Existenzanalyse und Logotherapie. Alfried Längle

Existenzanalyse und Logotherapie - Alfried Längle


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»Zwei mal zwei ist vier, auch wenn ein Paranoiker es sagt«.

      Im Blick auf die verschiedenen Psychotherapierichtungen seiner Zeit sah er den Reduktionismus vor allem in der Motivationslehre. Bei Freud sei der Wille des Menschen von der Lust geprägt, und bei Adler von der Macht, und darum müsse es in der Logotherapie als Korrektiv zu diesen Motivationsverständnissen um einen »Willen zum Sinn« gehen, wie er seine Motivationstheorie bezeichnete (Frankl 1982a; 1991).

      1.1.2 Logotherapie

      Als tiefstes Streben des Menschen sah Frankl den Willen zum Sinn nicht nur als Ergänzung der beiden tiefenpsychologischen (psychodynamischen) Motivationskräfte Libido und Machtstreben, sondern als die primäre Motivationskraft des Menschen. Darum solle die Psychotherapie nicht nur unbewusste Triebhaftigkeit bewusst machen, sondern es müsse vielmehr in jedem Fall (auch und in erster Linie) um die Bewusstmachung des (unbewussten) Geistigen gehen (Frankl 1982a, S. 39), um der Ganzheitlichkeit des Menschen zu entsprechen.

      Frankl verwendete gerne den Begriff des »Geistigen« (wir sprechen heute in der Existenzanalyse mehr vom »Personalen«). Dieser Begriff ist in der Psychologie wenig geläufig und steht in Gefahr, mit Geistlichem oder Esoterischem (»Geister«) verwechselt zu werden. In der existenzanalytischen Anthropologie bedeutet das »Geistige« aber eine Veranlagung eines jeden Menschen, die seine personale Freiheit darstellt, und die ihn nach Sinn streben lässt, nach Werten und nach verantwortlicher Bindung, nach Gewissenhaftigkeit, Selbsttreue, Authentizität, Gerechtigkeit, Schönheit und Kunst usw. Der Begriff markiert eine Differenz zum Psychischen (zur vitalen Dynamik der Lebenserhaltung, der Triebe, Stimmungen, Persönlichkeitszüge und Schutzverhalten) und zum Körperlichen. Ein existentieller Zugang zum Menschen bedeutete daher für Frankl (1990, S. 271) das Bewusstmachen der Freiheit und des Verantwortlichseins »als Wesensgrund der menschlichen Existenz« (Frankl 1982a, S. 39).

      Zwei operative Fähigkeiten stehen dem Menschen zur Verfügung, um seinem Willen zum Sinn folgen zu können. Sie sind die beiden grundlegenden Achsen der praktischen Logotherapie (Frankl 1982a, S. 160; 1990, S. 219 ff.): die Selbst- Distanzierung – die personale Fähigkeit, zu sich selbst auf Distanz zu kommen, und die Selbst- Transzendenz (image Kap. 3.9) – die personale Fähigkeit, aus sich herauszugehen und sich auf etwas oder jemand anderen einzulassen. Wenn dies auf der Basis einer Wende in der Haltung zum Leben geschieht, dann kann der Mensch zu einer sinnvoll erfüllten Existenz gelangen. Frankl bezeichnet diese grundlegende Wende als »kopernikanische Wende«. Heute wird sie »existentielle Wende« (image Kap. 5.4.1) genannt, da sie die Voraussetzung für die existentielle Gestaltung des Lebens ist. Sie beschreibt folgendes: Existentiell gesehen erhält der Mensch Erfüllung im Leben nicht dadurch, dass seine Fragen und Forderungen an das Leben befriedigt und erfüllt werden, sondern indem er sich vom Leben befragen lässt und auf die Fragen der Situation seine ganz persönlichen Antworten gibt.

      »Die Frage nach dem Sinn des Lebens schlechthin ist sinnlos, denn sie ist falsch gestellt, wenn sie vage ›das‹ Leben meint und nicht konkret ›je meine‹ Existenz. Holen wir zu einer Rückbesinnung auf die ursprüngliche Struktur des Welterlebens aus, dann müssen wir der Frage nach dem Sinn des Lebens eine kopernikanische Wendung geben: Das Leben selbst ist es, das dem Menschen Fragen stellt. Er hat nicht zu fragen, er ist vielmehr der vom Leben her Befragte, der dem Leben zu antworten – das Leben zu ver-antworten hat. Die Antworten aber, die der Mensch gibt, können nur konkrete Antworten auf konkrete Lebensfragen sein. In der Verantwortung des Daseins erfolgt ihre Beantwortung, in der Existenz selbst ›vollzieht‹ der Mensch das Beantworten ihrer eigenen Fragen.« (Frankl 1982a, S. 72)

      Es ist ein Spezifikum des Menschen, dass er sein Leben verstehen möchte, um nicht beliebig irgendetwas tun zu müssen, sondern konstruktiv leben zu können. Ein Leben, in dem es nicht um Werte geht, wird inhaltsleer. Das Leiden daran bezeichnete Frankl (1982a, S. 72) als »existentielles Vakuum«, ein tiefes Sinnlosigkeitsgefühl, das alsbald mit Apathie und Verlust der Interessen einhergeht. Die Frustration dieses Verlangens, sein Leben in einem größeren Zusammenhang zu verstehen, ist aber abgesehen von individuellen Ursachen auch ein Symptom unserer Zeit.

      1.2 Weiterentwicklung der EA als eigenständige Psychotherapierichtung

      In den letzten 35 Jahren wurde in der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse, Wien (GLE) die Existenzanalyse (EA) in theoretischer und methodischer Hinsicht weiterentwickelt, sodass sie heute als eigenständige Hauptrichtung der Psychotherapie gelten kann. Dieser Schritt von »der Logotherapie als Ergänzung herkömmlicher Psychotherapie« zur eigenständigen psychotherapeutischen Methode schlägt sich auch in der Bezeichnung nieder: als Psychotherapie heißt das Verfahren nun »Existenzanalyse« (Stumm 2011, S. 236–244). Der Anstoß zu dieser Weiterentwicklung kam aus der systematischen praktischen Anwendung und den Erfahrungen aus der Lehre in den Ausbildungen (Längle 2015).

      Als eigenständige psychotherapeutische Richtung erfüllt die EA die internationalen Standards einer Psychotherapie. Dank dieser Weiterentwicklung wurde sie in einer Vielzahl von Ländern als Psychotherapieverfahren anerkannt bzw. verbreitet, wie z. B. Österreich, Schweiz, Deutschland (ohne staatliche Anerkennung), Tschechien, Rumänien, Polen, Kanada, aber auch in weiteren Ländern gelehrt wie England, Ukraine, Russland, Argentinien, Chile, Mexico etc. (www.existenzanalyse.org).

      Was die EA und ihre Entwicklung kennzeichnet, ist der stringente Einsatz der Phänomenologie sowohl in Forschung als auch in der Praxis und Methodik. Dadurch ist die EA nicht primär theoriegeleitet, sondern auf das Erleben fokussiert. Damit wird der Emotionalität viel Raum gegeben, Vergangenes wie künftig Erwartetes spielen in die Aktualität der Gegenwart herein, dialogischer Weltbezug und Wechselwirkung mit anderem und anderen prägen die Existenz. Das Mit-sich-sein-Können durch ständige Wahl und Entscheidung bestimmen das Bild. Dadurch ist die Sinnthematik (im Unterschied zur LT Frankls) nicht mehr tonangebend. Motivationstheoretisch hat sich durch die phänomenologische Arbeit ergeben, dass drei weitere Dimensionen der Existenz der Sinnsuche vorgängig sind.

      Diese »Grundmotivationen der Existenz« werden als eine Dynamik verstanden, die aus dem unaufhebbaren und den Menschen konstituierenden Eingebundensein in »Welt« emergieren. Das Eingebundensein des Menschen in seine Welt hat einen wechselbezüglichen


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