Eltern Stärken. Die Dialogische Haltung in Seminar und Beratung. Johannes Schopp
Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten erwachsen Stärke und Zuversicht, die im Beziehungsprozess benötigt werden.
Mit den Merkmalen einer Dialogischen Grundhaltung und dem Wesen des Dialogs sowie seiner Bedeutung für persönliches Wachstum setze ich mich in Kapitel 2 ausführlich auseinander. Unter anderem beschreibe ich Dialogische Kernfähigkeiten und wie die Dialogische Haltung erlernt werden kann.
Dialog unter den oben genannten Vorzeichen ist mehr als Wissensvermittlung. Er ist Austausch über die Sachaspekte eines Themas, Erfahrungen und Verhaltensweisen, eigenes Empfinden und Ängste, die Konfrontation mit der eigenen Lebensgeschichte und nicht zuletzt geht es um sinnvolle Lebensperspektiven. Insofern spielt sich das Lernen in der Gruppe auf ganz unterschiedlichen Ebenen ab, die ich anhand des Konzeptes der „Fünf Ebenen im Dialog“ in Kapitel 3 beschreibe. Dialog ist kein Verhaltenstraining, sondern bedeutet Auseinandersetzung mit Beziehung und Begegnung mit sich selbst und eigenen Lebensidealen. Selbst-Erfahrenes und Selbst-Gelerntes stärkt Eltern und ihre Familien langfristig und nachhaltiger, als dies mit referiertem und antrainiertem Wissen der Fall ist.
Seminare über das Zusammenleben mit Kindern drehen sich immer um mehr oder weniger gelingende „Alltags- und Lebensbewältigung“. Naturgemäß macht das Ringen darum, das Leben zu meistern, vor den Dialogbegleitern nicht halt. Auch ihnen bieten die Seminare Raum zum Lernen. Welche Konsequenzen dies für ihre Arbeit im Dialogkreis hat, beschreibe ich in Kapitel 4.
So, wie wir den Dialog in jeder Elterngruppe oder in der Eins-zu-Eins-Beratung neu versuchen, ist jeder Dialog einmalig. Wir konstruieren jeden Augenblick neu in einer wirklichen Begegnung. Indem wir einen sicheren Raum für Verschiedenheit schaffen, können wir die individuell unterschiedlich erlebte „Wirklichkeit“ unserer sozialen Umgebung zulassen und uns vielleicht auch an ihr erfreuen. Zu „benutzen“ ist deshalb das Konzept Dialogischer Elternarbeit wie die „Skizze einer Landkarte“. Wir wissen vorher nicht, wenn wir von A nach B wollen, welche Umleitungen, Hindernisse aber auch abschüssigen Strecken unseren Weg behindern [28] bzw. beschleunigen. Den Weg müssen wir immer wieder neu gehen. Dialogkreise sind immer als Prozess zu verstehen. Beispielhaft beschreibe ich in Kapitel 5 zwei Seminarabende, die jederzeit erweitert und variiert werden können.
All diejenigen, die eine Methodensammlung erhoffen, mit der das Dialogische Arbeiten auf jeden Fall gelingt, werden enttäuscht sein. Ihnen liegt kein „Patentrezept-Buch“ vor. Insbesondere liegt mir daran, Mut zu machen, andere Wege in der Arbeit mit Eltern zu gehen und einen neuen Blick auf Eltern zu werfen. Handlungsalternativen und Beispiele in diesem Buch sind als Anregung gemeint. Im Kapitel 6 finden Sie unter „Einstiegshilfen und Übungen für Dialogisches Arbeiten“ u. a. Geschichten, Zeichnungen und anderes Material, das Sie selbstverständlich als Kopiervorlage benutzen können.
Genauso wenig, wie wir im Dialog den Teilnehmenden ein bestimmtes Verhalten vorschreiben, beschreibt das Buch den richtigen Weg, wie Dialog gelingt. Von Krishnamurti stammt der Satz: „Es gibt keine Methode, es gibt nur Achtsamkeit.“ Es ist dem Dialogprozess angemessen, das Konzept nicht starr zu übernehmen, sondern schöpferisch anzuwenden und kreativ zu verändern, zu ergänzen und weiter zu entwickeln.
An wen richtet sich das Buch?
„Wanderer, deine Fußstapfen sind der Weg, und nichts sonst. Wanderer, einen Weg gibt es nicht, den Weg machst du beim Gehen. Beim Gehen machst du den Weg, und blickst du zurück, so siehst du den Pfad, den du nie wieder betreten musst. Wanderer, einen Weg gibt es nicht, nur Wirbel im Wasser des Meeres.“
Antonio Machado Das Buch beruht überwiegend auf Erfahrungen und ist als Hilfestellung für alle diejenigen gedacht, die in unterschiedlichen Zusammenhängen mit Eltern und Kindern zusammenarbeiten bzw. zusammenleben oder Elternarbeit in Form von Seminaren oder individueller Elternberatung durchführen, ganz gleich, nach welchem Konzept sie arbeiten. Letztlich richtet es sich an alle Menschen, die mit Eltern, Kindern und sich selbst im Kontakt sind. Ich denke hier an MitarbeiterInnen von Einrichtungen der Familienbildung und -beratung, LehrerInnen, SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen, MitarbeiterInnen der Polizei, ErzieherInnen, BeraterInnen, ÄrztInnen, PsychologInnen, FortbildnerInnen, Eltern, die als MultiplikatorInnen tätig sind und alle am Dialog Interessierten.
[29] Der Dialog bereichert darüber hinaus mit seiner Perpektiven-Vielfalt jede Form von Elternbildung, unabhängig vom theoretischen Hintergrund und der pädagogischen Ausrichtung des Konzeptes.
Die Schwierigkeit, einen offenen Prozess zu beschreiben
Mein Versuch, den Dialogprozess darzustellen, hat mich manche verzweifelte Stunde gekostet. Nie fand ich die endgültig letzte und befriedigende Beschreibung – denn wie sollte und konnte ich das „festhalten“, was von meiner Intention her ein offener Prozess ist, der stets neu gedacht und erkundet werden soll?
Ich fragte mich immer wieder, ob ich den Kolleginnen und Kollegen nicht etwas verkünde, was sie ohnehin schon praktizieren? Und wenn es etwas Neues ist, sind meine Vorstellungen und mein Verständnis vom Dialog überhaupt zeitgemäß, angesichts des gegenwärtigen Hypes um die Digitalisierung sowie der von Effizienzdenken und Qualitätsmanagement bestimmten Diskussion?
Andere werden mir den Vorwurf machen, zu illusorisch und zu utopisch an der Realität vorbeizudenken. Der erste Kommentar einer Lehrerin, als sie von meinem Vorhaben hörte, ein Buch über Dialogische Elternarbeit zu schreiben, war: „Die Eltern kommen doch gar nicht erst zu uns in die Schule“, um dann fortzufahren, „und dann müssten die erst mal verstehen lernen, was ich meine. Und richtig reden lernen, müssten sie auch.“ In ihren Augen sind viele Eltern von heute einfach zu blöd. Sie glaubt nicht, dass ein Dialog mit „solchen“ Menschen klappt.
Diese Bemerkung brachte mich u.a. dazu, besonderen Wert auf die ausführliche Beschreibung zu legen, wie es gelingen kann, eine positive Grundhaltung gerade zu den Menschen zu entwickeln oder zurückzugewinnen, denen gemeinhin wenig bis gar keine erzieherische Kompetenz mehr zugetraut wird und die eher misstrauisch mit stigmatisierenden Begriffen wie „bildungsfern“ oder gar „sozial schwach“ tituliert werden.
[30] Ein letzter Gedanke
Es ist nicht einfach, ein Dialogisches Seminar mit einem hohen Anteil an Selbsterfahrung zu begleiten, das erfordert eigene Erfahrung und Reflexion meiner eigenen Rolle als Dialogbegleiterin oder Dialogbegleiter und stetige „freundliche Arbeit“ an mir selbst. Ich kann nur dazu einladen und ermutigen, sich auf eine neue und vielleicht ungewohnte Position als gleichwürdig Begleitende einzulassen.
[31] 1 Die eigenen Potenziale entdecken
[33] Wer nach Potenzialen im Menschen sucht, unterstellt, dass diese über ein grundsätzliches Entwicklungsvermögen verfügen. In Anlehnung an das Konzept der „Salutogenese“ von Aaron Antonovsky gehe ich der Fragestellung nach, was uns stärkt und was uns gesund hält. Ich gehe davon aus, „dass sich in jedem von uns ein Kraftzentrum befindet, welches das Leben erhält und mit einer universellen Kraft verbunden ist“ (Satir 1994, S. 53) – wie ausgebrannt auch immer der Mensch sein mag. Ziel Dialogischer Elternseminare ist es, sich dieser Kraftquellen zu besinnen, sie neu zu beleben und sie für die Bewältigung des Lebensalltags der Eltern selbst und ihrer Kinder nutzbar zu machen.
Die Suche nach Potenzialen verstehe ich als Aufspüren von Stärken, Fähigkeiten und verschüttetem Wissen. Sie bedeutet grundsätzliche Lebensbejahung. Wer Zugang zu seinen Fähigkeiten hat, kann Kraft entwickeln, die ihm bei den Anforderungen im Umgang mit seinen kleinen oder heranwachsenden Kindern hilfreich ist. Viele Eltern kommen mit einem Defizitgefühl