort brauchst du nur nach Selim, dem Perlenfischer, zu fragen. Hm, er ist ein bißchen merkwürdig, weißt du.“

      „Er ist mein Onkel, der Bruder meines Vaters.“

      „Trotzdem, mein Junge, er ist ein bißchen sonderlich, dieser Selim. Er sucht die Schwarzen Tränen Allahs, und er fängt auch längst keine Fische mehr.“

      Ahmed hörte mit offenem Mund zu. Von den Schwarzen Tränen Allahs hatte er noch nie etwas gehört.

      „Was ist das?“ wollte er wissen.

      Der Fischer erklärte es ihm geduldig.

      „Vor langer, langer Zeit war Allah so traurig, daß er Tränen vergoß. Sie fielen ins Meer, wurden ganz schwarz und sanken auf den Grund, wo sie heute noch liegen. Die großen Muscheln verbargen die Tränen vor den Blicken der Menschen und hüllten sie ein, damit niemand Allahs Trauer jemals sah. Seither versucht man, diese Schwarzen Tränen zu finden, denn sie sind sehr kostbar, und sie sind mit den anderen Perlen überhaupt nicht zu vergleichen.“

      „Hat Onkel Selim denn welche gefunden?“ fragte Ahmed.

      „Nein,


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