Seewölfe - Piraten der Weltmeere 197. Roy Palmer
uns auf eigene Beine stellen, Capitan.“
„Ja“, sagte de la Barca. „Los jetzt.“
Sie hasteten weiter, dirigierten ihre hilflosen Gefangenen durch den Busch und hielten ihre Waffen bereit, um eventuelle Angreifer sofort abwehren zu können.
Der Seewolf stand auf dem Quarterdeck der „Isabella VIII.“ und manövrierte sein Schiff an der größten Galeone des spanischen Verbandes vorbei. Dicht an Backbord hatte er sie liegen, höchstens zwanzig Yards entfernt, und dies wäre für den spanischen Kommandanten der beste Augenblick gewesen, dem so unvermittelt aufgetauchten Feind eine vernichtende Breitseite zu verpassen. Aber so sehr er sich das auch herbeisehnen mochte, die Erfüllung seines innigsten Wunsches scheiterte an der Tatsache, daß die Seeleute und Seesoldaten der Galeone die zwölf Backbordgeschütze auf der Kuhl immer noch nicht vollständig nachgeladen hatten.
Hasard konnte sie im fahlen Licht des Mondes an den Culverinen hantieren sehen. Eben hatten sie die Kartuschen in den Rohren versenkt, und jetzt schickten sie sich an, die schweren 17-Pfünder-Eisenkugeln hineinzuhieven. Aufgeregt schrien sie durcheinander. Zwei Drehbassen- und vier Culverinenschüsse der „Isabella“ hatten die Back und den vorderen Bereich der Kuhl ihres Schiffes getroffen. Das Schanzkleid der Backbordseite war teilweise zerfetzt und zerstückelt, und in der Bordwand klaffte ein häßliches Loch. Gut ein halbes Dutzend der Besatzung hatte es erwischt, vielleicht auch noch mehr. Das Stöhnen und Wimmern der Schwerverwundeten, die neben den verkrümmten Gestalten der Toten an Deck lagen, ließ die Panik ihrer unversehrten Kameraden wachsen.
Drüben, auf der zweiten Galeone des spanischen Verbandes und auf der lateinergetakelten Karavelle, blitzten wieder die Geschütze auf. Im herüberhuschenden Schein der Mündungslichter vermochte der Seewolf den Namen des Flaggschiffes zu entziffern, der in verschnörkelten Lettern auf den Backbordbug gepinselt war.
„San Rosario“.
Für den Bruchteil eines Augenblickes wurde auch die dicke Gestalt des Kommandanten auf dem Achterdeck dieser „San Rosario“ gespenstisch erhellt: ein nervöser Mann, wie Hasard erkannte, einer, der seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Als die „Isabella“ in die große Bucht der Südinsel eingelaufen war, hatte dieser sofort eine volle Breitseite zu ihr herübergeschickt – und der Seewolf und seine Männer hatten den Spanier von Anfang an richtig eingeschätzt. Als „Wahnsinnsknaben“ und „vollendeten Narren“ hatten sie ihn taxiert, und diese Beurteilung schien tatsächlich der Wahrheit zu entsprechen.
„Sieh ihn dir an, diesen Hitzkopf von einem Don!“ rief Hasard Ben Brighton, seinem ersten Offizier und Bootsmann, zu. „Er scheint erst jetzt zu begreifen, welchen Fehler er begangen hat!“
„Soll ich unsere zweite halbe Backbordbreitseite auf ihn abfeuern lassen?“ fragte Ben.
„Nein, die sparen wir uns auf!“
Die Kugeln der zweiten spanischen Galeone und der Karavelle heulten heran, doch die Distanz war noch zu groß für ein paar sichere Treffer, außerdem beeinträchtigte die Dunkelheit das genaue Zielen. Rauschende Wasserfontänen stiegen vor der „Isabella“ auf, die jetzt herumholte und wendete, um über Steuerbordbug liegend mit dem Westwind zu segeln. Nur eine Kugel des Gegners bohrte sich krachend und knirschend in die Galion. Doch es schien – soweit Hasard und Ben es von ihrem Stadort aus erkennen konnten – kein allzu großer Schaden zu sein, denn der Bugspriet und die Blinde blieben ganz und neigten sich um keinen Zoll dem Wasserspiegel zu.
„Neunpfünder-Kaliber!“ schrie Al Conroy von der Back herüber. „Die Lady hat ein Loch in der Brust, aber es ist kein sehr großes!“
„Dafür werden wir diesen Hundesöhnen das Fell in Streifen abziehen!“ brüllte Edwin Carberry auf der Kuhl. „Das werden wir ihnen heimzahlen, diesen blutrünstigen Haien!“
„Sir!“ rief Bill, der Moses, aus dem Großmars nach unten. „Der Don läßt das Musketenfeuer auf uns eröffnen!“
Hasard, der für kurze Zeit voraus gespäht hatte, richtete seinen Blick jetzt wieder nach Backbord und sah, wie einige der Spanier auf der „San Rosario“ von den Backbordgeschützen abließen und Musketen und Tromblons in Anschlag brachten. Ihr beleibter Kommandant rannte auf dem Achterdeck auf und ab, fuchtelte wild herum und schrie so laut, daß auch die Seewölfe es durch den verhallenden Kanonendonner vernehmen konnten.
„Schießt sie zusammen! Laßt sie nicht entwischen! Räumt ihre Decks leer! Feuer! Feueeeer!“
„Deckung!“ rief der Seewolf.
Die Männer der „Isabella“ duckten sich und zogen die Köpfe ein, und dann krachten die Handfeuerwaffen der Spanier auch schon los. Mit harten, pochenden Lauten schlugen die Kugeln ins Schanzkleid der „Isabella“. Sie pfiffen flach übers Deck, und der Blei- und Eisenhagel der Blunderbüchsen prasselte gegen die Backbordbatterie.
Ben, der sich neben seinem Kapitän hinter das Ruderhaus gekauert hatte, stieß hervor: „Dieser Scheißkerl von einem Don scheint bei allem Schwachsinn doch auch ein großer Witzbold zu sein. Glaubt er vielleicht, er …“
„Warte, Ben“, sagte Hasard. Er schaute auf und suchte mit seinem Blick die Gestalten von Big Old Shane und Batuti.
Ja, der graubärtige Riese und der schwarze Herkules waren in den Großmars und Vormars aufgeentert, wie er es ihnen befohlen hatte. Hasard brauchte jetzt nur noch einen Pfiff auszustoßen und zu schreien: „Shane, Batuti – Feuer frei auf die Dons!“ – und schon flammten die Brandpfeile auf und huschten zum Oberdeck und zur Takelage des Gegners hinüber.
Im Nu war drüben der Teufel los. Das Musketenfeuer der Spanier setzte aus. Zwei, drei Männer der „San Rosario“ brachen getroffen zusammen. Ein Pfeil – ob nun von Shane oder dem Gambia-Mann abgeschossen, ließ sich nicht mehr feststellen – bohrte sich in eine neben einer Culverine bereitliegende Segeltuchkartusche, zündete sie und brachte sie zum Explodieren. Während sie krachend zerfetzte, züngelten aus dem Rigg des Spaniers die Flammen hoch. Im Nu loderten das Großsegel, das Großmarssegel und das Kreuzsegel. Der Kommandant und seine Mannschaft hatten plötzlich alle Hände voll damit zu tun, den Brand zu löschen.
Hasard wandte sein Gesicht Ben Brighton zu und grinste. „So, Ben, jetzt kannst du weiterreden“, sagte er.
Ben lachte. „Ich meinte nur, er glaubt doch wohl nicht, uns mit seinen dämlichen Musketenkugeln stoppen zu können.“
„Er schafft es nicht. Wir sind ja schon an ihm vorbei und lassen ihn Backbord achteraus liegen.“
„Weißt du, was ich mich frage?“
„Ja. Wer der Kommandant ist, woher er stammt und welcher Dummkopf ihn auf diese Reise geschickt hat“, sagte der Seewolf. „Darüber denke ich auch schon die ganze Zeit nach.“
Weder Ben noch er ahnten, daß der tatsächliche Kommandant des spanischen Verbandes, Don Lucas el Colmado, mit einem achtzehnköpfigen Trupp von Männern eine halbe Stunde vor dem Eintreffen der „Isabella“ am Ufer der Bucht gelandet war, um nach dem verschollenen Kapitän de la Barca und dem Bootsmann el Mesonero zu suchen.
Der Trupp war von Maoris angegriffen worden wie de la Barcas und de Mesoneros Gruppe, doch dank der Rückendeckung durch die drei Schiffe des Verbandes war es Don Lucas gelungen, den Angriff zurückzuschlagen und in den Urwald einzudringen.
Fassungslos kehrten Don Lucas el Colmado und seine Begleiter jetzt aus dem Farndickicht zurück und beobachteten, was sich in der Bucht abspielte.
Die „Isabella“ war soeben an der „San Rosario“ vorbeigesegelt und eröffnete jetzt das Feuer auf die Galeone „Sebastian Guma“, die drohend auf sie zuglitt.
Zuerst sprachen die achteren vier Backbord-Culverinen der „Isabella“, dann ihre inzwischen nachgeladenen vorderen Drehbassen – und wenig später auch die vorderen vier 17-Pfünder, die in aller Eile neu gestopft worden waren.
Ein Feuerwerk von Brand- und Pulverpfeilen empfing die Zweimast-Karavelle „San Biasio“, die nun ebenfalls näher an den Gegner heranmanövrierte, um der in Bedrängnis geratenen „Sebastian