Wenn Träume wahr werden. Anja Michl

Wenn Träume wahr werden - Anja Michl


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Sie bitte hier bei mir. Sie bekommen ihn nach der Veranstaltung wieder." Wortlos übergab ich ihr meinen Koffer.

      "Name?", fragte sie und holte eine Liste hervor.

      "Von meinem Koffer?", entgegnete ich verblüfft.

      "Nein, von Ihnen!", blaffte sie mich an.

      "Achso..."

      Obwohl ich es nicht zulassen wollte, verunsicherte mich diese Frau total durch ihre gehässige Art.

      "Emma Hallstedter", murmelte ich.

      Schon jetzt hasste ich sie. Ich konnte mich nicht erinnern, diese Tussi am Tag der offenen Tür hier gesehen zu haben. Damals waren alle sehr nett gewesen.

      "Ich habe keine Emma Hallstedter auf meiner Liste", sagte sie und sah mich herausfordernd an.

      "Das kann nicht sein. Ich habe mich für dieses Schuljahr angemeldet. Ich habe auch eine schriftliche Einladung erhalten." Ich hielt ihr meine Einladung hin.

      Ein kurzer Blick auf meine Handyuhr sagte mir, dass ich nur noch zwei Minuten hatte. Na super! Wenn ich noch länger mit dieser Kuh diskutierte, kam ich wirklich zu spät.

      Leon

      Die Straßenbahn kam zum Stillstand. Ein paar Leute stiegen aus und Victoria und ich traten ein. Um diese Zeit war nicht viel los und wir bekamen fast immer einen Sitzplatz. Die meisten Menschen waren bei der Arbeit und die Schüler noch im Unterricht.

      Ich setzte mich ans Fenster und Victoria ließ sich auf den freien Platz neben mir fallen. Sie drehte den Kopf zu mir.

      "Sag mal, dieses Provinzweib vorhin, das dir in die Arme getaumelt ist, was war denn das für eine? So ein Tollpatsch! Einfach nur peinlich, findest du nicht auch? Und hast du ihre Kleidung gesehen?" Sie lachte verächtlich.

      Ich antwortete nur mit einem Schulterzucken.

      "Offenbar ist sie eine neue Schülerin. Ich hoffe nur, sie kommt pünktlich zur Einführung, sonst bekommt meine Mutter wieder einen Tobsuchtsanfall..."

      Victoria lächelte spöttisch.

      "Na und, dann wird sie halt schneller wieder von der Schule geschmissen als sie überhaupt FREMDSPRACHENSCHULE sagen kann. Ich verstehe sowieso nicht, wieso man freiwillig an einer Sprachenschule studieren möchte…"

      Sie zog die Nase kraus, als ob sie in eine saure Zitrone gebissen hätte. Victoria hasste Sprachen. Eigentlich interessierte sie sich nur für Kleidung, Make-Up und sämtliche Hochglanzmagazine.

      "Nur weil du eine Abneigung gegen Fremdsprachen hast, müssen nicht alle so eingestellt sein", verteidigte ich die Unbekannte. Selbst war ich leider nicht sprachbegabt, bewunderte jedoch die Menschen, die sich problemlos neue Vokabeln einprägen konnten, die Grammatik der Sprache verstanden und am Wichtigsten, keine Probleme hatten sich in unterschiedlichen Ländern in der jeweiligen Sprache zu verständigen.

      "Pff, mir doch egal", entgegnete Victoria, nahm ihr Handy aus ihrer Tasche, rief eine Seite auf und begann zu lesen. Ich linste verstohlen auf das Display. "DER NEUESTE KLATSCH UND TRATSCH UNSERER BELIEBTESTEN PROMIS" stand da in großen, pinken Lettern. Genervt verdrehte ich die Augen und schalt mich selbst innerlich dafür, dass ich ernsthaft geglaubt hatte, sie würde ein E-Book lesen. Echte Literatur hasste sie nämlich ebenfalls. Ich hingegen las viel und hätte ihr hin und wieder gerne von meinem Gelesenen erzählt, was sie jedoch nicht gerne hörte, da Lesen in ihren Augen etwas für Langweiler sei.

      Darauf erwiderte ich immer, dass sie mich damit auch als Langweiler abstempelte. Dann kam sie zu mir, nahm mein Gesicht in ihre Hände und versuchte mich mit einem Kuss zu besänftigen, den ich nur halbherzig erwiderte. Ich sei kein Langweiler, sagte sie, da ich gut aussah und Markenkleidung trug. Das war ihre Definition!

      Zugegeben, unsere Beziehung war nicht einfach und in letzter Zeit fühlte ich mich auch nicht mehr so wohl mit ihr. Allerdings war das nicht immer so gewesen. Wir waren nun fast drei Jahre zusammen und ich erinnerte mich immer noch – als wäre es erst gestern gewesen – an den Tag, an dem ich sie zum ersten Mal sah und hin und weg von ihr war.

      Total frustriert kam sie damals in die Speicherstadt Kaffeerösterei, in der ich als Barista arbeitete, und ließ sich niedergeschlagen auf einem Hocker am Tresen nieder. Seufzend bestellte sie einen Cappuccino, rührte ihn aber kein einziges Mal an.

      Sie hatte glänzendes, hellblondes Haar, das sie auf Kinnlänge trug. Ihre Nase war eben und glich der einer Puppe und ihren Mund zierten perfekt geschwungene Lippen, die in einem fast hautfarbenen Ton bemalt waren. Ein todschicker, bestimmt sündhaft teurer Hosenanzug umschmeichelte ihre gertenschlanke Figur.

      Ich wunderte mich, warum eine so bildhübsche junge Frau so traurig dreinsah. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und fragte sie, ob alles in Ordnung sei. Sie hob den Kopf und sah mich mit einem Blick an, der vermuten ließ, dass sie gerade ganz woanders mit ihren Gedanken gewesen war. Da sah ich zum ersten Mal ihre Augen. Eisblaue Augen, die mich erschöpft ansahen.

      "Hm, ja, alles in Ordnung...", antwortete sie mit schleppender Stimme, hielt kurz inne und meinte dann kopfschüttelnd: "Nein, eigentlich nicht. Nichts ist in Ordnung."

      "Ich habe mal gehört, dass Barista gute Zuhörer sein sollen", versuchte ich sie aufzumuntern und zwinkerte ihr zu.

      "Waren das nicht eigentlich Barkeeper?", entgegnete sie und musste ein bisschen schmunzeln.

      "Es hat funktioniert!"

      "Was hat funktioniert?", fragte sie verwirrt.

      Ich sah sie mit einem intensiven Blick an.

      "Dich zum Lächeln zu bringen."

      Sie streckte mir ihre Hand hin und ich ergriff sie.

      "Victoria", stellte sie sich vor.

      "Leon. Freut mich dich kennenzulernen."

      "Ebenfalls, Leon!" Sie sah mir tief in die Augen.

      "Nun erzähl mal, was verschlägt dich in diese" – ich machte eine ausholende Handbewegung – "Kaffeerösterei in unserer wunderschönen Speicherstadt?"

      Sie lächelte verkniffen.

      "Naja, ich hatte hier in der Gegend ein Vorstellungsgespräch. Aber das ging leider völlig nach hinten los. Ich komme ursprünglich aus Frankfurt und bin vor meinem kontrollsüchtigen Vater geflohen. Er ist dort ein erfolgreicher Anwalt und wollte schon immer, dass sein einziges Töchterchen auch Jura studiert und in seine Fußstapfen tritt, im besten Falle sogar seine Kanzlei übernimmt. Doch ich hatte von Anfang an andere Pläne für mein Leben. Ich hatte schon immer den Traum, als Fotomodell Karriere zu machen. Für meinen Vater ist dieser Beruf natürlich nicht tragbar, ich solle was Anständiges lernen!"

      Victoria verdrehte die Augen und machte eine wegwerfende Handbewegung.

      "Jedenfalls hat mir zuerst so ein Vollpfosten seinen Kaffee im Aufzug auf meine Bluse geschüttet, dann durfte ich drei Stunden auf den Modelagenten warten, nur um von ihm mitgeteilt zu bekommen, dass sie schon ein anderes Model gefunden haben!"

      Frustriert stützte sie den Kopf auf ihren Arm.

      "Oh je, das ist bitter! Tut mir leid, dass es so blöd gelaufen ist. Wenn du möchtest, kannst du versuchen deine Bluse zu retten. Den Gang runter geht es zu den Toiletten."

      Ich deutete hinter mich.

      Sie winkte ab.

      "Ach lass nur, das hab ich in der Agentur schon versucht. Die Bluse ist hinüber. Genauso wie mein Selbstbewusstsein."

      Ich tätschelte ihren Arm.

      "Hey, wenn das Modeln wirklich dein Traum ist, wirst du eine andere Agentur finden, bei der du unter Vertrag kommst."

      "Jetzt muss ich erst einmal eine Pension oder ein Hostel finden und mir dann überlegen, was ich als Nächstes mache. Zurück zu meinem Vater gehe ich sicherlich nicht!" Sie schüttelte energisch den Kopf.

      Mir kam eine Idee. Ich wusste nur nicht, ob ich zu forsch vorging. Aber ich wollte diese attraktive


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