Seewölfe - Piraten der Weltmeere 415. Roy Palmer
umbrachte, der ihm in die Finger geriet.
Pablo, der bullige, etwas dickliche Kreole, stand wie vom Donner gerührt vor der Black Queen.
„Queen, Queen“, murmelte er. „Du bist ja mehr tot als lebendig.“
Daß sich ihre Brust kaum merklich hob und senkte, entging ihm jedoch nicht. Mehr noch – sein Blick wurde von ihrem Busen gleichsam magisch angezogen. Er konnte es kaum fassen, daß es auch ihr gelungen war, sich an Land zu retten, doch die Tatsache, sie entdeckt zu haben, war für ihn wie eine Eroberung.
Caligula lebte nicht mehr. Auch von den anderen Kerlen war keiner den Haien entkommen. Sie, die Queen, gehörte jetzt ihm. Auf einen Moment wie diesen hatte er schon lange gewartet, eigentlich schon seit den Tagen, in denen sie auf der kleinen Insel der Cay-Sal-Bank gesessen hatten und zum Warten verdammt gewesen waren.
In knappen Sequenzen zogen die Ereignisse noch einmal an seinem geistigen Auge vorbei. Sicher, es wäre vielleicht besser gewesen, wenn sie dem Anderthalbmaster nie begegnet wären, aber wer hatte schon ahnen können, welche Ereignisse sich aus dem Bündnis mit Don Antonio de Quintanilla ergaben, das die Queen trotz Caligulas anfänglichem Aufbegehren eingegangen war?
Als Sieger waren sie in Havanna eingezogen, und sie hatten dank der Hilfe des Gouverneurs über sehr viel Machtvollkommenheit verfügt. Zwar hatte es einigen Aufruhr gegeben, doch die Queen hatte immerhin auch ihren Profit aus der Situation gezogen: Sie hatte die „Zeehond“ als ihr neues „Flaggschiff“ und von dem Dicken eine Schatztruhe erhalten, gewissermaßen als „Betriebskapital“.
Sie hätte sich dann ruhig verhalten und die weiteren Entwicklungen abwarten sollen. Statt dessen hatte sie zum Kampf geblasen, als sie die „Caribian Queen“ vor der Hafeneinfahrt hatte erscheinen sehen – und sie hatte nicht erkannt, daß es eine Falle gewesen war.
Nun, jetzt war sie die „Zeehond“ los und mit ihr die vom Gouverneur gespendete Schatztruhe sowie ihre eigene Schatzkiste – ihre letzte Reserve – und die erbeuteten Silberbarren. Alles hatte sie verloren, nur die nackte Haut hatte sie retten können.
Aber was für eine Haut! Pablo konnte seinen Blick nicht von ihr lösen, er starrte sie an, als habe er nie zuvor eine Frau gesehen. Er ließ sich neben ihr nieder und griff nach ihrem runden, festen Hinterteil. Allein die Berührung versetzte ihn in einen Zustand höchster Erregung. Er konnte sein brennendes Verlangen kaum noch bezwingen.
Califano entging nicht, daß der Kreole drauf und dran war, sich auf die ohnmächtige Frau zu stürzen. Schwein, dachte er, Dreckskerl, aber er nahm die Gelegenheit auch wahr, um sich tiefer in den Dschungel zurückzuziehen. Zoll um Zoll, Yard um Yard – und Pablo bemerkte es nicht, denn seine volle Konzentration galt der Black Queen.
Pablo war es nur recht, daß Caligula tot war. Aber er wußte auch, daß sein Ende die Queen trotz allem getroffen hatte – trotz der Tatsache, daß er ihr bei ihren hochfliegenden Plänen und dem Pakt mit dem Gouverneur eigentlich schon im Wege stand und wegen seiner Morde zum Risiko geworden war. Eine Art Haßliebe hatte sie mit Caligula verbunden. Sie hatten sich geschlagen und in der Koje wilde Nächte verbracht.
Pablo grinste. Wir können uns einigen, Queen, dachte er, ich übernehme Caligulas Rolle. Aber ich lasse mich nicht von dir schlagen und treten. Das kannst du mit mir nicht tun.
Er glaubte, im Gestrüpp ein Rascheln wahrzunehmen, sah aber nur kurz hin. Vielleicht bewegte sich ein Tier durch die Mangroven, ein Vogel oder ein Affe. Mit einem Angriff von der Landseite war nicht zu rechnen. Der Gegner hatte sich zurückgezogen. Auch die Haie waren verschwunden, wie ihm ein Blick auf die See bewies.
Er grinste immer noch. Was sollte jetzt noch passieren? Nichts. Er war allein mit der Queen, und keiner würde sie suchen.
Califano hatte sich weit genug von dem Ufer zurückgezogen, er konnte jetzt wagen, sich aufzurichten. Er drehte sich um und schlich durch das Dickicht. Kurz darauf begann er zu laufen, über einen schmalen, kaum zu erkennenden Pfad, den nur er kannte.
Er erreichte seine Hütte, verkroch sich und beschloß, alles, was er an diesem Morgen gesehen und gehört hatte, schleunigst wieder zu vergessen.
Die Queen erlangte unterdessen das Bewußtsein wieder. Sie war etwa eine Stunde lang ohne Besinnung gewesen, aber das wußte sie nicht, denn sie hatte das Zeitgefühl verloren. Sie schlug die Augen auf und schaute mit verständnisloser Miene zu Pablo auf.
Er grinste nach wie vor, und es gelang ihm nicht, die lüsternen Gedanken schnell aus seinen Zügen verschwinden zu lassen.
Sie registrierte es sofort – trotz des Mühlrades, das sich in ihrem Kopf zu drehen schien.
„Pablo“, flüsterte sie. „Du hier?“ Sie griff nach seiner Hand. „Wie kann das sein? Träume ich?“
„Du träumst nicht“, erwiderte er mit schiefem Lächeln. „Ich habe mich retten können.“
„Dann ist alles wahr?“
„Ja. Die Haie waren zu sehr mit den anderen beschäftigt“, sagte er. „Mit denen, die als erste über Bord sprangen.“
„Das kann ich mir vorstellen“, sagte sie leise. „Wir haben ziemlich danebengegriffen mit diesen Hunden, als wir sie aus den Kneipen von Havanna rekrutierten.“
„Sie taugten einen Dreck. Aber jetzt sind sie weg. Aus und vorbei. Denen weint keiner eine müde Träne nach.“
„Du warst hinter mir?“
„Klar. Ich bin kein so schneller Schwimmer wie du, aber ich hab’s trotzdem geschafft, obwohl ich dachte, ich saufe ab.“
„Das dachte ich auch“, sagte sie. „Die Strecke erschien mir endlos lang.“
„Bei einem Luftschnappen hab’ ich gesehen, wo du an Land gekrochen bist“, sagte er. „Ich dachte, ich würde dich vielleicht lebendig wiederfinden, war aber nicht sicher. Na, jetzt hat’s doch noch geklappt.“
„Da war eine starke Strömung“, murmelte sie. „Hat sie dich von der Richtung abgebracht?“
„Ja, denn sie setzt nach Westen und hat mich nach dorthin vertrieben. Aber nur ein bißchen.“
„Hast du beobachtet, wie die Schiffe davongesegelt sind?“
„Ja. Und ich habe auch gesehen, wie es Caligula erwischt hat.“ Er sagte das absichtlich – für den Fall, daß sie es noch nicht wahrhaben wollte.
„Er scheidet nun aus“, murmelte sie. Ihr Blick tastete Pablo ab, und er spürte, wie ihm innerlich heiß wurde.
Am liebsten hätte er sich wirklich gleich auf sie gestürzt, als er sie gefunden hatte. Es war die Gegenreaktion dessen, der noch einmal davongekommen war, was nach dieser totalen Niederlage wahrhaftig wie ein Wunder anmutete. Aber dazu hatte ihm denn doch der Nerv gefehlt. Außerdem hätte eine ohnmächtige Queen für ihn nur den halben Spaß bedeutet.
Natürlich hatte er nach wie vor seine festen Vorstellungen und recht eindeutigen Phantasien, die er entwickeln konnte, wie es ihm paßte – keiner konnte ihn daran hindern. Kein Caligula war da, der ihn mit Blicken oder Tritten zurechtwies. Und: Welcher Kerl vermochte sich schon diesem verlockenden Weib zu entziehen? Jeder normale Mann an seiner Stelle hätte empfunden wie er. War das vielleicht eine Schande?
Er hatte wahnsinniges Glück gehabt. Er lebte noch und war im übrigen völlig unversehrt. Das mußte gefeiert werden. Er hielt sich für außerordentlich schlau, und gerade wegen seiner Gerissenheit kratzte es ihn nicht besonders, mal wieder „ins Wasser gefallen zu sein“. Heute oben, morgen unten – was kostete die Welt! Von den tiefergehenden Erschütterungen einer Black Queen oder eines Caligula – falls dieser noch gelebt hätte – ob der erneuten Niederlage gegen den Bund der Korsaren war er weit entfernt.
Das bedeutete: Zwar wünschte auch er diesen Hunden die Pest und die Pocken an den Hals, aber zum glühenden Haß nach Art der Black Queen reichte es bei ihm nicht. Im Gegenteil – er wußte, daß Haß letztlich nichts einbrachte.
Zu solchen tiefschürfenden Erkenntnissen