Wenn Träume wahr werden. Anja Michl

Wenn Träume wahr werden - Anja Michl


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gebraucht hätte, weil sie jedem Mann den Atem raubten, und verführerischen roten Lippenstift. Wie hieß es so schön, rote Lippen soll man küssen…

      Sie hauchte ein "Hi" in meine Richtung und lächelte mich an. Ich brachte nur ein "Wow" zustande. Ich kassierte das ältere Ehepaar ab, das mich irritiert anblickte, weil ich ihnen das falsche Wechselgeld gegeben hatte, legte meine Schürze ab und eilte zu meiner Traumfrau, die auf mich wartete.

      "Gib mir fünf Minuten, dann bin ich bei dir", sagte ich und verschwand kurz auf der Toilette, um mich frisch zu machen.

      Da sich Victoria in Hamburg noch nicht wirklich auskannte, entschied ich für uns, wo wir hingingen. Ich entführte sie in eine meiner liebsten Anlaufstellen in der Altstadt: nicht zu groß, mit gediegener Lounge-Musik und kuscheligen Nischen, die Raum für tiefe Blicke und Zweisamkeit ließen, ohne, dass man auf dem Präsentierteller saß.

      Drinnen half ich meinem Date aus seinem Mantel. Darunter kam ein kleines Schwarzes zum Vorschein, welches nur knapp über ihren Po ging und viel nacktes Bein zeigte. Falls mich ihr Anblick vorhin nicht schon völlig aus der Bahn geworfen hätte, wäre dies jetzt auf jeden Fall geschehen!

      "Du siehst atemberaubend aus!", bewunderte ich sie.

      Sie schenkte mir ein Lächeln:

      "Dankeschön!"

      Ihr Blick strich einmal über mein dunkelblaues, bis zu den Ellenbogen hochgekrempeltes Hemd, über meine schwarze Skinny-Jeans und wanderte zurück zu meinem Gesicht.

      "Du siehst aber auch sehr gut aus", sagte sie anerkennend.

      Wir suchten uns einen Platz etwas weiter hinten im Lokal. Ich bestellte einen Cosmopolitan für die Dame und einen Mojito für mich. Als unsere Drinks kamen, stieß Victoria mit mir an und sagte:

      "Also, Leon. Nochmal vielen Dank, dass du mir bei der Jobsuche geholfen hast. Und natürlich auch dafür, dass ich bei dir übernachten durfte."

      Unsere Gläser klirrten.

      "Es war mir ein Vergnügen, eine so attraktive Frau wie dich mit nach Hause nehmen zu dürfen", erwiderte ich augenzwinkernd.

      Wir sahen uns tief in die Augen. Ihr Gesicht kam näher. Im nächsten Moment fühlte ich, wie ihre Lippen auf meine trafen. Ich schloss die Augen und erwiderte ihren Kuss. Darauf hatte ich so gehofft! Diese Traumfrau wieder zu küssen und vielleicht noch mehr Sachen mit ihr anzustellen… Victoria seufzte an meinen Lippen und küsste mich stürmischer. Sie duftete nach Vanille und noch einem berauschenden Duft, den ich in diesem Moment nicht einordnen konnte, da sich mein Hirn zu Brei verwandelt hatte. Zudem klopfte mein Herz in meiner Brust, als ob es einen Marathon hinter sich hätte.

      Meine Hände wanderten in ihr Haar. Es war seidig weich.

      "Wow, hast du schöne Haare!", murmelte ich etwas außer Atem an ihren Lippen. Sie sah mich mit geröteten Wangen an. Ihr weinroter Lippenstift war verschmiert von unserer Knutscherei. Auch sie war ein wenig atemlos. Sie wollte schon wieder mein Gesicht zu ihrem ziehen und da weitermachen, wo wir gerade aufgehört hatten, doch ich sagte zu ihr:

      "Hast du nicht Lust, das hier woanders fortzusetzen? Wo wir ungestört sind?"

      Bei mir zuhause angekommen, verloren wir keine Zeit. Schon im Flur rissen wir uns gegenseitig die Kleider vom Leib und ich bugsierte sie unter leidenschaftlichen Küssen in mein Schlafzimmer.

      Von da an waren wir ein Paar und im November zog sie bei mir ein. Sie arbeitete Teilzeit in der Speicherstadt Kaffeerösterei. Des Öfteren hatten wir die gleiche Schicht, weshalb wir es uns erlaubten, wenn nicht viel los und Peer nicht da war, ein paar heiße Küsse im Gang auszutauschen. Tagsüber arbeiteten wir Hand in Hand und in der Nacht liebten wir uns heiß und innig. Wir konnten sowohl Kollegen als auch Liebespaar sein. Es funktionierte perfekt. Ich führte sie zum Essen aus, wir gingen ins Kino, in die Disco mit Freunden – eben alles, was frischverliebte Pärchen so taten.

      Victorias Vater rief seine Tochter noch mehrmals an und irgendwann erbarmte sie sich auf mein Drängen hin und beantwortete den Anruf. Ihrem Vater gefiel es zwar nicht, dass sie in Hamburg blieb, doch im Prinzip konnte sie tun und lassen, was sie wollte, da sie volljährig war. Jedoch versprach sie ihm, sich hin und wieder telefonisch bei ihm zu melden.

      Im Sommer 2015 ergatterte Victoria ihren ersten großen Model-Job. Vorher hatte sie immer nur kleinere Fotoshootings absolviert. Manchmal gab es auch wochenlang Durststrecken, in denen sie zwar von einem zum anderen Casting hetzte, jedoch nur Absagen bekam. In diesen Zeiten war sie besonders froh, dass sie die Arbeit in der Kaffeerösterei hatte, damit sie wenigstens einen Teil zur Miete und was sonst noch so anfiel, beisteuern konnte.

      Ein paar Mal begleitete ich meine Freundin zu ihren Castings und drückte ihr hoffnungsvoll die Daumen. Jedoch merkte ich schnell, dass diese glitzernde, oberflächliche Welt, in der man nur auf sein Äußeres reduziert wird, nichts für mich war.

      Doch dieser Job war ihre Eintrittskarte ins Modelbusiness gewesen. Der Kunde wollte sie als Werbegesicht für eine große Parfümkampagne buchen. Das Shooting fand auf Mallorca statt. Drei Tage verbrachte sie dort, in denen ich vor Sehnsucht nach ihr fast verging.

      Da sie das Shooting mit Bravour absolvierte, kam sie daraufhin bei einer namhaften Agentur unter Vertrag und heimste prompt ihre erste große Gage ein. Diesen Erfolg feierten wir gebührend. So ging es weiter, sie schwamm regelrecht auf einer Erfolgswelle und wurde mit der Zeit immer bekannter. Wir lebten glücklich und zufrieden, machten ein paar Mal im Jahr Urlaub an Orten, von denen ich nur geträumt hatte, bevor ich sie kennenlernte. Doch der Ruhm hatte leider auch Schattenseiten. Victoria veränderte sich – zwar schleichend – aber die Veränderung war zu spüren...

      Der erste Tag

      Emma

      Geschafft, aber glücklich, ließ ich mich rückwärts auf mein neues Bett in meinem Wohnheimzimmer fallen. Es war mein erster Abend in Hamburg und ich war gerade damit fertig geworden, es ein bisschen wohnlicher zu gestalten. Eben hatte ich eine kurze Nachricht an meine Mutter geschickt.

      Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf und seufzte zufrieden auf. Mein neues Zimmer, das ich mir mit Lucía teilte, gefiel mir echt gut. Es war weiß gestrichen und besaß moderne Möbel aus hellem Holz. An der einen Wand stand mein Bett und neben meinem, an der anderen Wand, Lucías. Dazwischen war ein großes Fenster, das uns Licht spendete. Von meinem Bett aus konnte ich auf unseren geräumigen Schrank blicken, in dem wir vorhin schon unsere Kleidung verstaut hatten und rechts neben dem Schrank ging es in unser kleines Bad mit Dusche und WC. Es war zwar winzig klein, aber ich war sehr froh darüber, dass ich mir die Dusche nicht mit zwanzig anderen Mädels teilen musste.

      Dann gab es noch zwei kleine Schreibtische. Auf einem von beiden lag mein Stundenplan, den ich vorhin bei Frau Ahrens abgeholt hatte. Neben meinem Bett hatte ich an der Wand ein paar Fotos angebracht, um meinem Bereich des Zimmers eine persönliche Note zu verleihen. Ein Foto zeigte Bettina und mich. Es wurde vor dem Konzert unserer Lieblingsband aufgenommen. Noch bevor ich die neuen Schuhe von Bettina vollgekotzt hatte. Wir waren darauf in Fanshirts und mit dem Namen der Boyband zu sehen, den wir uns mit schwarzem Stift auf die Stirn geschrieben hatten.

      Auf einem anderen waren meine Eltern, Valentina und ich am Strand von Sizilien zu sehen. Wir Frauen trugen alle bunte Sommerkleider und mein Vater hatte glücklich die Arme um uns geschlungen. Die Aufnahme war ein Jahr alt. Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus und ging über in meinen ganzen Körper, als ich daran dachte, wie wunderschön dieser Urlaub gewesen war.

      Dann gab es noch ein Bild, das meine Schwester und mich bei einem unserer Mädelsabende zeigte – wir schnitten Grimassen und hatten eine selbstgemachte Avocado-Maske im Gesicht. Valentina streckte der Kamera frech ihre Zunge heraus.

      Auf der letzten Fotografie war ich zu sehen, wie ich auf einer flauschigen Decke auf unserem Dach saß, ein Buch auf den Knien liegen hatte und meinen Becher Himbeermilch grinsend in die Kamera hielt, meine geflochtenen Zöpfe flogen nur so umher. Auf dem Bild war ich ungefähr sieben Jahre alt. Ich musste lächeln als ich das Foto


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