DRECKIGES GOLD. Robert Blake Whitehill

DRECKIGES GOLD - Robert Blake Whitehill


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Haut kräuselte sich. Eidechsen rannten mit ihren scharfen, trockenen Klauen seine Wirbelsäule entlang.

      Das Gefühl würde ihn wieder überkommen, sobald alle Kisten geöffnet und ihr Inhalt offenbart war. Denn eine enthielt eine Ladung, auf der ein größerer Fluch lag als auf dem Gold. Die heimtückische Fracht beinhaltete nicht den üblichen Strauß aus bunten Drähten, wie man es aus Fernsehfilmen kannte. Kein schwarzes Isolierband, keine Sprengkapseln, nicht mal ein Handyauslöser. Die Baupläne für diese Chaosmaschine fingen mit dem Periodensystem der Elemente an. Anders als seine konventionellen Kollegen würde diese isotopische Büchse der Pandora niemals ticken, solange kein Geigerzähler in der Nähe war. Doch Ben wusste bisher nichts davon.

      Er ließ den Barren und die Brieftasche in seinen Sammelbeutel fallen, in dem er all die interessanten Fundsachen aus der Chesapeake Bay verstaute. Der Beutel war vorn an seinem Tauchgürtel befestigt. Das zusätzliche Gewicht zog an seinen Hüften. Ben nahm den Atemregler für einen Moment aus dem Mund, um die Kette mit den Schlüsseln über seinen Kopf zu ziehen. Er stieg auf das Deck des gesunkenen Schnellboots und stieß sich in Richtung Miss Dotsy ab. Erschöpfung kombiniert mit dem Extragewicht des Goldes machten aus der kurzen Strecke einen Kraftakt, als würde man die Niagarafälle hinaufschwimmen. Die Schlüssel klimperten auf seiner Brust. Bevor Bens Kopf die Oberfläche durchbrach, griff seine Hand bereits verzweifelt nach Miss Dotsys Schanzkleid. Ein Schraubstock spannte sich um Bens Arm, gleich über dem Ellbogen. Mit einer Wucht, die ihm beinahe die Schulter auskugelte, wurde er aus dem Wasser gehievt und landete auf Miss Dotsys Deck wie ein gegaffter Speerfisch. Dies war Knocker Ellis' Vorstellung davon, jemandem zur Hand zu gehen. Dann entspannten sich Knocker Ellis' drahtige Sehnen und knochenharte Muskeln unter seiner tiefbraunen Haut und gaben Ben frei. Er hatte schon lange akzeptiert, dass Ellis jeden Tag stundenlang Scheffelkörbe handhaben konnte, als würden sie nichts wiegen, trotz der Tatsache, dass sich sein Alter irgendwo nördlich der sechzig befand. Ben konnte seine Überraschung kaum verbergen, dass Ellis ihn mit gleicher Leichtigkeit aus dem Wasser wuchtete. Nicht zum ersten Mal suchte er Knocker Ellis' dunkle Augen nach Hinweisen ab, wer sein Austernsortierer wirklich war. Wie immer konnte er nichts in dessen ungerührtem Gesicht lesen, das sorgfältig arrangiert zu sein schien, um eine Lebenszeit voller Wunden zu verstecken.

      Knocker Ellis war Richard Blackshaws einziges Crewmitglied und Sortierer seit über einem Jahrzehnt. Als Bens Vater verschwand, übernahm Ben das Kommando über die Miss Dotsy. Es war selbstverständlich und unbestritten, dass Knocker Ellis mit dem neuen Kapitän ausschiffen würde. Einen Moment lang fühlte es sich für Ben realer an, ergreifender, sich klarzumachen, dass es Ellis' früherer Boss war, anstatt Bens eigener Vaters, der nur wenige Meter unter Miss Dotsys Kiel trieb. Nach seinem wenig eleganten Einstieg spuckte Ben den Atemregler aus und schälte die Taucherbrille von seinem Gesicht. Er erinnerte sich, wie der Sortierer sich seinen Spitznamen verdient hatte, und beschloss, sich in Acht zu nehmen. Ellis hatte mal erzählt, dass er nach seinem Großvater benannt worden war. Als kleiner Junge hatte sein Großvater sich wohl als Krabbenklopfer für Pennies abgerackert, wobei er die breiten Oberschalen der Blaukrabben auskratzte, damit sie für die Restaurants mit losem Krabbenfleisch gefüllt werden konnten. Es war einer der wenigen Jobs, die einem schwarzen Jungen in jenen Tagen erlaubt waren. In Ellis' Fall hatte der Name Knocker genauso viel mit seinem Vorfahren zu tun wie sein mörderischer linker Kinnhaken. Der konnte einen Mann ungespitzt in den Boden rammen, so hatte es Ben gehört.

      Knocker Ellis stellte den Kompressor aus, wickelte den Luftschlauch zu einer ordentlichen Rolle und zog die Kiste an Bord. Ellis schaute missbilligend auf den halb leeren Korb, sagte aber nichts. Und er erwähnte auch nicht die komischen Schlüssel, die von Bens Hals baumelten. Das war seine Art. Er sortierte schnell die wenigen Austern unterhalb der Vorschriftsgröße aus und warf sie wieder ins Wasser. Dann wanderte sein Blick zu den Wolken, die die Ausläufer von Polly ankündigten, dem nächsten Sturm, der sie ersäufen wollte. Er hielt immer ein wachsames Auge auf Sturmböen oder Luftwogen, die in der Bucht so plötzlich auftauchen konnten. Da Ben auf dem Meeresboden die Austerngrößen sehr gut selbst einschätzen konnte, bestand der Großteil seiner Arbeit darin, den Luftkompressor und den Bootsmotor zu pflegen. Ben versuchte, entspannt zu wirken. Was sollte er dem Mann erzählen, falls überhaupt? Er musste etwas sagen, wenigstens, um den schlechten Fang zu erklären. Ben griff in seinen Leinenbeutel und zog einen kleinen Block Pinienholz hervor, aus dem er zurzeit eine Stockente schnitzte. Er betrachtete das Holz genau, bevor er das rasiermesserscharf geschliffene Schnitzmesser zur Hand nahm. Aus irgendeinem Grund war die letzte Ente, die er kreiert hatte, mit einem dämlichen Grinsen herausgekommen, das eher an eine Disney-Figur erinnert hatte, als an irgendetwas Natürliches. Ellis schaute ihm zu.

      Ohne seine Augen von dem hölzernen Vogel zu nehmen, log Ben: »Hatte 'nen Wadenkrampf.«

      Knocker Ellis drehte sich um und checkte mit einer schwieligen, nackten Hand den glühend heißen Ölstab des Vierzylindermotors. Es kam selten vor, dass er den Mund aufmachte. Seine Haltung allein sagte: Kauf ich dir nicht ab. Ben wusste, dass er nicht umhinkam, Ellis einzuweihen. Von Rechtswegen hatte er genauso viel Anspruch auf einen Teil des Bergungsguts wie auf einen Teil des Austernfangs. Ben betrog niemals einen Freund, aber was war Ellis für ihn eigentlich genau? Bens Vater hatte ihm bedingungslos vertraut. Das war fünfzehn Jahre her. Wie Ben gerade erfahren musste, konnte bereits in fünfzehn Sekunden so viel passieren, dass es das Leben eines Mannes veränderte, ganz zu schweigen von fünfzehn Jahren. Er schabte einen hauchdünnen Holzspan vom Schnabel der Ente. Der Kringel segelte in der auffrischenden Brise davon.

      Für Ben war dieses Gold ein letztes Vermächtnis seines Vaters. Natürlich ahnte er, dass es seinem Vater vermutlich nicht rechtmäßig gehört hatte, aber Besitz war neun Zehntel des Gesetzes. Die Frage blieb unterdessen, für wen war das Geschenk wirklich beabsichtigt gewesen? Nur für Ben? Für jeden auf Smith Island? Vielleicht war dieses Vermögen eine Rückzahlung für hundert Jahre schwerer Verluste, die Bens Familie und Nachbarn erleiden mussten. Im Jahr 1900 verbot die Lacey-Verfügung, ein frühes Gesetz im Eifer gut gemeinter Naturschutzbemühungen, seinen Ururgroßvätern, Wasservögel über die Staatsgrenzen hinweg zu verkaufen. Als dieses Gesetz weder den Appetit noch die Jagd auf Enten und Gänse eindämmen konnte, wurden ihre großkalibrigen Vogelflinten im Jahr 1910 von der Regierung konfisziert, weil sie immer noch zu effektiv waren. Wo die Inselbewohner einst genug Wasservögel erlegt hatten, um die Ostküste zu versorgen, waren sie nun auf Eigenbedarfsjagd mit kleineren Flinten beschränkt. Als wäre das noch nicht genug gewesen, wurde das Hauptjagdgebiet seiner Leute 1954 von der Naturschutzbehörde geschluckt und dem staatlichen Wildtierschutzgebiet im Norden zugefügt, was aus ehrlichen Männern Wilderer machte, falls magere Zeiten sie zwangen, in ihren alten Revieren zu jagen.

      Heutzutage waren mehr als achtzehn Quadratkilometer tabu für die Inselschützen, angefangen in Sichtweite ihrer eigenen Haustüren. Als Wasserverschmutzung und Krankheiten durch Abflusswasser der Landwirtschaft und Überbauung von Eigentumswohnungen an den Küsten der Chesapeake Bay die Fisch-, Blaukrabben-, Austern- und Muschelbestände töteten, da weite Teile der Bucht zu sauerstoffarmen Todeszonen wurden, in denen nichts leben konnte, waren es Ben und seinesgleichen, die ihre Arbeitssaison kürzen mussten, damit die Fischerei überleben konnte. Wieder einmal wurden sie beschuldigt, zu effizient zu sein. Man vergaß gerne, dass Bens Verwandte in jedem Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts für eine Regierung gekämpft und geblutet hatten und gestorben waren, die entschlossen schien, sie verhungern zu lassen. Ben selbst hatte mit Auszeichnung gedient.

      Zwei weitere Schnitte von Bens Messer entlang des hölzernen Entenschnabels. Er war schon näher an der richtigen Form, aber irgendetwas stimmte noch nicht. Nein. Ben entschied, dass er das Gold nicht zurückgeben würde, wer auch immer es vor seinem Vater besessen hatte. Nicht, solange es ein wenig von dem Leid auf Smith und Tangier Island lindern konnte. Sicherlich nicht, solange Bens Vater ertrunken ein paar Meter unter ihm trieb. Nicht, solange Ben Luft holte.

      Ein weiterer Schnitt mit dem Messer. Der Entenschnabel stimmte immer noch nicht. Ben wurde klar, warum er es hinauszögerte, Ellis über seinen Fund zu informieren. Solange Ben der Einzige blieb, der wusste, wo Dick Blackshaws Leiche war, hatte er mit seinem Vater eine düstere Vertrautheit im Tod gefunden, die ihnen im Leben lange gefehlt hatte. Sagte man jemand anderem, dass Dick Blackshaw tot war, sprach man die Worte auch nur zu einer anderen


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