Operation Terra 2.0. Andrea Ross

Operation Terra 2.0 - Andrea Ross


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zu warten.

      Das heitere Szenario, wie die Paare Händchen haltend aus den Kabinen traten und, fröhlich plaudernd, in Zweierreihen den Flur entlang marschierten, erinnerte ein wenig an einen Kindergartenausflug, was Swetlana scherzhaft anmerkte.

      »Oder an die Arche Noah«, lachte Philipp ergänzend. Beide platzten schier vor Aufregung, und genauso erging es auch den anderen Passagieren. Gespannte Aufbruchsstimmung lag in der Luft. Sie alle begannen hier nicht nur ein neues Leben, sondern schrieben auch Menschheitsgeschichte – als allererste Siedler, die dauerhaft auf dem Mars leben und arbeiten sollten. Aus Theorie wurde nun Praxis, ein himmelweiter Unterschied.

      Das Ehepaar Emmerson gehörte zu den Ältesten. Die meisten Umsiedler waren zwischen dreiundzwanzig und dreißig Jahren alt, also im gebärfähigen Alter. Da Swetlana jedoch kerngesund war und bislang noch keine Kinder geboren hatte, sollte sie die Chance bekommen. Das Los hatte am Ende zu ihren Gunsten entschieden.

      »In wenigen Augenblicken ist es so weit und wir werden die Ausstiegsluke öffnen. Ab sofort wird jeder Ihrer Schritte für die Daheimgebliebenen mitgeschnitten. Ich darf Sie also bitten, sich so zu verhalten, wie es für eine Zeitzeugendokumentation angemessen ist. Wir gehen geordnet zu den Rovern, in die jeweils vier Personen einsteigen können, und bringen Sie auf dem schnellsten Wege nach und nach zu Ihren Quartieren«, befahl die Stimme aus dem Lautsprecher.

      »Bitte wundern Sie sich nicht, wenn Ihnen das Atmen nach dem Ausstieg ein wenig schwer fällt. Die Lungen müssen sich erst an die veränderten Druckverhältnisse und die leicht abweichende Zusammensetzung der Atemluft gewöhnen. Atmen Sie einfach ruhig weiter und hyperventilieren Sie nicht. Über die ersten Tage werden Sie sich müde, schwindelig und kraftlos fühlen. Gehen Sie zunächst lieber tagsüber nicht ins Freie. Auch Ihre sonnenentwöhnte Haut braucht einige Zeit, sich an die marsianische Lichteinstrahlung anzupassen. Machen Sie sich keine Sorgen, der menschliche Körper ist anpassungsfähig. Die Adaption wird schnell vonstattengehen.

      Wie Sie alle bereits wissen, beträgt der Sol, also der Marstag, 39 Minuten und 35,244 Sekunden mehr als der irdische Tag. Es ist daher gut möglich, dass Ihnen Ihre innere Uhr ein wenig verstellt vorkommen wird. Um diesem Phänomen Herr zu werden, sind in allen Häusern klassische irdische Uhren installiert, die einfach etwas langsamer laufen, um die Zeitdifferenz auszugleichen. So fühlen Sie sich wie zu Hause. Es ist wichtig, dass Sie die Pflichtveranstaltungen pünktlich besuchen. Dazu werden Sie rechtzeitig Informationen erhalten.«

      »Ein bunter Katalog an Verhaltensregeln – hoffentlich geht das nicht so weiter«, murmelte Philipp augenrollend.

      Die Versiegelung der Luke wurde mithilfe von Druckluft geöffnet. Im Zeitlupentempo senkte sich eine mit rutschfesten Noppen überzogene Rampe zu Boden. Jeder der zuvorderst stehenden Passagiere versuchte angestrengt, über die Schulter seines Vordermanns hinweg, einen schnellen Blick auf die Marsoberfläche zu erhaschen. Man sah auf dem Landeplatz oxidroten Sand und ein paar Steine, sonst nichts.

      Die schneeweiße Siedlung in Modulbauweise lag etwa drei Kilometer entfernt. Man hatte die fünfhundert Häuser für tausend Bewohner nach langem Hin und Her am Ufer eines uralten Flussbettes in der Aram Dorsum-Region erbaut, das sich dank der Regenfälle aktuell wieder mit Wasser füllte. Die Häuschen hoben sich in starkem Kontrast von der überwiegend rotbraunen Landschaft ab, doch waren rund um die Häuser sattgrüne Pflanzeninseln erkennbar. Auch am Flussufer zeigte sich zartes Grün.

      »Da liegt sie, unsere neue Heimat. Sieht sie nicht wunderschön aus? Und schau mal, die riesengroßen Gewächshäuser. Alle schön in Reih und Glied aufgestellt«, schwärmte Swetlana ergriffen.

      »Nun ja … ein bisschen karg und auf dem Reißbrett entworfen, aber besser als unsere alte Behausung«, relativierte Philipp, dessen Atemfähigkeit deutlich eingeschränkt schien. Er röchelte leicht beim Luftholen.

      Der geländegängige Marsrover rumpelte hart über unebenes Gelände, fuhr durch ein Tor und hielt im Herzen der Siedlung. Eine in Kreisform errichtete Ansammlung von Gebäuden kam in Sicht. Der Fahrer drehte sich um und erklärte:

      »An diesem zentralen Platz finden Sie sämtliche Gemeinschaftsgebäude, die für Versammlung, Freizeitspaß und Verwaltung vorgesehen sind. Dort drüben ist die Krankenstation. Alle Straßen gehen von hier ab, Sie können diesen Ort also nicht verfehlen. Bitte steigen Sie jetzt aus und folgen Sie der blauen Markierung in den flachen Bau links, dort werden die Wohneinheiten verwaltet. Man wird Ihnen Ihr Haus zuweisen.«

      Die Emmersons leisteten der Aufforderung Folge, trabten den anderen Siedlerpaaren hinterher. Und schon schnurrte das solarbetriebene Elektrofahrzeug davon, um die nächsten Einwohner abzuholen.

      Die Bürokratie im Office glich derjenigen auf der Erde, wie sie seit hunderten von Jahren nahezu unverändert funktionierte. Man musste Nummern aus einem Automaten ziehen, um irgendwann an die Reihe zu kommen. Schließlich wurde Swetlana und Philipp das Haus Nummer 144 am westlichen Rand der Siedlung zugewiesen, die man auf den Namen Phönix 1 getauft hatte.

      Sie machten sich zu Fuß auf den Weg. Alle Häuschen sahen gleich aus, in den kleinen Gärten zur Selbstversorgung standen exakt die gleichen Nutzpflanzen zur Verfügung. Kohlrabi, Möhren, Zucchini, Tomatenpflanzen und einen Obstbaum konnte Swetlana von weitem erkennen. Eine Bewässerungsanlage berieselte die grüne Pracht gleichmäßig.

      »150, 148, 146 … dort, das hier muss Unseres sein!«, keuchte Swetlana, der der kurze Fußmarsch körperlich zugesetzt hatte. »Hier sind überall deutsche Fahnen an den Zäunen angebracht. Geht die Zuteilung nach Nationalitäten, oder was?«

      Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Die verantwortlichen Planer der Urbanisation hatten der Tatsache Rechnung getragen, dass sich Menschen gleicher Sprache und Herkunft stets zusammenzurotten pflegen. Auf der Erde konnte man diesen Effekt bei Migranten quer durch alle Länder beobachten. Man hoffte darauf, dass auf diese Weise schnell Freundschaften und Arbeitsgemeinschaften zustande kommen könnten, denn ohne sozialen Zusammenhalt würde das Leben im Exil für Manche zur Hölle werden.

      Sie durchquerten den Vorgarten ihrer neuen Behausung. Philipp hielt seinen rechten Daumen auf das Identifikationsfeld neben der Schiebetür aus Aluminium, die augenblicklich zur Seite glitt. Neugierig lugten er und seine Frau ins Innere des quadratischen Hauses.

      Weißer Kunststoff, soweit das Auge reichte. Das gesamte Gebäude, einschließlich des mit leistungsfähigen Solarkollektoren verkleideten Daches, schien aus einem Guss gefertigt worden zu sein. Das galt auch für die wichtigsten Möbel.

      Schränke, Esstisch, Küchenzeile – alles war fest eingebaut, verschmolz nahtlos mit den Wänden und dem Fußboden. Das Doppelbett im Elternschlafzimmer hatte man in eine Mulde des Bodens eingelassen.

      Neben jeder Tür gab es ein Glasfeld in Regenbogenfarben. Philipp wischte vorsichtig mit der flachen Hand über eines davon. Das Pad reagierte, summte leise. Gedimmtes, indirektes Licht schaltete sich ein. Je nachdem, auf welchem Teilbereich des Feldes man sich mit den Fingern befand, erstrahlten die Plastikmodule in unterschiedlichsten Pastellfarben. Man hatte diese Technik einst von der Versammlungshalle in der CydoniaRegion abgeschaut. Mit einer Innovation: Die Helligkeit des Lichtspektakels ließ sich über den jeweiligen Fingerabstand vom Pad steuern.

      »Klasse Idee! Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass uns das sterile Weiß bald in den Wahnsinn treiben könnte«, freute sich Philipp und spielte ein wenig mit dem Pad. Er entschied sich im Wohnzimmer für einen warmen Orangeton, der bestens mit den hellgrauen Auflagen der Couchlandschaft harmonierte.

      »Auf der Erde hätten wir uns eine solche Spielerei niemals leisten können. Hier hingegen gehört sie offensichtlich zum Standard«, stellte er begeistert fest.

      Das Badezimmer konnte durchaus als spektakulär bezeichnet werden. Der türkisblaue Kunststoff war hier mit glitzernden, sandfarbenen Körnchen durchsetzt, die dezent vor sich hin funkelten und den Raum größer erscheinen ließen. Der Anblick erinnerte angenehm ans Meer. An der Zimmerdecke strahlte eine stilisierte Sonne gelbliches Licht ab, während die Beleuchtung von Badewanne und Boden in sanften Wellen bläulich pulsierte. Die Optik suggerierte Bewegung, als befände man sich mit den Füßen im seichten


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