Seewölfe - Piraten der Weltmeere 233. Burt Frederick
an, entgeistert und ungläubig. Nur der Coronel, blaß und geistesabwesend, schien von allem nichts zu begreifen.
Sarmiento empfand noch immer jene herausfordernde Art von Stolz. Wenn es auch Galgenhumor sein mochte, so kümmerte es ihn nicht. Stolz deshalb, weil er diesen Namen kannte, bei dem die Iren so empfindlich reagierten. Stolz auch, weil sein Englisch besser war als ihr von keltischen Brocken durchsetztes Kauderwelsch.
O’Connell trat einen Schritt auf den Capitán zu. Der Anführer der irischen Freibeuter war untersetzt und breitschultrig, hatte rotblondes Haar und einen ebensolchen Vollbart. Er reckte den Kopf vor und blinzelte.
„Wie war das eben, Don Juan?“
„Sie haben es sehr wohl verstanden, Mister O’Connell. Ich sehe keinen Grund, mich zu wiederholen.“
O’Connell furchte die Stirn. Plötzlich wandte er den Kopf zur Seite.
„Habt ihr das gehört?“
„Was?“ knurrte Mick Laragh, ein knochiger und hochgewachsener Mann. Sein bartloses Gesicht war mit Sommersprossen übersät, sein braunes Haar hatte einen rostroten Schimmer.
„Was er gesagt hat, du Affe!“ O’Connell brüllte es.
Laragh schwieg beleidigt.
James Ryan räusperte sich. Er trug einen dunklen Spitzbart, war klein, drahtig und dunkelhaarig und hatte einen füchsischen Gesichtsausdruck.
„Wenn ich richtig verstanden habe, Brendan, dann sieht er keinen Grund, dich noch einmal ‚Paddy‘ zu nennen.“
„Mhm. So war es wohl“, brummte O’Connell und wandte sich wieder dem Capitán zu. „Einmal ist schon zuviel, Don Juan. Ich sehe also keinen Grund, dir dafür nicht eine runterzuhauen.“
Ohne erkennbaren Ansatz schlug O’Connell blitzschnell zu. Seine flache Hand klatschte in das Gesicht des Spaniers. Unter der Wucht des Schlages stürzte Sarmiento zu Boden, doch kein Schmerzenslaut drang über seine Lippen. Als er sich auf die Seite rollte und aufrichten wollte, traf ihn ein Fußtritt von Liam O’Driscoll, einem schwarzhaarigen Riesen mit wildwucherndem Vollbart.
Capitán Sarmiento schlug der Länge nach hin, und die Meute johlte vor Vergnügen. Dennoch gab der Spanier keinen Laut von sich, mit dem er seine Niederlage noch betont hätte.
Die blonde Frau stieß sich vom Kamin ab und lief mit wehenden Rökken herbei. Sie war üppig gebaut, und ihre Oberarme konnten an Umfang mit denen eines Mannes leicht mithalten. Tief beugte sie sich über den am Boden Liegenden. Ihr mächtiger Busen war nahe vor seinem Gesicht und schien den Ausschnitt des Leinenhemds sprengen zu wollen. Sie tätschelte seine Wangen, daß es klatschte, und sie kicherte dabei.
„Da gehen dir die Augen über, was, mein Junge? Wenn du jetzt könntest, wie du wolltest, was? Aber das wünsche dir nur nicht, denn du wärst nicht der erste, den Philomena O’Donovan auf dem Zahnfleisch kriechen läßt!“
Die Männer brüllten vor Vergnügen. Brendan O’Connell hielt sich prustend den Bauch.
Die Rechte der Frau zuckte plötzlich vor, klemmte Sarmientos Nase zwischen Zeigefinger und Mittelfinger ein und drehte. Der Spanier schrie auf.
Philomena O’Donovan richtete sich grinsend auf.
„Seht ihr, ihr Lappen? Da muß erst eine schwache, kleine Frau zupakken, um so einen lausigen spanischen Olivenfresser zum Quieken zu bringen!“
Wieder johlten die Männer los. O’Connell schlug seiner Gefährtin begeistert auf das Hinterteil und trieb sie von dem Capitán weg.
Zornrot im Gesicht richtete sich Sarmiento auf. Er rieb sich die Nase, die ein noch dunkleres Rot als seine Gesichtshaut angenommen hatte.
Breitbeinig baute sich Brendan O’Connell vor ihm auf.
„In Ordnung, Don Juan. Können wir jetzt ein paar vernünftige Töne von Mann zu Mann ausspucken?“
Sarmiento ließ die Hand sinken und atmete tief durch.
„Sie treffen hier die Entscheidungen, Mister O’Connell. Ich habe keine andere Wahl, als das zu akzeptieren.“
„Das hast du schön gesagt, Don Juan. Wirklich, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.“ O’Connell trat einen Schritt zur Seite und deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf den Coronel, der mehr in den Fäusten seiner beiden Bewacher hing, als daß er auf eigenen Füßen stand. „Sieh dir deinen armen alten Kommandanten an, Don Juan. Ist er nicht zu bedauern? Läufst du nicht über vor Mitleid, wenn du siehst, wie verdammt ihm die ganze Sache an die Nieren geht?“
„Es ist sehr leicht, sich an einem wehrlosen Mann zu vergreifen“, sagte Sarmiento ruhig.
„Oh, komm mir nicht so!“ brüllte O’Connell. „Wir haben den Mann nicht mal mit dem kleinen Finger angefaßt. Ihr spanischen Scheißer müßt endlich mal lernen, von eurem hohen Roß runterzusteigen.“ Seine Stimme senkte sich unvermittelt zum Flüsterton. „Und ich warne dich, Amigo! Wenn du noch mal das Wort ‚Paddy‘ in den Mund nimmst, breche ich dir jeden Knochen einzeln im Leib!“
Sarmiento preßte die Lippen aufeinander. Immer mehr gelangte er zu der Meinung, daß diese Kerle nicht ganz richtig im Kopf waren. So, wie sie sich aufführten, waren sie nichts anderes als ein gottloser Haufen.
Mit welchem Recht traten sie für die Ehre ihres Schutzheiligen St. Patrick ein? Ganz sicher hieß jeder zweite oder dritte von ihnen Patrick, also Paddy, wie überall in Irland. Sie setzten sich über alle Maßstäbe hinweg, die für einen anständigen Christenmenschen galten.
Deutete man das aber an, dann führten sie sich auf, als müßten sie ihre Kirche mit dem eigenen Blut verteidigen. Und das, obwohl eben jene Kirche bestimmt nichts mehr von ihnen wissen wollte.
Ja, sie waren nicht ganz richtig, da oben unter der rotbehaarten Schädeldecke. Sarmiento verbiß sich in die Überzeugung, daß er es schlicht und einfach mit Verrückten zu tun hatte.
„Zur Sache jetzt“, fuhr O’Connell fort. „Daß ihr von eurer hübschen kleinen Insel verschwinden müßt, ist wohl klar. Wir wollen das aber nicht so sang- und klanglos erledigen. Deshalb habe ich dir noch einmal deinen Kommandanten mitgebracht, Don Juan. Sieh ihn dir gut an. Vielleicht ist es das letzte Mal, daß du ihn so – na, sagen wir, so heil und in einem Stück siehst.“
Abermals stimmten die Iren johlendes Gelächter an, und wieder mußte O’Connell sie zum Verstummen bringen.
„Natürlich ist der Coronel noch Herr seiner Sinne. Damit du siehst, daß wir ihn nicht mißhandelt haben, soll er selbst erklären, wie ich mir die Sache vorstelle.“ Er gab den Bewachern des Obristen einen auffordernden Wink. „Los, laßt ihn reden!“
Capitán Sarmiento begriff den Sinn noch nicht. Stirnrunzelnd sah er zu, wie einer der beiden Bewacher dem Coronel einen Ruck gab.
„He, Señor! Don! Wir wollen eine kleine Ansprache von dir hören! Sag deinem Capitán, was unser Freund Brendan mit dir vorhat!“
Coronel Luis Adriano Barroso Rubio erwachte aus seiner Geistesabwesenheit. Der Kommandant der Zitadelle war von schlanker Statur und mittelgroß. Seine elegante Kleidung trug die Spuren der vergangenen Nacht, die er im Kerker zugebracht hatte. Sarmiento wußte, daß sein Vorgesetzter annähernd sechzig Jahre alt war. Rubios Haar war silbergrau, nur der schmale Oberlippenbart hatte noch die ursprüngliche dunkle Farbe.
Coronel Rubio räusperte sich. Seine Stimme klang brüchig wie Herbstlaub.
„Diese Männer“, begann er auf Spanisch, „haben einen Plan gefaßt, durch den sie …“
„He, he!“ brüllte O’Connell. „Wenn hier geredet wird, dann Englisch! Das gefällt uns zwar auch nicht viel besser als euer Spanisch, aber wir verlangen ja nicht, daß ihr unsere Sprache sprecht. Also noch mal von vorn, alter Mann!“
Im blassen Gesicht des Coronels zuckte kein Muskel.
„Diese Männer haben einen Plan“,