Seewölfe - Piraten der Weltmeere 173. Fred McMason

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 173 - Fred McMason


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hier ist wieder ein anderer Gang“, sagte Tucker. „Ich finde mich kaum noch zurecht. Gestern hatten wir einen ähnlichen Raum gefunden, aber es hat den Anschein, als würden hier zwei Kammern dicht nebeneinander liegen.“

      Hasard blieb in gebückter Haltung stehen, die Lampe vorgestreckt, und versuchte, sich zu orientieren.

      „Ja, hier liegen auch zwei Räume nebeneinander, Ferris. Nur führt der eine Raum vermutlich in einem Bogen um den anderen herum. Die Räume haben sich gegeneinander verschoben, das Deck hat sich gesenkt, und die Planken haben sich etwas gehoben. Man gelangt sozusagen vom Vorschiff direkt aufs Quarterdeck. Das, was noch dazwischenlag, haben die Leute entweder abgeholzt, oder es ist im Eis verschwunden.“

      Sie erreichten ein schief in den Angeln hängendes Schott, das keinerlei Eisüberzug aufwies. Nur auf dem Boden befand sich eine Schwelle, die aus dem Eis gewachsen war.

      Der Seewolf trat mit dem Stiefel zu, und unter ohrenbetäubendem Krachen und Splittern flog das Schott auseinander. Scharfkantige Holzsplitter flogen nach allen Seiten davon.

      Die blakenden Lampen erhellten nur notdürftig ein gespenstisches Bild.

      Niemand sprach ein Wort. Jeder blieb stocksteif an der Eisschwelle stehen und blickte in den Raum.

      Möbel gab es in dieser Kammer nicht, selbst die eingebauten Schapps waren herausgerissen worden, ebenso ein paar Planken von den Seitenwänden. Vermutlich hatte man sie verheizt, als es immer kälter und unerträglicher geworden war.

      In der hinteren Ecke der Kammer lag ein Mann. Er hatte sich in dicke Lagen Segelleinen gewickelt und war in dieser Haltung erstarrt. Sein Gesicht war von einem fahlen Grün überzogen, die weitoffenen Augen blickten starr an die Decke.

      Neben ihm standen zwei Korbflaschen. Die eine war leer, die andere war zersprungen und hatte ihren Inhalt in der Form rötlicher Kristalle auf dem Boden verstreut. Es war roter Wein, den der grimmige Frost in amorphe Substanz verwandelt hatte. Das Gesicht des Toten war hager und eingefallen, ein struppiger Bart bedeckte sein Kinn.

      Wie lange er schon tot war, ließ sich nicht einmal erahnen.

      Der Seewolf trat zwei Schritte näher. Er hatte nicht damit gerechnet, an Bord des Wracks einen Toten zu finden.

      Als er mit dem erfrorenen Mann auf gleicher Höhe war, entdeckte er hinter dem herausgerissenen Schapp die zweite Kammer, in die man ungehindert hineinsehen konnte.

      Hasard schluckte bei dem neuerlichen Anblick, der sich ihm bot.

      In dem zweiten Raum, fraglos war es die Kapitänskammer, hing starr und unbeweglich ein Mann. Seine Beine befanden sich einen halben Yard über dem Boden. Sein Kopf war zur linken Seite geneigt. Er schien die Eindringlinge überlegen und höhnisch anzugrinsen.

      Der Strick, der ihn am oberen Dekkenbalken hielt, war mit einer dünnen Eisschicht überkrustet.

      „Verdammt!“ entfuhr es Carberry, der hinter Hasard stand und den zweiten Toten ebenfalls entdeckte.

      Tucker und Shane sagten gar nichts. Sie sahen sich nur stumm und hilflos an.

      „Vermutlich der Kapitän dieses Schiffes“, sagte der Seewolf heiser. „Er hat sich erhängt, als er keinen Ausweg mehr wußte. Und der andere hat sich betrunken und ist dann erfroren.“

      Er trat weiter in den nur von blakendem Licht spärlich erhellten Raum und sah sich um.

      Auch hier hatten sich die Wände teilweise verzogen, und man hatte alles an Holz, was sich nur entbehren ließ, herausgerissen. Es gab keinen Tisch, kein Pult, nicht mal die Bretter in der Koje waren mehr vorhanden. Lediglich ein lächerlich winziger Hocker war alles, was sich fand. Auf den hatte sich der Kapitän allem Anschein nach gestellt, den Strick um den Hals, und war dann in den Tod gesprungen.

      Hinter dem zerstörten Schapp sah blankes Eis hervor. Es ging auch nicht weiter, rings um die beiden Kammern befand sich eine kompakte Masse aus glitzerndem Eis.

      Hasard begriff nicht, daß diese beiden Männer an Bord gestorben waren. So wie es schien, hatte der Kapitän resigniert und sich erhängt, als er keinen Ausweg mehr wußte. Aber warum hatte er nicht zumindest versucht, einen anderen Weg zu finden? Einen Weg über das nahe Land etwa?

      Nun, er mußte bestimmte Gründe gehabt haben, folgerte der Seewolf, Gründe, die vorerst noch im dunklen lagen.

      Er hob die Lampe, die Shane ihm gereicht hatte, höher und sah sich die Kammer genauer an.

      Es war ein trister Anblick, und er drückte alle Hilflosigkeit dieser Welt aus. Zerbrochene Planken, ein klaffendes Loch im Boden, darunter schimmerndes Eis, hinter den Wänden Eis. Und in der Mitte des trostlosen Jammers hing der bretthart gefrorene Mann. Wie lange schon? Monate – Jahre? Ewigkeiten?

      Aus dem gezackten Bodenloch schimmerte es hell herauf, als Hasard die Lampe darüber hielt.

      „Da liegt etwas“, sagte Tucker rauh. „Sieht aus wie eine Kladde, wie wir sie auch benutzen.“

      „Kursangaben vielleicht“, meinte Carberry. „Ähnlich den spanischen Roteiros. Von hier aus scheint es in einen der Laderäume zu gehen.“

      Ohne eine Antwort abzuwarten, bückte er sich, schob sich an den gezackten Planken vorbei und ließ sich vorsichtig nach unten gleiten.

      Der Raum unter ihnen war nicht tief, Carberry stand lediglich bis zur Hüfte auf einer kompakten Masse.

      „Die Lampe, Sir“, verlangte er.

      Hasard reichte sie ihm.

      Der Profos bückte sich noch tiefer, tastete mit der Hand umher und reichte dem Seewolf eine winzige Kladde nach oben. Die Deckseite war mit dunkler Tinte verschmiert und die Schrift unleserlich geworden. Wahrscheinlich war es der Name des Schiffes, der auf die Deckseite geschrieben war.

      Carberry fand noch ein paar Scherben eines dickbauchigen Fläschchens und einen abgebrochenen Federkiel. Das war alles, was er in dem vereisten und stark geschrumpften Laderaum entdeckte.

      Hasard steckte die steinharte Kladde ein und hoffte, durch ihre Hilfe nähere Anhaltspunkte über das Schicksal des Schiffes und seiner Mannschaft zu erhalten.

      Vor dem Toten blieb er stehen.

      „Wir nehmen ihn ab, Ed“, sagte er, „und legen ihn in den Raum, der früher mal Laderaum war. Den anderen Mann legen wir ebenfalls dort hinein.“

      „Aye, Sir.“

      Shane hielt den Toten fest, während der Profos Tuckers Axt nahm und leicht an das Tau schlug. Es zersprang sofort.

      Carberry ließ den Erhängten vorsichtig in das Loch im Boden gleiten. Dann holten sie den anderen und legten ihn daneben.

      Hasard blieb noch einmal stehen, schlug die brettharte Seite der Kladde auf und blickte hinein.

      „Ein portugiesisches Schiff“, sagte er. „Hier stehen ein paar Aufzeichnungen, aber es wird schwer werden, sie zu entziffern.“

      „Den hat sicher ebenfalls der Sturm in diese Ecke verschlagen“, sagte Big Old Shane bedächtig. „Ich möchte nicht wissen, was diese armen Kerle alles erdulden mußten.“

      „Vielleicht werden wir es erfahren. Wir gehen zurück, hier gibt es nichts mehr, was uns weiterbringt.“

      „Und der andere Teil des Schiffes?“ fragte Tucker in die Stille hinein. „Sollen wir nicht versuchen, auch dort einen Gang zu finden? Kann sein, daß es dort noch etwas gibt.“

      „Ja, wir versuchen es.“

      Der Rückweg wurde schweigend zurückgelegt, bis sie sich in jenem Teil des Schiffes wiederfanden, wo sich die Decke wie ein Giebel in die Höhe wölbte.

      Hasard blieb stehen. Smoky, Dan und Sam Roskill standen vor dem Eingang und sahen ihnen gespannt entgegen.

      „Habt ihr was gefunden?“ fragte Dan.

      „Ja, zwei Tote in den achteren Kammern. Einer hat sich erhängt, der andere ist


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