Lasst uns Paradiese pflanzen!. Timm Koch
stabiler, je vielfältiger und komplexer es ist, also je mehr Lebewesen mit ihm in Wechselwirkung treten. Wenn man sich auf ein Produkt spezialisiert und die Vielfalt und Nachhaltigkeit der Gewinnmaximierung opfert, dann hat man ein extrem energieaufwendiges und maximal störungsanfälliges System, wie wir es etwa aus dem konventionellen Obstanbau kennen. Die Streuobstwiese mit Beweidung ist doch eigentlich ein tolles Beispiel dafür, wie der Spagat zwischen Produktivität und Naturverträglichkeit gelingen kann. Leider werden diese Ansätze meist immer noch als unwirtschaftlich betrachtet, weil immer in viel zu kleinen Zeitfenstern gedacht wird, dabei sind sie auf lange Sicht hochproduktiv und speichern CO2 durch stetigen Humusaufbau.
Habt ihr euch schon Gedanken darüber gemacht, die Äpfel eurer Hochstämme als Tafelobst auf den Markt zu bringen?
Jakob Schuckall: Darüber denken wir sogar sehr viel nach! Ich denke, da steckt ein riesiges Potenzial drin. Die wenigen Sorten, die wir aus den Supermärkten und leider auch aus den Bioläden kennen, wurden alle paar Tage mit Spritzmitteln übergossen. Auf der Streuobstwiese kann Obst ohne jeglichen Einsatz von synthetischen Fungiziden, Pestiziden und Düngemitteln angebaut werden und viele der alten Apfelsorten sind durch ihren hohen Gehalt an Polyphenolen für Allergiker viel besser verträglich. Der Marktanteil von ungespritztem Obst liegt in Deutschland nur bei etwa 0,5 Prozent. Die Nachfrage danach ist groß und wächst ständig.
Streuobstwiesen sind sehr oft nicht biozertifiziert. Wie geht ihr damit um? Stammen die Quitten, Birnen, Pflaumen, Kirschen etcetera in den Ostmost-Schorlen in Wahrheit von Plantagen, die zwar bio, aber trotzdem artenarme Monokulturen sind?
Jakob Schuckall: So ganz stimmt das inzwischen nicht mehr. Laut dem NABU Streuobstrundbrief ist der Anteil von biozertifizierten Streuobstwiesen in vielen Anbauregionen, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, auf etwa 50 Prozent gestiegen. Grund dafür ist der deutlich höhere Erzeugerpreis. In den Ostmost-Schorlen ist drin, was drauf steht, die Pflaumen, Mirabellen und Sauerkirschen kommen von ehemaligen Plantagen aus Thüringen, die inzwischen extensiv bewirtschaftet werden – genau wie Streuobstwiesen.
Später im Jahr kommt Jakob Schuckall mich bei uns zu Hause besuchen. Er ist von kerniger Statur und gut drauf. Der Job als Baumhirte scheint nicht nur ihm gutzutun: Er berichtet von dem erfolgreichen jungen Unternehmer in seinem Team, der dem großen Geld, dem damit verbundenen Stress und der Sinnentleertheit den Rücken gekehrt hat, um bei Ostmost einzusteigen. Vor allem Baumschnittarbeiten bereiten ihm Vergnügen. Ich zeige Jakob meine kleine Landwirtschaft, inklusive des Kakibaums (laut Jakob der neue Geheimtrend) und der Bienenkästen, und wir unternehmen bei strahlendem Sonnenschein einen Spaziergang durch den Rheinbreitbacher Obstwald, der bis hinunter an den Rhein reicht.
In vielen Weißdornbüschen tummeln sich Schwärme von Singdrosseln und laben sich an den roten Beeren. Es sind Zugvögel, die im milden Klima des Rheintals überwintern und das reichhaltige Nahrungsangebot des Obstwaldes für sich nutzen. So sparen sie sich den gefährlichen Flug in den Mittelmeerraum, wo die Art in der Regel überwintert. Hier laufen sie keine Gefahr, Opfer von Schrotflinten, Schlingen, Netzen oder Leimruten zu werden. Was für ein Gegensatz zu den ausgeräumten Agrarlandschaften, wo der Hunger zu einer weiteren großen Gefahr für den Vogelzug geworden ist. Jakob weist mich auf die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Weißdorns hin. Vor allem wegen der herzstärkenden, natürlichen Substanzen, die in Blüten, Blättern und Früchten schlummern, ist er in der alternativen Heilkunde äußerst beliebt und somit auch wirtschaftlich interessant.
Jakob versucht, Streuobstwiesenbesitzer aus der Eifel für Ostmost zu gewinnen. Die Eifel grenzt an die Umgebung von Meckenheim, dem Obstkorb des Rheinlands, wo vor allem Äpfel im Intensivanbau gedeihen. Jakob berichtet von einem Treffen mit Plantagenbesitzern, die ihre Ernte loswerden wollten. Als sie merkten, dass Plantagenobst nicht ins Geschäftsmodell von Ostmost passt, verlangten sie lautstark, dass Streuobstwiesen nicht gegen Plantagen »ausgespielt« werden sollen.
Die Forderung zeigt, das beide Ansätze grundsätzlich nur schwer vereinbar sind. Zu einem Konsens ist es dann letztlich nicht gekommen.
Efeuranken
Mein altes Pilzrevier am Rande des Siebengebirges ist im Jahr 2020 ordentlich zusammengeschrumpft. Die Fichtenmonokulturen, in denen man 2019 noch üppig Maronenröhrlinge sammeln konnte, existieren nicht mehr. Erst kam die Dürre 2018, dann die Massenvermehrung des Borkenkäfers und dann der Harvester. Nun sind sie zu gigantischen Kahlschlägen geworden. Dazwischen sind Flecken mit Laubwald übriggeblieben und Gebiete, in denen die sterbenden Fichten noch auf den Harvester warten. Bei der Pilzsuche rieseln trockene Fichtennadeln auf mich herab – dennoch werde ich fündig und habe bald einen schönen Korb voller Steinpilze und Birkenröhrlinge zusammen. Da fällt mir am Wegesrand ein Pärchen auf, das sich an den verbliebenen Laubbäumen zu schaffen macht. Der Mann hat eine Klappsäge in der Hand und eben einen dicken Efeustrang in Kniehöhe durchtrennt. Gemeinsam versuchen sie nun, den Efeu durch brutales Reißen vom Baumstamm zu lösen. Ich gestatte mir die Frage, was die beiden da eigentlich machen würden.
»Das sehen Sie doch! Wir befreien diese Eichen vom Efeu. Der Wald hat es ’eh schon so schwer in diesen Zeiten. Da wäre es doch schade um diese schönen Eichen.«
Ich weise mit dem Finger auf die toten Fichten, die drastisch vor Augen führen, was passiert, wenn der Mensch der Meinung ist, er könne die Dinge besser regeln als die Natur. Man kann Efeu eine heimische Schlingpflanze nennen oder einen pflanzlichen Parasiten. Beides ist richtig. Efeu blüht, wenn die anderen ihre Blätter abwerfen. In der schwachen Phase der Bäume, wenn diese schutzlos ohne ihr Laub dastehen, übernimmt der Efeu die Regie. Er schlüpft mit seinem immergrünen Laub in die Lücke und holt sich das Licht der Wintersonne. Dabei ist Efeu unglaublich zäh. Hat er einen Baum einmal überwältigt, erwürgt er ihn. Das Totholz bleibt oft noch über Jahre stehen. In diesen Jahren ist Efeu im Spätherbst der letzte Lieferant von Nektar und Pollen. Auf diese Nahrung sind neben sehr vielen anderen Insektenarten auch unsere Honigbienen dringend angewiesen – und der Efeu liefert reichlich. An warmen Herbsttagen kann man ganze Schwärme von Insekten an der Efeublüte beobachten. Im Winter sind die Beeren reif und bilden eine unschätzbar wertvolle Nahrungsquelle für die überwinternden Singvögel, wie etwa Amseln. Die lieben den Efeu ohnehin, weil sie ihre Nester in den Ranken der Pflanze prima verstecken können. Auch Spinnen schätzen die Schlingpflanze, während Käfer vom Totholz profitieren. Damit ist Efeu ein wichtiges Element in unserem Ökosystem und gehört in jeden Waldgarten, auch wenn sich sein Nutzen für uns Menschen, ähnlich wie beim Apfelwickler nicht auf den ersten Blick erschließt. Man sollte ihn schätzen und wahren und nur im absoluten Ausnahmefall mit der Klappsäge attackieren.
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