Seewölfe - Piraten der Weltmeere 71. Roy Palmer
als Flossen benutzen, wie die Fische. So können wir das Boot drehen, und ich gewinne auch einen Überblick über den Teil der See, der jetzt für mich im toten Winkel liegt.“
„Ist gut.“ Lorusso war froh, sich irgendwie bei Humun anbiedern zu können. Er gab sich Mühe, und durch entsprechende Beinarbeit schwenkte ihr Boot langsam herum.
„Zehn Schiffe“, sagte Humun tonlos. „Nur zehn sind von dem stolzen Verband übriggeblieben. Neunzehn haben diese verfluchten Giaur auf den Grund der See gesenkt, meine Karavelle befindet sich in ihrer Hand. Der Blitz soll sie treffen! Aber, Allah sei Dank, ich kann Baruds Karavelle an der Spitze der flüchtenden Restflotte erkennen. Ich bete zum Propheten, daß auch mein Bruder noch am Leben ist. Er führt unsere Schiffe fort, in Richtung Nordwesten. Sie werden nicht verfolgt, glaube ich.“
„Großartig“, sagte Lorusso. „Es ist doch noch nicht alles verloren. Sie lekken ihre Wunden, bessern die Schäden an den Schiffen aus, holen Verstärkung und kehren dann hierher zurück, um doch noch den Sieg davonzutragen. So leicht gibt Barud sich nicht geschlagen.“
„Das glaubst nur du!“ stieß der Türke hervor. „Du willst mich beschwichtigen, nicht wahr?“
„Ich will gar nichts, Humun …“
„Du Verräter. Du hast das alles eingefädelt.“
„Nein. Hör mich an.“ Lorusso berichtete, was sich auf Santorin zugetragen hatte. Er haspelte die Schilderung der dramatischen Ereignisse nur so herunter, aber Humun antwortete am Ende nur mit einem haßerfüllten Laut.
„Du Narr! Wie du diesen Ungläubigen auf den Leim gegangen bist! Iride, die Hure, hat mehr Gerissenheit bewiesen als du. Warum hast du nicht versucht, dich zu befreien?“
„Das habe ich doch!“
„Aber ohne Erfolg!“
„Zum Teufel, ich wurde in Ketten gelegt und in die Vorpiek meines eigenen Schiffes gesperrt! Wie sollte ich da wohl wieder herausgelangen, zumal dauernd zwei dieser Bastarde im Vorschiff Wache hielten?“ Lorusso begehrte auf. Er hatte wieder etwas von seinem alten Selbstvertrauen zurückerlangt. Jetzt wollte er sich nicht mehr von dem Türken abkanzeln lassen.
„Du wirst frech!“ zischte Humun. „Deine Worte sind das Gekläff eines von Schwären bedeckten Hundes, Lorusso. Niemals hättest du dich fügen dürfen, als der Seewolf dich auf Deck beförderte und dir abverlangte, uns gegenüber die Rolle des treuen Mitstreiters zu spielen – während er nur darauf wartete, zuschlagen zu können.“
„Was hätte ich denn tun sollen?“
„Dich weigern!“
„Und mich umbringen lassen?“
„Ja!“ schrie Humun Aradschy unter dem gekenterten Boot, daß es von den Holzwänden dröhnte. „Du hättest dein schandbares Leben lassen sollen. Für uns. Für deine Freunde. Für uns war dir doch kein Opfer groß genug, oder? Hast du das nicht immer behauptet?“
Lorusso lachte ärgerlich auf. „Du bist ja verrückt! Irgendwo hört die größte Freundschaft auf, auch bei euch Brüdern. Außerdem habt ihr mich in der letzten Zeit auf Santorin wie den letzten Dreck behandelt. Wie rechtfertigst du denn das?“
„Das steht nicht zur Debatte.“
„Wirklich nicht? Ihr hieltet mich für verrückt, stimmt’s?“
„Wegen deiner Suche nach dem Silber, jawohl.“
„Aha. Früher oder später hättet ihr mich ausgebootet oder ganz abserviert.“
„Lüge“, sagte Humun Aradschy. „So was tut ein gläubiger Moslem nicht. Zu so etwas ist nur ein Giaur fähig.“
„Was du nicht sagst“, erwiderte Lorusso voll Spott. „Also hättest du dein Leben für mich gegeben, falls der Seewolf dich wie mich in die Zange genommen hätte, oder?“
Es plätscherte und sprudelte wieder im Wasser unter dem Boot. Humun rückte weiter auf den Sizilianer zu. Lorusso hörte seinen keuchenden Atem dicht vor sich.
„Verschwinde!“ stieß er hervor. „Zieh dich zurück, oder ich vergesse mich.“
„Hund!“ sagte Humun.
Lorusso holte aus und schlug nach ihm. Er wollte ihn im Gesicht treffen, mußte aber die Richtung schlecht berechnet haben. Seine Faust schoß ins Leere, dann hart gegen die Bootsplanken. Humun lachte höhnisch.
„Willst du wissen, was ich für dich gebe, du Hurensohn? Ich schenke dir etwas, nimm es, hier! Und hier und hier!“
Er war unter der letzten Ducht hervorgeglitten, die sie noch getrennt hatte. Lorusso versuchte, ihn mit den Fäusten abzuwehren, doch der Türke war schneller als er. Ehe der Sizilianer überhaupt richtig reagieren konnte, bohrte sich etwas höllisch Scharfes in seine Schulter und in seinen Arm.
Er spürte, wie ihm die Sinne schwanden. Rote Schleier wallten vor seinen Augen, Schmerz brandete durch seinen Oberkörper und durch den Leib. Er dachte noch: Er hat also doch ein Messer, dieser elende Hund!
2.
Im sonnigen Mittagslicht, das die Inseln Malta, Comino und Gozo erwärmte, waren Hasard und seine Crew in den Hafen von Valletta eingezogen. Die Soldaten der Festung Sant’Angelo hatten sie durch Böllerschüsse begrüßt. Die Bevölkerung hatte sie als Helden gefeiert und im Triumphzug durch die Stadt geleitet. Dann endlich hatte Hasard den Palast des Großmeisters betreten dürfen.
Als Zeichen seiner Ehrerbietung war er kurz niedergekniet, dann hatte er sich wieder erhoben und feierlich erklärt, daß er die Ehre habe, den Schatz der Malteserritter zurückzubringen und zwölf tapfere Männer des Ordens aus den Klauen der Piraten befreit zu haben.
Seine Worte schwebten im Raum und klangen in der Ergriffenheit und Stille aus, die die Szene beherrschte.
Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, Carberry, Old O’Flynn und die anderen Männer seiner Crew hatten die Schatztruhe hereingetragen und auf dem glänzenden Steinfußboden des Thronsaales abgesetzt. Jetzt standen sie rechts seitlich von ihrem Kapitän und traten etwas verlegen von einem Fuß auf den anderen.
Henrik Argout erschien an der Spitze von sechs Malteserrittern. Alle trugen die bekannte Montur mit dem weißen Kreuz auf rotem Grund. Den Männern folgten die befreiten Gefangenen der Piraten: die Ritter Giuliano Salce, David, Ronald, Maynard, Dario, Heinrich und Arthur sowie die Muschelfischer Fausto, Samuele, Alof, Tobias und Felice. Sie traten links von Hasard vor den Thron des Großmeisters – ausgemergelte, bis auf die Knochen abgezehrte Gestalten und doch bereits wieder glückliche, vor Freude und Begeisterung über den Sieg strahlende Männer.
Rasch würden sie sich von den Strapazen erholen, die sie unter der Knute des Sizilianers hatten durchstehen müssen. Bereits während der Schlacht hatten sie den Seewölfen auf der „Isabella“ und der Karavelle des Humun Aradschy geholfen, die Geschütze zu laden, zu richten und abzufeuern. Trotz ihres körperlichen Zustands war ihr alter Kampfgeist nicht versiegt. Im Gegenteil, er war neu und wie nie zuvor aufgelodert, als es gegolten hatte, den Piraten die Zähne zu zeigen.
Giuliano Salce trug die Schiffskatze Micia auf dem Arm, und niemand nahm Anstoß daran. Die Seewölfe hatten auch Arwenack mitbringen wollen, aber das Vorhaben war an dem massiven Widerstand des Schimpansenjungen gescheitert. Arwenack hatte sich unter Deck der „Isabella“ versteckt und war nicht mehr erschienen. Er war beleidigt und eifersüchtig, denn er fühlte sich zurückgesetzt, seit Micia an Bord war.
Noch fünf Ritter betraten nach den befreiten Geiseln den Saal, dann wurde die Flügeltür verschlossen.
Jean de la Vallette-Parisot, der Großmeister, siebenundachtzig Jahre alt und immer noch rüstig, geistig frisch und von unbeugsamem Widerstandsgeist gegen die feindlichen Piraten – er saß auf seinem Thron und begegnete dem Blick des Seewolfes.
Seine Hände hielten die Knäufe der hölzernen, geschnitzten Armlehnen