Trevellian und der Mann, der den Wind säte: Action Krimi. Pete Hackett
Bestechung.
„Ich – ich kann Sie bezahlen“, hechelte er. „Wie viel zahlt Ihnen Ihr Auftraggeber? Ich gebe Ihnen das Doppelte, wenn Sie mich laufen lassen.“
„Du könntest mir nicht mal die Hälfte bezahlen, Sommerby.“
Sommerby schwieg längere Zeit. Er steuerte den Wagen immer noch geradewegs nach Süden. Dann, als er das unerträgliche Schweigen nicht mehr aushielt: „Woher wussten Sie, dass ich mich im Marriott Marquis verkrochen hatte?“
„Bist du wirklich so naiv, Sommerby? Nachdem du die makabren Pakete mit den Hanfschlingen versandt hattest, war bei Morgan und seinen Kumpanen das Maß voll. Sie heuerten Antonelli an. Antonelli beobachtete dein Haus, ich beobachtete dein Haus und Antonelli. So landeten wir schließlich alle drei im Marriott Marquis.“
„Warum? Woher wussten Sie das mit den Schlingen, von Morgans Drohung, davon, dass sie einen Killer auf mich ansetzten?“
„Das sage ich dir vielleicht, bevor ich dich in den Hudson werfe. Sollte ich dich laufen lassen, erfährst du‘s natürlich nie. Denn du bist eine Bazille, und man wird dich nicht mehr los. Die ehemaligen Kumpels deines Sohnes können ein Lied davon singen.“
Der Unterton in der Stimme des anderen ließ schlimme Ahnungen in Tom Sommerby aufwallen. Und mehr und mehr wurde ihm klar, dass am Ende sein Tod stehen würde.
Wer hier die Drähte zog, darauf kam er nicht. Er war auch gar nicht mehr in der Lage, Ordnung in seine Gedanken zu zwingen. Sie drifteten auseinander und zur Angst gesellte sich die Verzweiflung.
Von jetzt an herrschte Schweigen zwischen ihnen.
Irgendwann gebot der Kidnapper Sommerby, nach rechts abzubiegen. Sie befanden sich auf der West 14th Street. Nach etwa anderthalb Meilen erreichten sie die Chelsea Piers.
Die Piers selbst waren zweckentfremdet worden. Sie waren umfunktioniert zum Chelsea Piers Sports & Entertainment Complex. Man hatte Cafés, Restaurants, Filmstudios und eine Reihe von Sportanlagen geschaffen, sogar eine vierstöckige Driving Range für reiche und verwöhnte Golfer.
Hier herrschte viel zu viel Leben, als dass es der Kidnapper wagen konnte, sich und Tom Sommerby zu zeigen. Er dirigierte Sommerby durch Seitenstraßen und Wege zur Twelfth Avenue und dann zu einer Bucht, in der ein alter Frachter lag, dessen Farbe einem umfassenden Rostrot gewichen war. In den Ritzen zwischen den Betonplatten auf dem Steg, an dem der Dampfer festlag, wucherte Unkraut. Hierher kam höchstens mal ein Angler – wenn überhaupt.
Am Beginn des Steges musste Sommerby anhalten und aussteigen.
Die Fondtür öffnete sich.
Jetzt konnte Sommerby seinen Entführer zum ersten Mal sehen. Es war ein mittelgroßer Mann mit dunkler Hautfarbe und gelockten, schwarzen Haaren, etwa 40 Jahre alt. Wahrscheinlich ein Puertoricaner.
Den 38er auf Sommerby gerichtet befahl er: „Vorwärts, Sommerby. Der Kahn wird in den nächsten Tagen dein Zuhause sein.“ Er grinste herablassend. „Nicht gerade komfortabel, aber du wirst ein Dach über dem Kopf haben und nicht nass, falls es regnet.“
Er trieb Sommerby vor sich her über den schmalen Pier. Es ging eine steile Steintreppe die Kaimauer hinunter, und sie befanden sich auf der unteren Betonplattform mit den soliden, aber von der Erosion zerfressenen Eisenstempeln, an denen die Schiffe vertäut wurden. Eine Brücke auf den Dampfer gab es nicht. Sie mussten springen. Der Abstand zwischen Anlegestelle und Bootsrand betrug jedoch höchstens einen Yard.
Der Puertoricaner nötigte Sommerby unter Deck. Im Maschinenraum zog er ein paar Handschellen aus der Jackentasche. Sommerby musste sich auf einen Gitterrost setzen, der wie eine Bank an der Schiffswand befestigt war. Früher war das mal eine Sitzgelegenheit für die Maschinisten. Der Puertoricaner fesselte Sommerbys rechte Hand an ein Eisenrohr, das fest am Boden verankert war und durch die Decke des Maschinenraums verschwand. Dann zündete er sich eine Zigarette an.
In Tom Sommerbys Gesicht zuckten die Muskeln. Kalter Angstschweiß rann über seine Stirn und seine Wangen.
„Ich werde jetzt dein Auto verschwinden lassen, Sommerby“, murmelte der Kidnapper und stieß eine Wolke Zigarettenrauch aus. „Und mach dir keine Hoffnungen. Hierher kommt kein Schwein. Auch Schreien wird dir nicht helfen. Aus dem Maschinenraum dringt kein Ton nach draußen.“
Er hielt Sommerby die angerauchte Zigarette hin. „Willst du?“
Sommerby schüttelte den Kopf. Sein Hals war wie zugeschnürt.
4
Wir hockten im gemeinsamen Büro, diktierten unseren Bericht über die Sache im „The Marriott Marquis“, und hassten beide mit der selben Inbrunst diese Arbeit. Es galt, eine Akte anzulegen und den Computer zu füttern. Für uns war der Fall Sergio Antonelli noch lange nicht abgeschlossen.
Mr. McKee hatten wir Bericht erstattet. Er erklärte uns, was wir jedoch selber wussten, dass der Vorfall eine Untersuchung nach sich ziehen würde, versicherte uns aber mit dem nächsten Atemzug, dass er schon dafür sorgen würde, dass es wegen der tödlichen Schüsse keine Probleme geben werde.
In dieser Hinsicht konnten wir uns blind auf unseren Chef verlassen.
Mein Telefon schlug Alarm. Sofort unterbrachen wir unsere Arbeit. Es war, als hätten wir in stillschweigendem Einvernehmen nur darauf gewartet, dass etwas unseren recht gemäßigten Tatendrang am Schreibtisch unterbricht.
Es war Lew Harker. Er rief uns aus der Redaktion der New York Times an. Und er schien seine Alterssenilität überwunden zu haben, denn er feixte in den Hörer: „Herr Doktor, mir ist‘s wieder eingefallen.“
„Na, dann schieß mal los, Amigo mio“, forderte ich ihn auf zu sprechen.
„Vor über drei Jahren haben sie unten in Malaysia einen Robert Sommerby mit anderthalb Kilo Heroin im Gepäck erwischt. Er wurde zum Tode verurteilt. Er war mit vier Kumpeln dort unten. Immer wieder versicherte er, dass ihm einer von denen oder vielleicht sogar alle zusammen das Rauschgift in den Koffer gesteckt haben. Die vier haben das natürlich abgestritten, und weil man bei ihnen nichts fand, durften sie ausreisen.“
Lew machte eine Pause.
„Weiter“, drängte ich.
„Robert Sommerby wurde vor knapp einem Jahr in Kuala Lumpur aufgehängt. Gnadengesuche sind in Malaysia so überflüssig wie bei uns in Texas, zumindest solange ein gewisser Herr dort unten Gouverneur war. Sein Vater setzte alle Hebel in Bewegung, aber er konnte seinen Sohn nicht vor dem Henker retten.“
„Diese vier Kumpels. Hat sie der Narcotic Squad in die Mangel genommen?
„Himmel, Jesse, so weit bin ich noch nicht. Ich muss mal im Archiv stöbern. Vielleicht finde ich noch mehr heraus. Ich lass es euch wissen.“
„Danke, Lew.“
Ich legte auf und gab Milo preis, was ich wusste.
„Warum rufen wir nicht einfach mal an bei den Narcs. Seit sie uns mit diesen Höllenmaschinen“, Milo deutete mit knapper, verächtlicher Geste auf den PC, „ausgestattet haben, genügt es doch, wenn du drei Buchstaben in den Suchlauf tippst, um über die Geheimnisse dieser Welt informiert zu werden.“
Ich wies mit dem Kinn aufs Telefon.