Tunnel über der Spree. Hans Christoph Buch
prustende Gelächter von Günter Kunert
das lautlose Lachen von Friedrich Christian Delius
das ansteckende Lachen von Peter Schneider
das bellende Gelächter von Fritz J. Raddatz
Klaus Wagenbachs gackerndes Gelächter
das grollende Gelächter von Erich Fried
das selbstzufriedene Lächeln von Siegfried Unseld
das fauchende Lachen von H. M. Ledig-Rowohlt
die grundlose Heiterkeit des Peter O. Chotjewitz
die stille Heiterkeit von Renate Höllerer
das heisere Lachen von Nicolas Born
Heiner Müller der pausenlos Witze erzählt
über die Jochen Schädlich nicht lachen kann
das Mona-Lisa-Lächeln der Gisela Elsner
Ingeborg Bachmann der das Lachen im Hals stecken
bleibt auf- und abschwellendes Lachen der Gruppe 47
das aus der geschlossenen Tür des Plenarsaals dringt
dumpf dröhnendes Gelächter auf dem Podium Allen
Ginsberg und Gregory Corso lachen um die Wette
sekundiert von Robert Creeley und Ted Joans ein
Lachkanon in den Artmann nicht einstimmt auch Ernst
Jandl bleibt ernst ersticktes Lachen am Caféhaustisch
lautes Gelächter in der Bar Kichern am kalten Büfett
Lachen im Turmzimmer Gelächter auf dem Bootssteg
des Colloquiums wo Michel Butor eine Angel auswirft
während Alain Robbe-Grillet sich das Lachen verbeißt
I. WESTOSTBERLIN
Blues für Sarah
Als ich Sarah Haffner im Herbst 1963 erstmals begegnete, war sie dreiundzwanzig, und ich war neunzehn. Die Gruppe 47 tagte im Hotel zur Post in Saulgau, und Sarah war in Begleitung ihres Vaters Sebastian Haffner dort. Ich las eine Erzählung vor über eine archäologische Ausgrabung, die buchstäblich im Sande verläuft, und die Reaktionen waren gemischt: Walter Jens raufte sich die Haare vor Entsetzen, Reich-Ranicki legte seine Stirn in bedenkliche Falten und Ernst Bloch wollte mich mit eisernem Besen auskehren und in den Mülleimer der Geschichte werfen, während Höllerer, Grass und Enzensberger meinen Text lobten. Ich hatte meine Hinrichtung überlebt und war informell aufgenommen in die deutsche Gegenwartsliteratur, deren Koryphäen ich auf einen Schlag kennenlernte: von Hans Werner Richter, dem Herbergsvater der Gruppe, über Uwe Johnson und Peter Weiss, beide eher schweigsam, bis zu Erich Fried und Johannes Bobrowski. Die Tagung endete mit einem Besäufnis, und während Grass und Enzensberger sich über die Einschätzung der SPD stritten, tanzte ich mit Sarah Haffner, nach mir die jüngste Teilnehmerin des Treffens. Damals rauchten viele Schriftsteller Pfeife, und in meiner von Tabakschwaden vernebelten Erinnerung kühlte ich meine heiße Stirn an einem Aquarium, in dem Aale schwammen als Hommage an die Blechtrommel von Günter Grass.
Wir tauschten unsere Anschriften aus, und bald darauf sah ich Sarah Haffner wieder, deren Adresse und Telefonnummer sich fünfzig Jahre lang nicht veränderten: Uhlandstraße 168, Hinterhaus, zweiter Stock, mit Blick auf einen je nachdem kahlen, knospenden oder blühenden Kastanienbaum – Miniermotten gab es noch nicht. Das Wohnzimmer war Treffpunkt der ästhetisch-politischen Diaspora, die sich nach dem Mauerbau in Westberlin versammelte, eine Nachauflage der klassischen Bohème: Hubert Fichte und Peter Bichsel, Hermann Peter Piwitt und Nicolas Born fanden sich bei Sarah Haffner ein, ebenso wie Günter Grass, den auf ihrem Atelierfest ein Maler ins Bein biss, der Lyriker Peter Rühmkorf, Neal Ascherson vom Observer, der ZEIT-Journalist Kai Hermann und die Spiegel-Reporterin Marie-Luise Scherer, damals noch Berliner Morgenpost. Sarah servierte Tee, eine Sitte, die sie aus England mitgebracht hatte, und wir sprachen über Politik, Literatur und Kunst, in dieser Reihenfolge, hörten Platten und tauschten uns über unseren Liebeskummer aus. In meiner Erinnerung war Sarah stets unglücklich verliebt – ich war es auch, so dass es an Gesprächsstoff nie mangelte. Ihr bevorzugter Autor war Christopher Isherwood, dessen Berlin-Trilogie sie immer wieder las, ihre Lieblingsmusiker Bach und die Beatles, und über dem Plattenspieler hing das Gemälde eines Plattenspielers, über dem Bücherregal das Bild eines Bücherregals mit sorgfältig gemalten Buchrücken und neben dem Fenster zum Hof das großformatige Gemälde eines Fensters zum Hof mit einer Schachtel Gitanes auf der Fensterbank – ein Fingerzeig darauf, dass das Bild nicht in Berlin, sondern in Paris entstanden war.
Damit bin ich bei Sarah Haffners Kunstschaffen angelangt, das in einem halben Jahrhundert markante Entwicklungsstadien durchlief, Quantitätsschübe und Qualitätssprünge, obwohl sie sich im Kern ihrer Persönlichkeit wenig veränderte. Schon auf frühen Bildern aus der Studentenzeit, als sie dem Zeitgeist der fünfziger Jahre huldigte, tauchen ihre Lieblingsfarben auf, allen voran das typische Sarah-Haffner-Blau, changierend zwischen Ultramarin und Türkis, das auf Schwimmbadkacheln ebenso zu sehen ist wie auf Lavendelfeldern in der Provence. Gelb blühender Raps, rollende Hügel, schnurgerade Alleen mit kahlen Bäumen, nackte Hausfassaden, triste Hinterhöfe, Nieselregen oder Schneetreiben, Betten oder Sofas mit Liegenden, die aussehen, als habe eine jähe Depression ihnen den Teppich unter den Füßen weggezogen, und einfühlsame Porträts, auf denen die Gesichtszüge der Künstlerin, ihres Sohnes und ihres Bruders wiederkehren: So besehen verbirgt sich hinter fast allem, was Sarah Haffner schreibt, zeichnet oder malt, ein melancholisches Selbstporträt. Aber ich habe mich allzu weit ins verminte Gelände der Kunstkritik vorgewagt.
Im Herbst 1979 besuchte ich zusammen mit Sarah Haffner Armenien, damals noch eine Sowjetrepublik, über die wir nicht viel mehr wussten als Schmunzelwitze von Radio Eriwan: »Im Prinzip ja, aber …« Mit von der Partie war ein evangelischer Friedensfreund, den wir den Entspannungspfarrer nannten, denn statt in der UdSSR verbotener Bibeln hatte er Strumpfhosen im Gepäck, um seine Moskauer Geliebte bei der Stange zu halten – hier passt die dumme Redensart. Der Pfarrer ließ durchblicken, dass er nicht an Gott, sondern an den Sozialismus glaubte, und regte sich auf, als ich ins Gästebuch eines armenischen Klosters »Ihr seid das Salz der Erde« schrieb: Das Bibelzitat sei eine Provokation für unsere atheistischen Gastgeber, meinte der Gottesmann. Damals verlor ich den letzten Respekt für selbsternannte Friedenskämpfer, die mit Diktaturen kungelten und nichts einzuwenden hatten gegen Unterdrückung und Zensur – aber ich muss mir die Polemik verkneifen.
Bei der Ankunft am Flughafen von Eriwan erwartete uns eine Dichterin, die wie der griechische Weinbrand Metaxa hieß und erotische Gedichte schrieb, in denen sie Männern im Sexrausch die Knöpfe vom Hemd biss. Als Kind hatte sie Stalin einen Blumenstrauß überreicht und erzählte, der Diktator habe gut ausgesehen – abgesehen von den Pockennarben in seinem Gesicht, die auf Fotos wegretuschiert wurden –; selbst der Schnauzbart des Generalissimus unterlag der Zensur.
Höhepunkt unserer Reise war ein Besuch in der Moskauer Wohnung des Dichters, Sängers und Romanciers Bulat Okudschawa, der aus Georgien stammte und von Kritikern diffamiert wurde mit dem Argument, als Nichtrusse habe er kein Recht, Bücher über russische Geschichte zu schreiben. Über seinem Arbeitstisch hing kein Foto von Chruschtschow oder Breschnew, der damals noch im Kreml regierte, sondern ein Porträt von John F. Kennedy, und sein beredtes Schweigen strafte das Propagandagerede Lüge, mit dem man uns von morgens bis abends behelligte. Dazu gehörte ein Termin bei der Literaturzeitschrift des Komsomol, deren Arbeit nach offizieller Lesart auf drei Säulen ruhte: 1. Texte alter Meister; 2. Texte junger Autoren; 3. Kritik der alten Meister an den jungen Autoren. Wir hatten Mühe, uns das Lachen zu verbeißen. »Alles schön und gut«, meinte Sarah Haffner, »aber gibt es auch eine Rubrik, in der junge Autoren die alten Meister kritisieren?« Damit traf sie den Nagel auf den Kopf und hatte, ohne es zu wollen, einen Impuls benannt, der als Leitmotiv ihr Leben und Schaffen durchzog: das Aufbegehren gegen jede Art von falscher oder angemaßter Autorität.
Sarah