Seewölfe - Piraten der Weltmeere 71. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 71 - Roy Palmer


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müssen – jawohl, direkt auf die Insel zu! Andernfalls hätte dieser blauäugige Teufel ihnen „das Feuer ihrer eigenen Kanonen in den Hintern gegeben“, wie er angedroht hatte.

      Er hatte die Geiseln von Lorusso losknüpfen lassen, dieser Satan von einem Seewolf, hatte die Karavelle und die „Grifone“ drehen lassen und angefangen, den Rest des Piratenverbandes zu befeuern.

      Und dann war diese „Isabella“ aus der Passage zwischen Malta und dem Nachbareiland Comino hervorgesegelt und hatte unter dem dröhnenden Kommando ihres narbengesichtigen Profos’ die Flanke der Flotte unter Beschuß genommen. Es war das Tollkühnste, Unfaßbarste, Verrückteste, das Humun Aradschy je erlebt hatte.

      „Allah!“ heulte er in das Donnergrollen der Kanonen. „Mach, daß diese aussätzigen Ungläubigen zerspringen!“

      Sein frommer Wunsch wurde nicht erfüllt. Das Gegenteil trat ein. Dicht vor ihnen beschossen die Bogenschützen, über die die Seewölfe verfügten, eine Piratengaleere mit Brandpfeilen. Das Feuer erreichte die Munitions- und Pulverdepots des Schiffes, und unter Donner, Feuerblitzen und starker Rauchentwicklung explodierte die Galeere.

      „Nein!“ brüllte Humun.

      „Ich will nicht sterben!“ schrie Lorusso, der sich die Sache mit seinem Ableben nun doch anders überlegt hatte.

      Die Überreste der Galeere prasselten auf sie nieder. Wieder mußten sie tauchen, um nicht erschlagen zu werden.

      Die düstere Unterwasserwelt nahm sie gefangen. Aber auch hier, im Sog der aufgewühlten Fluten, waren sie nicht sicher. Lorusso sah etwas Dunkles, Schemenhaftes auf sich zuschnellen. Er begriff noch, daß es sich um den Teil einer Spiere handelte. Dann prallte er damit zusammen, erhielt einen Schlag auf den Kopf und sah nichts mehr. Alles versank in erlösender Finsternis.

      Später – er wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war – breitete sich stechender Schmerz in seinem Kopf aus. Er streckte die Hände nach oben, bemerkte harten Widerstand und griff danach. Er hatte das Gefühl, etwas sehr Diesseitiges mit den Fingern zu umspannen. War das das Dasein nach dem Tod?

      Sein Mund öffnete sich, er pumpte japsend die Lungen mit Luft voll. Das dumpfe Geräusch, das er dabei vernahm, irritierte ihn. Dann trat noch etwas Merkwürdiges ein: Lorusso schlug die Augen auf, konnte aber trotzdem nichts von seiner Umgebung erkennen.

      „Maledizione“, flüsterte er. „Verdammnis – Hölle, was ist nur geschehen?“ Auch seine Stimme fand einen eigentümlichen Widerklang.

      Vor ihm rauschte und sprudelte es, dann vernahm er ein wohlbekanntes Männerorgan. „Beim Scheitan, wo bin ich?“

      „Humun“, sagte Lorusso.

      Die Antwort war zunächst nur ein zorniges Schnaufen. „So, bist du also auch wieder da, du Bastard von einem Sizilianer? Offenbar will dich selbst der Leibhaftige nicht. He, was ist das, hier über meinem Kopf? Lorusso – das ist ja eine Ducht.“

      „Stimmt“, erwiderte Lorusso. „Ich halte mich auch an einer Ducht fest, glaube ich.“

      „Glaube ich“, äffte ihn der Türke verächtlich nach. „Ich weiß, was passiert ist. Bei der Explosion der Galeere ist auch das auf der Poop festgezurrte Beiboot aufs Meer hinausgewirbelt worden. Erstaunlicherweise hat es dabei keinen Schaden erlitten. Das ist ein Wunder, du Bastard. Allah ist groß, Allah ist mächtig! Das Boot ist umgeschlagen, gekentert, und wir sind im Auftauchen direkt darunter gelandet.“

      „Und nun?“

      „Und nun, und nun – wir haben hier genügend Luft zum Atmen.“

      Lorussos Angst wich etwas. „Das ist ja großartig. Ich verstehe – wir sind einigermaßen geschützt, können uns aus dem Hexenkessel der Schlacht zurückziehen, indem wir mit den Beinen paddeln, und bleiben für den Seewolf und seine Kerle unauffindbar. Sie werden nach uns suchen, nachdem wir diesem Killigrew vor der Nase weg von deiner Karavelle gesprungen sind, Humun. Aber bald werden sie annehmen, wir sind jämmerlich ersoffen.“

      „Ja“, sagte der Türke grimmig. „Und da ist noch was. Endlich haben wir genügend Zeit, um uns ausführlich zu unterhalten – du Sohn eines von den Blattern befallenen Dromedars.“

      Lorusso hatte inzwischen durch Tasten festgestellt, daß er sich an der Heckpartie des Bootes befand. Der Türke indes war nicht weit vom Bug entfernt aufgetaucht, wie den Lauten zu entnehmen war, die er verursachte. Gut fünf bis sechs Fuß trennten sie also voneinander.

      Doch jetzt hörte Lorusso ihn näher planschen.

      Der Sizilianer hatte keine Waffe. Philip Hasard Killigrew hatte sie ihm abgenommen, bevor er ihn in die Vorpiek der „Grifone“ gesperrt hatte. Und auch, als er ihn dann zu dem einmaligen Täuschungsmanöver an Deck geholt hatte, hatte er ihn wieder durchsucht. Der Seewolf hatte eben ganz auf Nummer Sicher gehen wollen, obwohl keiner der in den Vordecksräumen angeketteten Piraten sich auch, nur ein Messer hätte beschaffen können.

      Anders verhielt es sich mit Humun Aradschy. Den hatte der Seewolf in der Eile nicht abtasten können. Er hatte sich damit begnügen müssen, daß Humun die Steinschloßpistole von sich geschleudert hatte, als er von ihm gefangengenommen worden war.

      Erst nach der Schlacht hätte der Seewolf sich wieder mit dem jüngeren der Brüder befassen können, doch Humun und Lorusso waren außenbords gesprungen. Er hatte ihnen mit seiner Radschloßpistole nachgefeuert, aber nicht getroffen.

      All das ging Lorusso jetzt plötzlich wieder durch den Kopf. Und er zog eine Schlußfolgerung, die logisch war. Humun hatte zumindest noch ein Messer bei sich. Oder einen Kurzsäbel. Oder einen Tschakan, jene gefürchtete orientalische Wurfaxt.

      „Hör zu, Humun“, sagte Lorusso mit belegter Stimme.

      „Ich komme, du Hund.“

      „Bleib, wo du bist!“

      „Ich kann dich so schlecht verstehen.“

      Lorusso leckte sich die salzigen, spröden Lippen. „Warte. Das liegt am Kampflärm. Aber – Augenblick, das Donnern der Kanonen läßt nach!“

      „Du lügst“, sagte Humun mißtrauisch.

      „Bist du denn taub?“ rief der Sizilianer.

      Es stimmte. Tatsächlich verebbten alle Laute. Ein letztes, grollendes Krachen rollte schwer über See und verlor sich in der Ferne, dann trat Ruhe ein. Das Schreien der Verwundeten hatte auch nachgelassen, nur hier und da war noch ein schwaches Klagen zu vernehmen.

      Humun Aradschy verhielt. Er beschäftigte sich eingehend mit der Innenseite der Bootswand und entdeckte nach einigem Tasten eine Stelle, an der sich das Werg aus einer Plankennaht entfernen ließ. Humun fingerte, kratzte, arbeitete verbissen, kurzum, er tat alles, um die Ritze freizulegen.

      „Was soll das?“ fragte Lorusso.

      „Schweig! Ich will sehen, was los ist.“

      Kurz darauf hatte der Türke es geschafft. Er kniff seine Augenlider zusammen und spähte durch den Schlitz, den er in der Bordwand ungefähr in der Mitte zwischen Dollbord und Ducht geschaffen hatte. Etwas Sonnenlicht fiel von außen ein. Lorusso konnte einen Teil der Gesichtspartie von Aradschy sehen.

      „Ich sehe die ‚Isabella‘, die ‚Grifone‘ und meine Karavelle!“ zischte der Türke. „Sie verschwinden in der Hafeneinfahrt. Vier Galeonen und zwei Galeassen der Malteser, die gar nicht erst in die Schlacht einzugreifen brauchten, suchen das Meer nach Überlebenden ab, die sie in Ketten legen können. Vielleicht wollen sie unseren Leuten auch nur den Rest geben.“

      „Das glaube ich nicht“, sagte Lorusso.

      „Sei still! Ich sehe noch etwas.“

      „Was? Unsere Verbündeten? Deinen Bruder?“

      „Nein. Galeassen und Galeonen, die sich von der nordöstlichen Kimm nähern. Das kann nur der Rest der maltesischen Flotte sein, der von einer Reise nach Sizilien zurückerwartet wird.“

      „Der


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