Wenn Träume wahr werden. Anja Michl
Davor, dass ich schrecklich küsste. Ich könnte tausend Dinge aufzählen, die mich in Bezug auf Liebe beziehungsweise Männer beunruhigten. Es ist klar, dass man immer ein bisschen aufgeregt ist, wenn man ein Date hat, doch meine Angst war so ausgeprägt, dass mir schon Tage vor dem Treffen schlecht war, ich wenig essen konnte und öfter auf die Toilette musste.
Ich habe dieses Handicap schon, seit ich mit 14 Jahren in einen der Sänger meiner damaligen Lieblingsband verschossen war. Damals hatte ich noch einen Vorteil gegenüber der heutigen Zeit: Der Kerl kannte mich nicht und hat somit auch nicht mitbekommen, wie ich mich bei seinem Auftritt, ausgerechnet bei einer der schönsten Balladen, vor Aufregung übergeben musste und zu allem Überfluss auch noch die nagelneuen Schuhe meiner Freundin Bettina erwischte, die mich zu dem Konzert begleitet hatte.
Danny allerdings kannte mich und sah mich jeden Tag in der Schule und mit ihm konnte ich mir durchaus eine Beziehung vorstellen. Diese konnte jedoch nur funktionieren, wenn ich mein Problem schnellstmöglich in den Griff bekam, denn mittlerweile war es schon so schlimm, dass sich mein Magen hob, sobald sich zufällig kurz unsere Blicke begegneten. Eine Sekunde zu lang Blickkontakt halten und ich fürchtete, sofort meinen Mageninhalt vor allen anderen preisgeben zu müssen.
Dieses Hindernis war wirklich lästig und ich war deswegen sogar schon beim Psychologen gewesen, doch der meinte, dass meine Ängste womöglich von einem Trauma in meiner Kindheit herrühren. Unsinn! Ich hatte eine ganz wunderbare Kindheit, im Gegensatz zu Bettina, deren Eltern sich scheiden ließen, als sie sechs Jahre alt war. Da könnte der Psychiater sagen, dass man ein Kindheitstrauma erlitten hat!
Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass der gute Mann mir bei meinem Anliegen nicht helfen konnte und habe die Behandlung nach den ersten paar Sitzungen abgebrochen. Ich wollte es alleine schaffen!
Trotz meiner großen Angst bin ich mit Danny ins Kino gegangen. Wir sahen uns eine Komödie an. Mir war das ganze Date lang schlecht, aber ich versuchte tapfer zu sein und mir nichts anmerken zu lassen. Doch essen oder trinken konnte ich nichts. Das konnte ich meinem ohnehin schon empfindlichen Magen nicht antun. Danny versuchte während des ganzen Films immer wieder meine Hand zu nehmen, was sich auch gut anfühlte. Doch dadurch wurde mir noch übler.
Nach dem Kino fuhr er mich heim und hielt vor meiner Haustür an. Den ganzen Weg lang hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, was jetzt wohl passieren würde. Würde er mich küssen? Oder würde er mich halb aus seinem Auto schmeißen und das Weite suchen, weil er gemerkt hatte, wie langweilig ich war?
Er sagte jedoch, dass es ein schöner Abend war und er das gerne wiederholen wollte. Ehe ich mich versah, kam sein Gesicht näher und näher und seine Lippen legten sich auf meine. Darauf war ich, einschließlich meines Magens, der sich just in diesem Moment hob, nicht vorbereitet und so spie ich dem armen Kerl auf die Hose. Unfähig, irgendeine Erklärung abzugeben, stürzte ich aus seinem Auto heraus und zu unserer Haustür hinein.
Nach diesem Abend sprach Danny nie wieder ein Wort mit mir. Wahrscheinlich dachte er, ich fände ihn abstoßend oder er küsse so schlecht, dass ich mich gleich übergeben musste. Mir war das Ganze unendlich peinlich gewesen und auch jetzt erinnerte ich mich mit Schrecken daran zurück.
Ich sah auf die Uhr. Himmel, schon viertel nach vier! Hatte ich jetzt wirklich über eine Stunde vor mich hin gegrübelt? Jetzt musste ich aber wirklich schlafen! Ich schaltete die Nachttischlampe aus, rollte mich auf die Seite und hoffte, jetzt endlich ins Reich der Träume abzudriften.
Neuanfänge
Emma
"Emma, du musst aufstehen! Wir müssen in einer Stunde los. Ich habe dir dein Lieblings-Frühstück gemacht: frische Himbeer-Waffeln mit Nougatsahne. Das magst du doch so gerne. Ich dachte, zum Abschied noch ein letztes Mal..."
Die Stimme meiner Mutter riss mich aus dem kurzen Schlaf.
"Ach Mama, noch fünf Minuten. Bitte..."
Ich versuchte, mir die Ohren mit meinem Kissen zuzudecken und kuschelte mich enger in meine herrliche Bettwäsche mit dem beleuchteten Eiffelturm-Druck.
Jetzt begann sie energisch die Jalousien hochzuziehen.
"Nichts da, Schatz, wenn du nicht aufstehst, kommst du zu spät zur Einführung und musst außerdem eines der verbliebenen Zimmer im Wohnheim beziehen, weil die Guten alle schon weg sind."
"Okay, ich komme gleich runter", brummte ich verschlafen und krabbelte aus meinem Bett.
Gähnend schnappte ich mir meine Kleidung, die ich schon am Vorabend rausgelegt hatte, von meinem Sessel und verschwand damit im Bad. Ich duschte schnell, trocknete mich ab, schlüpfte in meine Unterwäsche und streifte meine Lieblingsjeans über. Das Ganze rundete ich mit einem schlichten weißen Trägertop und einem roten, nicht zu feinen, aber dennoch schicken Blazer ab. Meine schulterlangen Haare ließ ich offen, zupfte lediglich ein paar meiner honigblonden Locken zurecht.
Meine Haare waren von Natur aus gewellt, etwas, worum mich meine Freundin Bettina schon immer beneidet hatte. Sie hatte glattes, feines Haar, deshalb hielten Locken bei ihr nicht einmal eine Stunde lang.
Eilig trug ich etwas Mascara auf und rannte die Treppe hinunter in unsere kleine, aber gemütliche Küche. Nur meine Mutter saß noch am Frühstückstisch und wartete auf mich. Als ich mich setzte, reichte sie mir einen Teller mit den Waffeln und eine Schüssel mit der Nougatsahne.
"Mmh, danke Mum. Die Waffeln sehen fantastisch aus!", lobte ich sie und stellte mit Wehmut fest, dass dieser Luxus, den ich gerade noch genoss, bald ein Ende hatte. Aber natürlich freute ich mich trotzdem auf mein neues Abenteuer!
Mein Vater war leider schon außer Haus. Von ihm hatte ich mich schon am Vorabend verabschieden müssen. Er war Bäcker und musste schon um halb vier auf der Arbeit sein, damit die Backwaren rechtzeitig fertig wurden, bis die ersten Kunden kamen und die frisch duftenden, noch lauwarmen Brötchen mitnehmen konnten.
Meine Mutter war die einzige Person, die von meinem Männer-Problem wusste. Natürlich bin ich nicht einfach zu ihr hingegangen und habe gesagt:
"Du Mama, ich muss dir etwas erzählen..."
Nein. Das wäre mir viel zu peinlich gewesen! Sie hat mehr oder weniger so lange nachgebohrt, bis es aus mir herausgebrochen ist. Wann es passiert ist, weiß ich noch genau:
Es war in der Woche, in der ich meine Verabredung mit Danny hatte. Zum Frühstück brachte ich damals keinen Bissen hinunter, weil mein Magen vor Anspannung schon wieder Achterbahn fuhr. Da ich selbst meine heißgeliebten Himbeer-Waffeln am Frühstückstisch verschmähte, wurde meine Mutter langsam misstrauisch und wollte wissen, was denn mit mir los sei.
Meinen Beteuerungen, dass alles in bester Ordnung sei und ich einfach in der Schule viel um die Ohren und deswegen keinen Appetit frühmorgens hatte, schenkte sie keinen Glauben. Wahrscheinlich sah sie mir an der Nasenspitze an, dass ich log oder aber auf meiner Stirn stand in dicken, schwarzen Buchstaben das Wort "LÜGNER".
"Emma, das glaube ich dir nicht. Die Schule kann nicht der Grund sein, du hast gute Noten. Und wegen Mathe brauchst du dich auch nicht zu sorgen. Das Schuljahr ist bald zu Ende und deine Vier wirst du halten."
Sie nahm meine zierliche Hand in ihre und sah mich aus ihren haselnussbraunen Augen besorgt an.
"Ich kann in deinen Augen sehen, dass da noch etwas anderes ist, das dir Kummer bereitet."
Ich traute mich nicht, sie anzusehen und so hielt ich meinen Blick auf die blau gesprenkelte Tischdecke gesenkt.
"Emma, Schatz, dir ist seit Tagen morgens schlecht und du hast keinen Hunger. Ich weiß rein gar nichts über dein Liebesleben, weil du bei dem Thema immer abblockst, aber kann es sein, dass... dass du..."
"Oh Gott, Mama, du meinst doch nicht etwa, ob ich schwanger bin??", beendete ich ihren Satz und sah sie entsetzt an.
"Nein, natürlich nicht!... Naja, irgendwie kam mir der Gedanke in den Sinn eben wegen der Morgenübelkeit. Aber ich hoffe nicht! Du bist mit deinen 17 Jahren viel zu jung und hast noch nicht einmal