Seewölfe - Piraten der Weltmeere 173. Fred McMason
keins zu geben.
Wohin führt unser Weg – in die Hölle, direkt noch tiefer in das Innere der Erde, dorthin, wo noch nie ein Mensch war? Wir beten zu Gott und hoffen nur noch.“
„Kalter, schneidender Sturm! Faustgroße Hagelkörner fielen vom Himmel. Unser Segelmacher wurde von einem dieser Brocken schwer verletzt und schwebt in Lebensgefahr. Andere Männer melden, daß sie kein Gefühl mehr in Armen oder Beinen haben. Die Stellen sind merkwürdig dunkel verfärbt, und alle Salben versagen.
Wir brauchen Holz, wir benötigen Proviant. Unsere Lage wird mit jedem Tag verzweifelter und schlimmer. Wir sind gezwungen, einige Teile unseres Schiffes zu verheizen, denn die Kälte wird immer schlimmer.“
„Der Segelmacher ist seinen Verletzungen erlegen. Er muß in dieser Nacht gestorben sein. Als man ihn aus der Koje holte, war er steif und hart wie das Eis. Ein weiterer Mann ist krank und kann die Hände nicht bewegen.
Wir sind vom Eis umschlossen, das in riesigen Massen von allen Seiten auf uns zuströmt. Dem Segelmacher konnten wir kein ordentliches Begräbnis geben. Wir haben ihn auf das glitzernde Eis gelegt, und da liegt er jetzt noch immer und begleitet uns auf unserer weiten Reise ins Ungewisse. Wir fühlen, daß wir mit dem Eis treiben.“
„Das ist der Anfang vom grauenvollen Ende“, sagte der Seewolf. „Das Endresultat haben wir direkt vor Augen. Correz muß sein Schiff Stück für Stück verheizt haben. Hoffen wir, daß wir nicht auch in diese tödliche Situation geraten.“
Blicke wurden hin und her geworfen. Manch einer schluckte hart, wenn er an die restlichen Bestände an Holz dachte, die der große Ofen gierig fraß:
Ja, was dann, wenn das letzte Stück Holz im Ofen verschwand? Dann ging es der „Isabella“ an die Substanz, und davor hatten sie alle einen verständlichen Horror. Damit begann ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Verheizte man, um zu überleben, die Masten oder Teile der Aufbauten, dann war das Schiff nach einer gewissen Zeit nicht mehr seetüchtig – und das war ebenfalls der Anfang vom Ende, genauso, wie es Correz mit klammen Fingern niedergeschrieben hatte.
Welche Ersatzlösung bot sich aber dann an, fragte sich jeder bedrückt. Selbst an Land gab es kein Holz, keinen Strauch, keinen Baum. Nicht einmal ein Grashalm wuchs hier.
Hasard entgingen nicht die Blicke, die sich die Männer zuwarfen. Auf seinen Lippen lag ein eigentümlicher Ausdruck, und er lächelte leicht.
„Ich glaube nicht, daß wir ebenfalls erfrieren werden“, sagte er. „Es gibt noch eine letzte Möglichkeit, um uns davor zu bewahren. Aber das hat noch ein paar Tage Zeit.“
„Es gibt keine“, behauptete Carberry. „Sonst hätten die Portugiesen die Lösung sicher auch gefunden. Aber sie sind erfroren, einer nach dem anderen.“
Hasard lächelte immer noch unergründlich.
„Trotzdem gibt es eine. Vielleicht fällt sie dir nach einigem Nachdenken auch ein, Ed.“
Aber da konnte Ed so lange nachdenken, wie er wollte, er stieg nicht dahinter und zog nur ein ratloses Gesicht.
„Mit dem Schiff sitzen wir fest“, sagte er, „Sträucher wachsen hier auch nicht.“
„Das Schiff kriegen wir mit etwas Glück und viel Arbeit wieder frei, das ist Problem Nummer zwei. Problem eins ist, daß wir die Kälte lebend überstehen, und dafür sehe ich eine Chance.“
Unter den Seewölfen begann das große Grübeln. Aber nach einer Weile gaben sie achselzuckend auf.
Hasard las weiter.
„Barmherzigkeit, Misericordia! Wir haben zwei weitere Tote an Bord. Andere Männer sind krank und nicht mehr arbeitsfähig. Unser Schiff ist von Eis überzogen und liegt tief in Eisschollen fest. Diese Eisschollen schieben uns zusammen, drücken uns hoch, und der Rumpf kracht und knackt. Der Boden wird nicht mehr lange halten, der Druck der Eismassen ist zu stark.
Das Eis schiebt uns unaufhaltsam einem mächtigen Gebirge entgegen. Wir arbeiten pausenlos, aber wir schaffen es nicht. Wir haben die Masten verfeuert, der Proviant wird streng rationiert. Einige liegen apathisch in den Kojen und dämmern dem Tod entgegen. Unser Schiff ähnelt einem Wrack.“
Die Aufzeichnungen wurden mitunter unleserlich, und der Seewolf mußte sich einiges zusammenreimen.
Vielleicht aber hatte der portugiesische Kapitän auch kein großes Interesse mehr gehabt, das Logbuch weiterzuführen. Tinte lief in einem Rinnsal über die krakeligen Zeilen und verunstaltete sie.
Vielleicht aber hatte ihn auch die Kraft verlassen.
Weitere Passagen folgten, die Hasard nicht verstand. Erst nach einiger Mühe gelang es ihm, wieder etwas zu entziffern.
„Eiseskälte. Das Schiff sitzt fest und schiebt sich tiefer in ein monströses Eisgebilde hinein. Zimmern eine Vorrichtung, mit der wir über das Eis zum Land ziehen können.
Wir geben das Schiff auf. Kaum noch Proviant. Wasserfässer geplatzt. Alles zu Eis erstarrt. Profos schlug heute Eis von dem Berg ab und lutschte es vor Durst. Erstaunliche Entdeckung. Die riesigen Eisberge bestehen aus gefrorenem Trinkwasser. Schmeckt nicht nach Salz. Heute werden wir das Schiff verlassen, nur ein Mann bleibt zurück. Vielleicht gibt es auf dem Land doch noch Menschen, die uns helfen können. Das Logbuch lasse ich an Bord zurück. Kapitän da Correz.“
Carberry blickte den Seewolf an und schüttelte den Kopf.
„Eins verstehe ich nicht“, sagte er. „Wenn der Kapitän das Schiff verlassen hat, wieso hat er sich dann an Bord erhängt?“
„Die Aufzeichnungen gehen weiter“, sagte Hasard. „Sie sind noch nicht beendet. Wir werden den Rest der Tragödie bestimmt noch erfahren. Ich nehme an, Correz ist wieder zum Schiff zurückgekehrt und hat die Suche aufgegeben, weil sie nichts fanden.“
Es waren tatsächlich noch ein paar beschriebene Seiten übrig, lustlos und verzweifelt niedergeschrieben von einem Mann, der dem Tod näher stand als dem Leben.
„Unsere Suche war ein Fehlschlag. Es gibt in diesem Land keine anderen Menschen. Nur einmal sahen wir ein großes weißes, aufrecht gehendes Tier mit weißem zotteligen Pelz.
Wir hatten den gesamten Proviant mit bis auf eine Ration für den Rudergänger, der an Bord blieb. Es wurde ein Weg in die Hölle. Schneetreiben nahm uns die Sicht. In der ersten Nacht, die wir in einer Eishöhle verbrachten, wachten zwei Männer nicht mehr auf. Der Tod hatte sie im Schlaf geholt. Jetzt waren wir nur noch vierzehn Männer. Wir verloren die Orientierung. Am Abend erschoß sich Blade, unser Zimmermann. Er hatte genug.
Wir irrten herum, liefen durch klirrende Kälte und fanden nur Berge und weiße Gebirge.
Zweiter oder dritter Tag: Wir haben kein Zeitgefühl mehr. Einige Männer stritten um die Verpflegung. Dabei wurde einer erschlagen. Einer rutschte in eine Eisspalte und verschwand. Jetzt sind wir noch elf Mann, die den sicheren Tod vor Augen haben.
Zwei Tage später: Diese verdammte Sonne! Sie wärmt nicht, sie verströmt nur extreme Kälte. Unsere Gruppe besteht noch aus sechs Leuten. Alle anderen hat der Tod geholt. Sie verschwanden in Eisspalten oder wachten nicht mehr auf. Der Rest bewegt sich träge über das unendliche Eis.
Noch später: Wir sind zu dritt und am Ende. Ich glaube, ich träume, denn wir sehen das Schiff wieder. Wir haben uns im Kreis bewegt. Rico wird wahnsinnig und rennt davon. Wir haben ihn nie wieder gesehen.
Sollte jemand diese Zeilen finden, dann sei ihm das eine Warnung. Es gibt keinen Weg mehr zurück aus der Eishölle. Alle, die hier stranden, sind des Todes.
Der Rudergänger liegt tot in der Kammer. Er hat den restlichen Wein getrunken. Zu essen hatte er nichts mehr. Wo sich der letzte Überlebende, der Steuermann, aufhält, weiß ich nicht.
Ich will nicht mehr, und ich kann auch nicht mehr. Es gibt nichts zu essen, es gibt keine Hoffnung mehr. Das Schiff ist zerdrückt worden und verschwindet langsam im Eis. Ich habe ein Tau entdeckt, ein gutes, starkes Tau. Es wird mir helfen, einen Weg aus dieser Hölle zu finden,