Sinnvertiefung im Alltag. Fritz Bohnsack

Sinnvertiefung im Alltag - Fritz Bohnsack


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und Unbewusstsein5.2.4.1Bewusstsein5.2.4.2Das Unbewusste5.2.5Beziehung und Liebe und die Probleme mit dem „Ich“5.2.5.1Zwischenmenschliche Beziehungen und die Problematik der „Liebe“[7]5.2.5.2Probleme mit dem „Ich“5.3Zusammenfassende Stellungnahme zur buddhistischen „Sinnvertiefung im Alltag“6Pädagogische Absicht und alternative Intentionalität6.1Grenzen der Absicht als zweckhafter Zielorientierung6.2Pädagogische Absicht als „Technik“6.3Indirekte Wirkungen: Pädagogische Intentionen jenseits „technisch“ erreichbarer Zielsetzungen6.3.1Der Ansatz Martin Bubers6.3.2Andere Ansätze indirekter pädagogischer Einwirkung7Psychoanalyse als Sinnvertiefung?8Das „umgreifende Ganze“: Vier Zeugen und ein Abschluss8.1Vier Zeugen8.2Ein Abschluss

      Literatur

      [8][9]Vorbemerkung

      Sinn ist gleichsam die Nahrung, aus der wir leben. Wer den Sinn seines Lebens verliert, verhungert. Der Suizid ist ein extremer Ausdruck eines solchen Verlierens. Daher das Ringen des Menschen um seinen Sinn – auf sinn-vollen oder fragwürdigen Wegen. Deren Vielfältigkeit und auch unterschiedlichen Tief-Gang aufzuzeigen, ist Ziel dieses Bandes.

      Was ist „Sinnvertiefung“? Diese naheliegende Frage ist so nicht beantwortbar. Allerdings kann und muss sich der Leser fragen, was der Autor mit „Sinnvertiefung“ meint. Begriffe wie Persönlichkeit, Identität, Spiritualität und viele andere sagen zunächst nicht aus, was ist, sondern auf welche Bedeutungen Autor und Leser oder eine bestimmte Gruppe oder Sprachgemeinschaft sich verständigt haben. Doch eine derartige Verständigung und insofern Bedeutungskonstruktion bleibt nicht individuell, subjektiv oder willkürlich, sondern ist auf ein Objektives gerichtet. Der Begriff der Sinnvertiefung etwa weist auf den Gegensatz von Oberfläche und Tiefgang und damit auf Probleme der Sinnerfahrung, die heute aufgrund historischer und gesellschaftlicher Veränderungen vielleicht intensiver auf Lösungen warten als in früheren Zeiten.

      Man könnte versuchen, gleichsam als erste Orientierung, mit einer Definition ‚in den Griff‘ zu bekommen, was Sinnvertiefung sein soll – etwa: sie meint einen Zugang zum „umgreifenden Ganzen“ („enveloping whole“, John Dewey); aber was ist damit gewonnen? Das komplexe Gewebe an Zusammenhängen, die sich hinter einer derartigen Definition verstecken, bedarf der Entfaltung. Darin besteht das Ziel dieses Bandes: er will eine Reihe von Aspekten ansprechen, die alle auf verschiedene Wege hin zu einer „Sinnvertiefung“ verweisen. Im Fall des Gelingens kann so ein Gesamt-‚Bild‘ entstehen, welches Verständigung und Verständnis ermöglicht und mit seinen konkreten Details und Grundsatz-Strukturen Impulse zu geben vermag. Dieses ‚Bild‘ gründet sich – objektiv – auf einer Fülle von Entwicklungs-Analysen, empirischen Daten und Positionen anderer Autoren. Dennoch bleibt es ein Konzept des Verfassers: Diese Perspektivität bzw. Relativität ist letztlich nicht überwindbar; die Illusion, objektive Wahrheit zu verkünden, überlässt der Verfasser manchen Wissenschaftlern; und den Absolutheitsansprüchen, deren Gewalttätigkeiten z. Zt. Völker vertreiben und umbringen.

      Die Bedeutung der gegenwärtigen Sinn-Problematik reicht vom scheinbar banalen Alltag bis zum Gottesbild. Zwar weist der Fokus des Folgenden in Richtung auf das, was heute zunehmend als „Spiritualität“ bezeichnet wird. Ich habe lange gezögert, den Begriff in den Titel aufzunehmen, weil er verbreitet Missverständnisse auslöst. Reserven gegenüber vielem, was als[10] christliche Tradition, Symbolik und Terminologie erscheint, sind nicht einfach als Ignoranz abzutun. Namhafte katholische und evangelische Theologen akzeptieren bedeutsame gesellschaftliche Veränderungen, etwa in Richtung der oft zitierten Pluralisierung und Individualisierung mit Folgen bis hinein z.B. in Ziele und Verfahren des Religionsunterrichts. Darauf wird im 1. Kapitel eingegangen. Doch eine solche Akzeptanz ist bislang keineswegs allgemein bis in die übliche kirchliche Realität und Praxis vorgedrungen. So wird diese häufig nicht mehr als Antwort auf gegenwärtige Bedürfnisse erfahren, vielmehr als befremdlich und fremd, und dementsprechend abgelehnt. Die zunehmenden Kirchenaustritte sind ein Zeichen dafür.

      Da Religiosität und Spiritualität weiterhin mit Kirchlichkeit und Kirche identifiziert werden, besteht die Gefahr, dass real durchaus vorhandene und in zahlreichen empirischen Untersuchungen nachgewiesene in einem weiteren Sinn „spirituelle“ Bedürfnisse nicht verwirklicht werden, welche dem Alltag – statt verdrängt vielmehr beachtet, akzeptiert und entfaltet – einen vertieften Sinn geben könnten. Der 2. Abschnitt des folgenden 1. Kapitels soll diese Zusammenhänge etwas näher beleuchten.

      Nach dem 1. Kapitel über Probleme der Sinnerfahrung und der Religion heute und vor deren Hintergrund entwickelt das 2. Kapitel das Konzept des Verfassers vom Seins-Vertrauen als zentrale Ziel-Komponente einer Sinnvertiefung und „spirituellen“ Bindung jenseits von konfessionellen Fixierungen. Sodann geht das 3. Kapitel auf zwei Hauptaspekte des gegenwärtigen Erlebens von Zeit ein: einerseits die (fast) alles dominierende lineare Zeit, die unsere Uhren messen, und andererseits die individiduell erlebte (innere) Zeit und die Gefahr ihrer Verdrängung, sowie auf die Phänomene der „Sorge“ (Heidegger) und der gesellschaftsweiten Beschleunigung und Versuche zur Entschleunigung. Letztere leitet über zum 4. Kapitel, das sich mit den vielfältigen Erscheinungen der Muße und Stille sowie dem Staunen, der Ehrfurcht und der Dankbarkeit und deren Bedeutung für „spirituelle“ Vertiefungen beschäftigt. Das 5. Kapitel geht ein auf die gegenwärtige deutschsprachige Fassung von „Achtsamkeit“ sowie auf die spezifische buddhistische Version von „mindfulness“ und stellt dann verschiedene Aspekte der buddhistischen Sinnvertiefung dar, wobei Probleme der Erkenntnistheorie, der Ich- und Identitätsbgriffe, des „Anhaftens“ und der Liebe berührt werden. Das 6. Kapitel weitet die von Niklas Luhmann und Eberhard Schorr angeregte Diskussion um das sog. „Technologiedefizit“ der Erziehung aus auf Grundsatzfragen der pädagogischen Absicht und alternativen Intentionalität, welche für alle Zugänge zur Sinnvertiefung relevant sind. Anschließend skizziert ein 7. Kapitel psychoanalytische Perspektiven der Sinnvertiefung – eine Dimension, welche in der üblichen Diskussion zur Sinnproblematik nicht auftaucht und manchen Leser verwundern, wenn nicht provozieren wird. Und abschließend stützt ein 8. Kapitel das zuvor entwickelte Konzept[11] des „umgreifenden Ganzen“ durch Hinweise auf vier namhafte Zeugen und endet mit einem „Abschluss“.

      Zu danken habe ich den zahllosen Autoren, aus deren Schriften ich, ohne sie zu fragen, Anregungen für die Konturierung meiner eigenen Position und Material für den Aufbau des Bandes gewinnen konnte; den Herausgebern der Bände über das Vertrauen und die Spiritualität, die am jeweiligen Ort angegeben werden, sowie dem Verlag Barbara Budrich, für die Zustimmung zum Nachdruck von 3 Beiträgen von mir, welche stark verkürzt oder minimal verändert im vorliegenden Band wieder aufgenommen wurden; Wilfried Breyvogel und Josef Keuffer für inhaltliche Hilfen als ‚critical friends‘; und Lieselotte Bohnsack für lebenslange stabilisierende und auch kreativitätsfördernde Zuwendung.

      [12][13]1. Zur Sinnerfahrung und zum Umgang mit Religion

      Den Blick auf allgemeine Strukturen der heutigen Sinn- und Religions-Problematik voranzustellen, widerspricht in gewisser Hinsicht dem Grundsatz dieser Arbeit, welche dem Leser verdeutlichen möchte: Hier geht es nicht um etwas Abgehobens, sondern um Deinen Lebensalltag. Eine Arbeit über den Lebenssinn sollte daher konkreter beginnen. Doch es schien mir noch wichtiger, dem Leser einen generellen Verständnishorizont für das darauf Folgende zu ermöglichen.

      Sinnerfahrung


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