Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung. Reinhard Mohr

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Liberalität zurückziehen wie auf einen alten Fauteuil.

      Die klassisch-bürgerliche Mitte, von mitterechts bis mittelinks, wirkt merkwürdig verloren, blass, konturlos und kraftlos, auch ohne Ausstrahlungskraft und Selbstbewusstsein – und das, obwohl sie seit 1945 für das erfolgreiche, weltweit gefeierte »Modell Deutschland« steht, die Mischung aus freiheitlicher Demokratie und sozialer Marktwirtschaft. Selbst Helmut Kohl erscheint im Rückblick wie ein Leuchtturm des liberalen Konservativismus, an dem man sich wenigstens abarbeiten konnte.

      Auch die Spitzenkandidaten für die bevorstehende Bundestagswahl verkörpern kaum noch glaubwürdig den politischen Kern jenes bundesdeutschen Erfolgsmodells, dessen zeitgemäße Fortschreibung sie mit Optimismus in Angriff nehmen könnten. Der linksgrün-postnationale Zeitgeist zwischen Weltrettungs-Idealismus, inklusiver »Diversity« und Gender-Mainstreaming, sorgsam eingebettet in einen Live-Ticker-Katastrophismus, sorgt dafür, dass kritisch-pragmatische Vernunft und politischer Realismus immer mehr in eine Minderheitenposition geraten. Selbst die Kunst muss nun »inklusiv« sein, wie die progressive Berliner »Kulturjournalistin« Jenni Zylka jüngst dem ebenso progressiven Radio 1 vom ARD-Sender rbb in gender-gerechter Sprache anvertraute. Alles andere sei elitär.

      Welche seltsamen Blüten dieser neue, politisch korrekte Wahn vor allem in der akademisch-kulturellen Sphäre treibt, zeigt ein Beispiel von vielen, hier: ein offener Brief von »Kulturschaffenden« zur Ernennung eines neuen Kölner Schauspiel-Intendanten im Jahre 2023:

       »Die Repräsentation von nicht-weiß positionierten Menschen, von mixed-abled Menschen, von Frauen*, trans*, inter* und queeren Akteur*innen of Color ist, sowohl in Auswahlgremien wie diesem als auch in den städtischen Kulturinstitutionen, sehr wichtig. Eine weltoffene und tolerante Stadt, wie Köln es ist, sollte ihrem Stadttheater eine multiperspektivische Findungskommission mit Diversitätskompetenz bieten.«

      Um fachliche Qualitäten scheint es in diesem grotesken Kauderwelsch überhaupt nicht mehr zu gehen. Kündigt sich hier ein neuer Jakobinismus an, ein revolutionärer »Wohlfahrtsausschuss«, der am Ende Köpfe rollen lässt, wenn auch nur mit der virtuellen Guillotine eines totalitären Ungeistes? Sind wir auf dem Weg zur Gaga-Republik?

      Ob links-grün-queer oder querfront-esoterisch-rechtsradikal – die korrekte Aussprache des Gender-Sternchens bei der geschlechtergerechten Berufsbezeichnung »Schornsteinfeger* Pause*Innen« in der Talkshow von Anne Will oder die Frage, ob die Corona-Impfung eine »Gen-Spritze« sei, mit der Bill Gates die Weltbevölkerung per Bio-Chip steuern wolle, scheint wichtiger als unser Verhältnis zu den totalitären Weltmächten China und Russland, eine wirklich effiziente Klimastrategie oder eine vernünftige und nachhaltige (!) Flüchtlingspolitik, die die Interessen und die Integrationsfähigkeit unseres Landes mitbedenkt.

      Für die bundesdeutsche Demokratie sind das alles durchaus bedrohliche Entwicklungen, denn ohne eine vernunftgeleitete Wahrnehmung der Wirklichkeit, ohne den rationalen gesellschaftlichen Diskurs »transsubjektiver Geltungsansprüche«, wie das Jürgen Habermas einst unnachahmlich formulierte, verliert sie ihr Fundament. Das berühmte Wort des Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang Böckenförde aus dem Jahre 1967 – »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann« – ist hochaktuell, denn zu den wichtigsten Voraussetzungen einer gefestigten Demokratie gehört das Bewusstsein ihrer Kostbarkeit und die Bereitschaft, sie im Großen wie im Kleinen zu verteidigen. Es muss ja nicht gleich die »Wiedererfindung der Nation« sein, wie die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann vorschlägt. Ein republikanisches Selbstbewusstsein, zu dem auch Stolz gehört, wäre schon sehr erstrebenswert.

      Warum es daran offensichtlich immer noch mangelt, und das nach 75 Jahren insgesamt erfolgreicher demokratischer Entwicklung, soll Gegenstand dieses Buches sein. Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl ist die Frage nach der Zukunft der politischen Mitte dringlicher denn je.

      Im Mai 2021

      Reinhard Mohr

1. KAPITEL

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