Lieblingsplätze Erzgebirge. Jan Hübler
der Scharspitze bis zur politischen Wende 1989 ein Kinderferienlager mit fünf Holzbaracken. Nicht ohne Heimweh lernte ich das Lagerleben in den 70er-Jahren sowohl im Sommer als auch in den Winterferien kennen. Einen fulminanten Verlauf nahm der Langlaufwettbewerb: Ich besaß recht altmodische Skier aus breitem Holz mit Seilzugbindung. Die sportlichen Jungs in meiner Altersklasse hatten zumeist schmalere, leichtere »Bretteln« – und Skiwachs. Am Abend vor dem Wettkampf zog ein strenger Geruch durch die Baracken: Alle wachsten emsig ihre Ski. Keiner wollte mir ein bisschen Tubeninhalt abgeben, was für mich Anlass war, in der Dunkelheit hinauszustapfen und die leuchtende Mondsichel zu befragen, was diese Unkameradschaftlichkeit für einen Sinn hatte.
Die Antwort kam prompt am nächsten Vormittag. Über Nacht zog der Föhn übers Erzgebirge, der Schnee pappte. Es galt, mehrere Runden rings um die Scharspitze zu absolvieren. Die Konkurrenz schwächelte an den Steigungen und rutschte auf ihren wachsglatten Skiern in der Spur zurück. Ich zog wie ein Strich durch die Landschaft und rief mit wachsender Begeisterung den vor mir Gestarteten zu: »Aus der Spur!« Am Ende hatte ich die Silbermedaille erobert. Selten bin ich so positiv vom Lauf der Dinge überrascht worden!
Heute bröckeln die Holzbaracken still vor sich hin. Alle Türen stehen offen, man kann in die Zimmer hineingucken. Der morbide Charme einer längst vergangenen Ära ist im Büro der ehemaligen Lagerleitung am deutlichsten sichtbar. Ich sehe vor mir, wie ich als Kind jedes Mal Haltung annehmend artig an der Tür vorbeimarschierte.
Achtung! Sicherheitshalber sollte ein Blick von außen auf die ruinösen Baracken ausreichen.
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Altes Ferienlager
Scharspitze
01778 Geising
Geising: Scharspitze
Die Scharspitze reckt sich zwar immerhin 807 Meter über Meereshöhe empor, bespöttelt allerdings als bewaldete, abgerundete Kuppe ihren Namen. Unspektakulär, nur minimal flach ansteigend führt der Wanderweg von Süden auf den als solchen kaum erkennbaren Berg. Die Aussicht inmitten eines Miniplateaus, umgeben von Laub- und Nadelbäumen, ist gleich null!
Vor einigen Jahren hat die Scharspitze eine Schutzhütte verpasst bekommen, ein trockener Platz, um bei Regen oder Sturm unterzuschlüpfen und aus der Thermoskanne heißen Tee zu genießen. Es ist sehr still hier. Nur der Wald rauscht. Selten verirren sich andere Wanderer hierher, man ist meist allein.
Gerade weil sie weder Turm noch Panorama bietet, hat die Scharspitze etwas Besonderes. Sie zwingt einen dazu, den Berg anders wahrzunehmen, auf andere Dinge die Aufmerksamkeit zu richten. Augen schließen und loslassen. Träumen. Vor die Hütte in die Sonne setzen und das Gesicht nach oben recken, Kopf nach hinten ablegen.
Vor 100 Jahren war die Scharspitze der Startplatz für die Natureisbobbahn, die in 22 Kurven über zwei Kilometer bis ins Tal nach Geising hinunterführte. Der alte Wanderweg nach Nordosten stellt noch immer die einstige Trasse dar, auf der die mutigen Sportler auf hölzernen Schlitten mit Lenkrad und Stahlkufen zu Tal zischten. In einigen Kurven des Wanderwegs erinnern erhöhte Steinwälle bis heute an die Bobbahn. Eine Tafel am Aschergraben zeigt Fotos von einer gut gefüllten Tribüne mit über 500 Zuschauern, an denen die Fünferbobs mit einem Höllentempo vorbeischlitterten. Ihren Höhepunkt erlebte die Bobbahn 1926 mit den Schlesischen Gaumeisterschaften. 1930 erlosch der »Bob-Stern« der Scharspitze und sie versank wieder in ihren Dornröschenschlaf, aus dem sie bis heute nur selten von einsamen Wanderern aufgeschreckt wird.
Am Aschergraben entlang lässt sich unterhalb der Scharspitze beschaulich spazieren – bis zum Besucherbergwerk an der ehemaligen Zinnerzwäsche.
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Scharspitze
bei 01778 Geising
Startpunkt Wanderung: Besucherbergwerk
Zinnwald-Georgenfeld
Goetheweg 8
01773 Altenberg
035056 31344
www.besucherbergwerk-zinnwald.de
Altenberg: Geisingberg
Wenn man von Dresden bei guter Fernsicht in Richtung Osterzgebirge schaut, fallen zwei markante Kegel auf: der Luchberg bei Niederfrauendorf (576 Meter) und der Geisingberg (824 Meter). Beide sind ebenmäßig geformte Basaltkegel, ehemalige Vulkane, die sich über der Landschaft erheben. Ein krönender Aussichtsturm ist nur dem Geisingberg vergönnt und bis heute lassen sich die 88 Stufen sommers wie winters zum 18 Meter hohen Louisenturm besteigen, um einen grandiosen Rundumblick zu genießen.
In Richtung Dresden sieht man an windarmen Tagen eine Dunstglocke am Horizont. Interessanter ist die Aussicht auf Geising und seine umliegenden Hänge und Hübel wie die Kohlaukuppe. Ein Blickfang ist die Altenberger Pinge, ein gewaltiger Einsturztrichter von 400 Metern Durchmesser und 150 Metern Tiefe. Als die Bergleute vor einigen hundert Jahren dem Berginneren zu Leibe rückten, den Berg auf gut Glück durchlöcherten, wurde das Gestein instabil und brach am 24. Januar 1620 mit einem Riesengetöse in sich zusammen. Das erleichterte die Zinnerzförderung insofern, als immense Gesteinsmassen bereits gelockert waren und man in der Pinge keine Sprengungen mehr benötigte. Die Pinge ist heute wegen Einsturzgefahr weiträumig abgesperrt.
Der höchste Berg im Osterzgebirge liegt hinter dem Wintersportzentrum Altenberg: der Kahleberg (905 Meter). Wie der glatte Rücken eines Pottwales thront er über der Stadt, ein Hochplateau, das an seiner Nordseite plötzlich abfällt – hinab zu den Galgenteichen. Früher dienten diese als Wasserlieferant für die Zinnwäsche.
Beim Ausguck gen Westen fallen unterhalb des Geisingberges weite Wiesen auf. Sie gehören zum Naturschutz-Großprojekt »Bergwiesen im Erzgebirge«. Zwischen April und Juni leuchten und duften hier die Blumen in betörender Vielfalt.
Die Pinge kann im Sommer besichtigt werden, buchbar bei der Tourist-Info Altenberg. Ebenfalls empfehlenswert: das Bergbaumuseum Altenberg.
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Geisingberg
Informationen zum Berg im Bergbaumuseum
Mühlenstraße 2
01773 Altenberg
035056 31703
www.bergbaumuseum-altenberg.de
Bergbaude Geisingberg
035056 35555
Altenberg: Abfahrtslauf
Es heißt, die im Erzgebirge aufgewachsenen kleinen Jungs und Mädels können eher Ski fahren als laufen. Als Kind beneidete ich meine gleichaltrigen Cousins um ihre Eleganz und Lässigkeit beim Abfahrtslauf, kam aus dem Staunen nicht heraus, wie sie geschickt zu Tale bretterten, während ich permanent unfreiwillige Purzelbäume schlug und mit Schneeabbürsten schwer beschäftigt war.